Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

Vers zurief: o Alexander, dem Mann die That, doch folgt der
That ihr Leid! -- 98).

Was man auch über die Verwegenheit Alexanders sagen
mag, jedenfalls hatte die schnelle Eroberung der Mallischen Haupt-
feste den mächtigsten Eindruck auf sämmtliche Völkerschaften dieser
Gegenden gemacht. Die Mallier selbst, obschon noch ein Theil
ihres Gebietes von den Macedoniern nicht berührt war, verzwei-
felten, längeren Widerstand zu leisten; in einer demüthigen Ge-
sandtschaft ergaben sie sich und ihr Land dem großen Könige. Die
Oxydraker oder Sudraker 99), die mit den Malliern als die tapfersten
Völker Indiens berühmt waren, und über eine bedeutende Streit-
macht zu verfügen hatten, zogen es vor, sich zu unterwerfen; eine
große Gesandtschaft, bestehend aus den Befehlshabern der Städte,
den Herren der Landschaft und einhundert und funfzig der Vor-
nehmen des Landes, kamen mit reichen Geschenken zu Alexander, zu
Allem, was er fordern würde, bevollmächtigt; sie sagten, daß sie
nicht schon eher vor dem Könige erschienen, sei ihnen zu verzei-
hen, da sie mehr noch als irgend ein anderes Volk Indiens ihre
Freiheit liebten, die sie seit undenklichen Zeiten, seit dem Zuge des
Gottes, den die Griechen Dionysos nennen, bewahrt hätten; dem

98) Arrian. VI. 13. Aeschyl. apd. Stob. ecl. Phys. I. 4.
p.
118.
99) Wir haben keinen Anstand genommen, mit Lassen
p. 27. die Oxydraker, oder, wie sie von anderen Autoren genannt
werden, Sudraker, Hydraker, in dem Namen der vierten Indischen
Kaste der Sudris (Adjekt. und Diminut. Saudraka) wieder zu erkennen,
welche im übrigen Indien die Masse des Volkes bilden, und, ohne
übrigens verachtet oder im Druck zu leben, von den höheren Ka-
sten, besonders in religiöser Hinsicht, nachgesetzt werden, indem ih-
nen das Lesen und Anhören der Vedas verboten ist. Wie man
sich auch das Entstehen der Kasten oder Farben in Indien vorstel-
len mag, jedenfalls sind diese an dem Indus wohnenden Völker
nicht kastenhaft constituirt, sondern ein Nebeneinander von Stäm-
men, wie sie im übrigen Indien sich nach und nach subordinirten;
und jener Siegeszug des Gottes, den die Sudraker Dionysos nann-
ten, möchte mit Bestimmtheit auf eine Erinnerung der Indischen
Geschichte zurück zu führen sein. cf Bohlen das alte Indien p
140 sq.

Vers zurief: o Alexander, dem Mann die That, doch folgt der
That ihr Leid! — 98).

Was man auch uͤber die Verwegenheit Alexanders ſagen
mag, jedenfalls hatte die ſchnelle Eroberung der Malliſchen Haupt-
feſte den maͤchtigſten Eindruck auf ſaͤmmtliche Voͤlkerſchaften dieſer
Gegenden gemacht. Die Mallier ſelbſt, obſchon noch ein Theil
ihres Gebietes von den Macedoniern nicht beruͤhrt war, verzwei-
felten, laͤngeren Widerſtand zu leiſten; in einer demuͤthigen Ge-
ſandtſchaft ergaben ſie ſich und ihr Land dem großen Koͤnige. Die
Oxydraker oder Sudraker 99), die mit den Malliern als die tapferſten
Voͤlker Indiens beruͤhmt waren, und uͤber eine bedeutende Streit-
macht zu verfuͤgen hatten, zogen es vor, ſich zu unterwerfen; eine
große Geſandtſchaft, beſtehend aus den Befehlshabern der Staͤdte,
den Herren der Landſchaft und einhundert und funfzig der Vor-
nehmen des Landes, kamen mit reichen Geſchenken zu Alexander, zu
Allem, was er fordern wuͤrde, bevollmaͤchtigt; ſie ſagten, daß ſie
nicht ſchon eher vor dem Koͤnige erſchienen, ſei ihnen zu verzei-
hen, da ſie mehr noch als irgend ein anderes Volk Indiens ihre
Freiheit liebten, die ſie ſeit undenklichen Zeiten, ſeit dem Zuge des
Gottes, den die Griechen Dionyſos nennen, bewahrt haͤtten; dem

98) Arrian. VI. 13. Aeschyl. apd. Stob. ecl. Phys. I. 4.
p.
118.
99) Wir haben keinen Anſtand genommen, mit Laſſen
p. 27. die Oxydraker, oder, wie ſie von anderen Autoren genannt
werden, Sudraker, Hydraker, in dem Namen der vierten Indiſchen
Kaſte der Sudris (Adjekt. und Diminut. Sûdraka) wieder zu erkennen,
welche im uͤbrigen Indien die Maſſe des Volkes bilden, und, ohne
uͤbrigens verachtet oder im Druck zu leben, von den hoͤheren Ka-
ſten, beſonders in religioͤſer Hinſicht, nachgeſetzt werden, indem ih-
nen das Leſen und Anhoͤren der Vedas verboten iſt. Wie man
ſich auch das Entſtehen der Kaſten oder Farben in Indien vorſtel-
len mag, jedenfalls ſind dieſe an dem Indus wohnenden Voͤlker
nicht kaſtenhaft conſtituirt, ſondern ein Nebeneinander von Staͤm-
men, wie ſie im uͤbrigen Indien ſich nach und nach ſubordinirten;
und jener Siegeszug des Gottes, den die Sudraker Dionyſos nann-
ten, moͤchte mit Beſtimmtheit auf eine Erinnerung der Indiſchen
Geſchichte zuruͤck zu fuͤhren ſein. cf Bohlen das alte Indien p
140 sq.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0457" n="443"/>
Vers zurief: o Alexander, dem Mann die That, doch folgt der<lb/>
That ihr Leid! &#x2014; <note place="foot" n="98)"><hi rendition="#aq">Arrian. VI. 13. Aeschyl. apd. Stob. ecl. Phys. I. 4.<lb/>
p.</hi> 118.</note>.</p><lb/>
          <p>Was man auch u&#x0364;ber die Verwegenheit Alexanders &#x017F;agen<lb/>
mag, jedenfalls hatte die &#x017F;chnelle Eroberung der Malli&#x017F;chen Haupt-<lb/>
fe&#x017F;te den ma&#x0364;chtig&#x017F;ten Eindruck auf &#x017F;a&#x0364;mmtliche Vo&#x0364;lker&#x017F;chaften die&#x017F;er<lb/>
Gegenden gemacht. Die Mallier &#x017F;elb&#x017F;t, ob&#x017F;chon noch ein Theil<lb/>
ihres Gebietes von den Macedoniern nicht beru&#x0364;hrt war, verzwei-<lb/>
felten, la&#x0364;ngeren Wider&#x017F;tand zu lei&#x017F;ten; in einer demu&#x0364;thigen Ge-<lb/>
&#x017F;andt&#x017F;chaft ergaben &#x017F;ie &#x017F;ich und ihr Land dem großen Ko&#x0364;nige. Die<lb/>
Oxydraker oder Sudraker <note place="foot" n="99)">Wir haben keinen An&#x017F;tand genommen, mit La&#x017F;&#x017F;en<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 27. die Oxydraker, oder, wie &#x017F;ie von anderen Autoren genannt<lb/>
werden, Sudraker, Hydraker, in dem Namen der vierten Indi&#x017F;chen<lb/>
Ka&#x017F;te der Sudris (Adjekt. und Diminut. S<hi rendition="#aq">û</hi>draka) wieder zu erkennen,<lb/>
welche im u&#x0364;brigen Indien die Ma&#x017F;&#x017F;e des Volkes bilden, und, ohne<lb/>
u&#x0364;brigens verachtet oder im Druck zu leben, von den ho&#x0364;heren Ka-<lb/>
&#x017F;ten, be&#x017F;onders in religio&#x0364;&#x017F;er Hin&#x017F;icht, nachge&#x017F;etzt werden, indem ih-<lb/>
nen das Le&#x017F;en und Anho&#x0364;ren der Vedas verboten i&#x017F;t. Wie man<lb/>
&#x017F;ich auch das Ent&#x017F;tehen der Ka&#x017F;ten oder Farben in Indien vor&#x017F;tel-<lb/>
len mag, jedenfalls &#x017F;ind die&#x017F;e an dem Indus wohnenden Vo&#x0364;lker<lb/>
nicht ka&#x017F;tenhaft con&#x017F;tituirt, &#x017F;ondern ein Nebeneinander von Sta&#x0364;m-<lb/>
men, wie &#x017F;ie im u&#x0364;brigen Indien &#x017F;ich nach und nach &#x017F;ubordinirten;<lb/>
und jener Siegeszug des Gottes, den die Sudraker Diony&#x017F;os nann-<lb/>
ten, mo&#x0364;chte mit Be&#x017F;timmtheit auf eine Erinnerung der Indi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;chichte zuru&#x0364;ck zu fu&#x0364;hren &#x017F;ein. <hi rendition="#aq">cf</hi> Bohlen das alte Indien <hi rendition="#aq">p<lb/>
140 sq.</hi></note>, die mit den Malliern als die tapfer&#x017F;ten<lb/>
Vo&#x0364;lker Indiens beru&#x0364;hmt waren, und u&#x0364;ber eine bedeutende Streit-<lb/>
macht zu verfu&#x0364;gen hatten, zogen es vor, &#x017F;ich zu unterwerfen; eine<lb/>
große Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft, be&#x017F;tehend aus den Befehlshabern der Sta&#x0364;dte,<lb/>
den Herren der Land&#x017F;chaft und einhundert und funfzig der Vor-<lb/>
nehmen des Landes, kamen mit reichen Ge&#x017F;chenken zu Alexander, zu<lb/>
Allem, was er fordern wu&#x0364;rde, bevollma&#x0364;chtigt; &#x017F;ie &#x017F;agten, daß &#x017F;ie<lb/>
nicht &#x017F;chon eher vor dem Ko&#x0364;nige er&#x017F;chienen, &#x017F;ei ihnen zu verzei-<lb/>
hen, da &#x017F;ie mehr noch als irgend ein anderes Volk Indiens ihre<lb/>
Freiheit liebten, die &#x017F;ie &#x017F;eit undenklichen Zeiten, &#x017F;eit dem Zuge des<lb/>
Gottes, den die Griechen Diony&#x017F;os nennen, bewahrt ha&#x0364;tten; dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443/0457] Vers zurief: o Alexander, dem Mann die That, doch folgt der That ihr Leid! — 98). Was man auch uͤber die Verwegenheit Alexanders ſagen mag, jedenfalls hatte die ſchnelle Eroberung der Malliſchen Haupt- feſte den maͤchtigſten Eindruck auf ſaͤmmtliche Voͤlkerſchaften dieſer Gegenden gemacht. Die Mallier ſelbſt, obſchon noch ein Theil ihres Gebietes von den Macedoniern nicht beruͤhrt war, verzwei- felten, laͤngeren Widerſtand zu leiſten; in einer demuͤthigen Ge- ſandtſchaft ergaben ſie ſich und ihr Land dem großen Koͤnige. Die Oxydraker oder Sudraker 99), die mit den Malliern als die tapferſten Voͤlker Indiens beruͤhmt waren, und uͤber eine bedeutende Streit- macht zu verfuͤgen hatten, zogen es vor, ſich zu unterwerfen; eine große Geſandtſchaft, beſtehend aus den Befehlshabern der Staͤdte, den Herren der Landſchaft und einhundert und funfzig der Vor- nehmen des Landes, kamen mit reichen Geſchenken zu Alexander, zu Allem, was er fordern wuͤrde, bevollmaͤchtigt; ſie ſagten, daß ſie nicht ſchon eher vor dem Koͤnige erſchienen, ſei ihnen zu verzei- hen, da ſie mehr noch als irgend ein anderes Volk Indiens ihre Freiheit liebten, die ſie ſeit undenklichen Zeiten, ſeit dem Zuge des Gottes, den die Griechen Dionyſos nennen, bewahrt haͤtten; dem 98) Arrian. VI. 13. Aeschyl. apd. Stob. ecl. Phys. I. 4. p. 118. 99) Wir haben keinen Anſtand genommen, mit Laſſen p. 27. die Oxydraker, oder, wie ſie von anderen Autoren genannt werden, Sudraker, Hydraker, in dem Namen der vierten Indiſchen Kaſte der Sudris (Adjekt. und Diminut. Sûdraka) wieder zu erkennen, welche im uͤbrigen Indien die Maſſe des Volkes bilden, und, ohne uͤbrigens verachtet oder im Druck zu leben, von den hoͤheren Ka- ſten, beſonders in religioͤſer Hinſicht, nachgeſetzt werden, indem ih- nen das Leſen und Anhoͤren der Vedas verboten iſt. Wie man ſich auch das Entſtehen der Kaſten oder Farben in Indien vorſtel- len mag, jedenfalls ſind dieſe an dem Indus wohnenden Voͤlker nicht kaſtenhaft conſtituirt, ſondern ein Nebeneinander von Staͤm- men, wie ſie im uͤbrigen Indien ſich nach und nach ſubordinirten; und jener Siegeszug des Gottes, den die Sudraker Dionyſos nann- ten, moͤchte mit Beſtimmtheit auf eine Erinnerung der Indiſchen Geſchichte zuruͤck zu fuͤhren ſein. cf Bohlen das alte Indien p 140 sq.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/457
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/457>, abgerufen am 22.11.2024.