Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

dentliche Geist Alexanders noch aus dem fernsten Osten her die
Zügel der Herrschaft fest und streng anzuziehen vermocht hätte, so
wären die größten Erfolge in den Gangesländern für das Beste-
hen des Reiches am gefährlichsten gewesen; die ungeheuere Aus-
dehnung dieses Stromgebietes hätte einen unverhältnißmäßigen
Aufwand von abendläudischen Besatzungen gefordert, und endlich
doch eine wahrhafte Unterwerfung und Verschmelzung mit dem
Reiche unmöglich gemacht. Dazu kam, daß eine Wüste von nicht
geringerer Ausdehnung als die Halbinsel Kleinasien, die Ostländer
vom Fünfstromlande scheidet; ohne Baum, ohne Gras, ohne an-
deres Wasser als das brakige der engen bis dreihundert Fuß tiefen
Brunnen, unerträglich durch den wehenden Flugsand, durch den
glühenden Staub, der in der schwülen Luft flirrt, noch gefährli-
cher durch den plötzlichen Wechsel der Tageshitze und der nächtli-
chen Kühle, ist diese furchtbare Einöde die fast unüberwindliche
Vormauer des Gangeslandes; nur ein Weg führt vom Norden
am Saume der Imausketten vom Hyphasis und Hesudrus zu
den Strömen des Ganges, und mit Recht nennen ihn die Mor-
genländer ein zu schwaches Band, um das große und überreiche
Gangesland an die Krone von Persien zu heften. Endlich muß
man behaupten, daß Alexanders Politik, wenn man sie von dem
ersten Eintritt in das Indische Land an verfolgt, auf das Entschie-
denste dahin weiset, daß es seine Absicht nicht gewesen ist, das
Fünfstromland, geschweige gar die Länder des Ganges, zu unmittel-
baren Theilen seines Reiches zu machen. Das Reich Alexanders
hatte mit der Indischen Satrapie im Westen des Indus ein
Ende; das Land ostwärts sollte unter einheimischen Fürsten unab-
hängig, aber unter Macedonischem Einfluß bleiben, wie er in der
eigenthümlichen Stellung der Fürsten Taxiles und Porus zu
einander und zum Könige sicher genug begründet war; selbst der
so hochbegünstigte Porus erhielt nicht alles Land bis zum östlichen
Grenzstrom des Panschab; wie auf der einen Seite Taxiles, so
wurden auf der andern Seite die unabhängigen Fürstenthü-
mer des Phegeus und Sopeithes ein Gegengewicht, zwei Fürsten,
die zu unbedeutend, um mit eigener Macht etwas wagen zu kön-
nen, einzig in der vollsten Ergebenheit gegen Alexander Kraft und
Halt finden konnten. So waren diese Fürsten, ähnlich dem Rhein-

dentliche Geiſt Alexanders noch aus dem fernſten Oſten her die
Zuͤgel der Herrſchaft feſt und ſtreng anzuziehen vermocht haͤtte, ſo
waͤren die groͤßten Erfolge in den Gangeslaͤndern fuͤr das Beſte-
hen des Reiches am gefaͤhrlichſten geweſen; die ungeheuere Aus-
dehnung dieſes Stromgebietes haͤtte einen unverhaͤltnißmaͤßigen
Aufwand von abendlaͤudiſchen Beſatzungen gefordert, und endlich
doch eine wahrhafte Unterwerfung und Verſchmelzung mit dem
Reiche unmoͤglich gemacht. Dazu kam, daß eine Wuͤſte von nicht
geringerer Ausdehnung als die Halbinſel Kleinaſien, die Oſtlaͤnder
vom Fuͤnfſtromlande ſcheidet; ohne Baum, ohne Gras, ohne an-
deres Waſſer als das brakige der engen bis dreihundert Fuß tiefen
Brunnen, unertraͤglich durch den wehenden Flugſand, durch den
gluͤhenden Staub, der in der ſchwuͤlen Luft flirrt, noch gefaͤhrli-
cher durch den ploͤtzlichen Wechſel der Tageshitze und der naͤchtli-
chen Kuͤhle, iſt dieſe furchtbare Einoͤde die faſt unuͤberwindliche
Vormauer des Gangeslandes; nur ein Weg fuͤhrt vom Norden
am Saume der Imausketten vom Hyphaſis und Heſudrus zu
den Stroͤmen des Ganges, und mit Recht nennen ihn die Mor-
genlaͤnder ein zu ſchwaches Band, um das große und uͤberreiche
Gangesland an die Krone von Perſien zu heften. Endlich muß
man behaupten, daß Alexanders Politik, wenn man ſie von dem
erſten Eintritt in das Indiſche Land an verfolgt, auf das Entſchie-
denſte dahin weiſet, daß es ſeine Abſicht nicht geweſen iſt, das
Fuͤnfſtromland, geſchweige gar die Laͤnder des Ganges, zu unmittel-
baren Theilen ſeines Reiches zu machen. Das Reich Alexanders
hatte mit der Indiſchen Satrapie im Weſten des Indus ein
Ende; das Land oſtwaͤrts ſollte unter einheimiſchen Fuͤrſten unab-
haͤngig, aber unter Macedoniſchem Einfluß bleiben, wie er in der
eigenthuͤmlichen Stellung der Fuͤrſten Taxiles und Porus zu
einander und zum Koͤnige ſicher genug begruͤndet war; ſelbſt der
ſo hochbeguͤnſtigte Porus erhielt nicht alles Land bis zum oͤſtlichen
Grenzſtrom des Panſchab; wie auf der einen Seite Taxiles, ſo
wurden auf der andern Seite die unabhaͤngigen Fuͤrſtenthuͤ-
mer des Phegeus und Sopeithes ein Gegengewicht, zwei Fuͤrſten,
die zu unbedeutend, um mit eigener Macht etwas wagen zu koͤn-
nen, einzig in der vollſten Ergebenheit gegen Alexander Kraft und
Halt finden konnten. So waren dieſe Fuͤrſten, aͤhnlich dem Rhein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="421"/>
dentliche Gei&#x017F;t Alexanders noch aus dem fern&#x017F;ten O&#x017F;ten her die<lb/>
Zu&#x0364;gel der Herr&#x017F;chaft fe&#x017F;t und &#x017F;treng anzuziehen vermocht ha&#x0364;tte, &#x017F;o<lb/>
wa&#x0364;ren die gro&#x0364;ßten Erfolge in den Gangesla&#x0364;ndern fu&#x0364;r das Be&#x017F;te-<lb/>
hen des Reiches am gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten gewe&#x017F;en; die ungeheuere Aus-<lb/>
dehnung die&#x017F;es Stromgebietes ha&#x0364;tte einen unverha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßigen<lb/>
Aufwand von abendla&#x0364;udi&#x017F;chen Be&#x017F;atzungen gefordert, und endlich<lb/>
doch eine wahrhafte Unterwerfung und Ver&#x017F;chmelzung mit dem<lb/>
Reiche unmo&#x0364;glich gemacht. Dazu kam, daß eine Wu&#x0364;&#x017F;te von nicht<lb/>
geringerer Ausdehnung als die Halbin&#x017F;el Kleina&#x017F;ien, die O&#x017F;tla&#x0364;nder<lb/>
vom Fu&#x0364;nf&#x017F;tromlande &#x017F;cheidet; ohne Baum, ohne Gras, ohne an-<lb/>
deres Wa&#x017F;&#x017F;er als das brakige der engen bis dreihundert Fuß tiefen<lb/>
Brunnen, unertra&#x0364;glich durch den wehenden Flug&#x017F;and, durch den<lb/>
glu&#x0364;henden Staub, der in der &#x017F;chwu&#x0364;len Luft flirrt, noch gefa&#x0364;hrli-<lb/>
cher durch den plo&#x0364;tzlichen Wech&#x017F;el der Tageshitze und der na&#x0364;chtli-<lb/>
chen Ku&#x0364;hle, i&#x017F;t die&#x017F;e furchtbare Eino&#x0364;de die fa&#x017F;t unu&#x0364;berwindliche<lb/>
Vormauer des Gangeslandes; nur ein Weg fu&#x0364;hrt vom Norden<lb/>
am Saume der Imausketten vom Hypha&#x017F;is und He&#x017F;udrus zu<lb/>
den Stro&#x0364;men des Ganges, und mit Recht nennen ihn die Mor-<lb/>
genla&#x0364;nder ein zu &#x017F;chwaches Band, um das große und u&#x0364;berreiche<lb/>
Gangesland an die Krone von Per&#x017F;ien zu heften. Endlich muß<lb/>
man behaupten, daß Alexanders Politik, wenn man &#x017F;ie von dem<lb/>
er&#x017F;ten Eintritt in das Indi&#x017F;che Land an verfolgt, auf das Ent&#x017F;chie-<lb/>
den&#x017F;te dahin wei&#x017F;et, daß es &#x017F;eine Ab&#x017F;icht nicht gewe&#x017F;en i&#x017F;t, das<lb/>
Fu&#x0364;nf&#x017F;tromland, ge&#x017F;chweige gar die La&#x0364;nder des Ganges, zu unmittel-<lb/>
baren Theilen &#x017F;eines Reiches zu machen. Das Reich Alexanders<lb/>
hatte mit der Indi&#x017F;chen Satrapie im We&#x017F;ten des Indus ein<lb/>
Ende; das Land o&#x017F;twa&#x0364;rts &#x017F;ollte unter einheimi&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten unab-<lb/>
ha&#x0364;ngig, aber unter Macedoni&#x017F;chem Einfluß bleiben, wie er in der<lb/>
eigenthu&#x0364;mlichen Stellung der Fu&#x0364;r&#x017F;ten Taxiles und Porus zu<lb/>
einander und zum Ko&#x0364;nige &#x017F;icher genug begru&#x0364;ndet war; &#x017F;elb&#x017F;t der<lb/>
&#x017F;o hochbegu&#x0364;n&#x017F;tigte Porus erhielt nicht alles Land bis zum o&#x0364;&#x017F;tlichen<lb/>
Grenz&#x017F;trom des Pan&#x017F;chab; wie auf der einen Seite Taxiles, &#x017F;o<lb/>
wurden auf der andern Seite die unabha&#x0364;ngigen Fu&#x0364;r&#x017F;tenthu&#x0364;-<lb/>
mer des Phegeus und Sopeithes ein Gegengewicht, zwei Fu&#x0364;r&#x017F;ten,<lb/>
die zu unbedeutend, um mit eigener Macht etwas wagen zu ko&#x0364;n-<lb/>
nen, einzig in der voll&#x017F;ten Ergebenheit gegen Alexander Kraft und<lb/>
Halt finden konnten. So waren die&#x017F;e Fu&#x0364;r&#x017F;ten, a&#x0364;hnlich dem Rhein-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0435] dentliche Geiſt Alexanders noch aus dem fernſten Oſten her die Zuͤgel der Herrſchaft feſt und ſtreng anzuziehen vermocht haͤtte, ſo waͤren die groͤßten Erfolge in den Gangeslaͤndern fuͤr das Beſte- hen des Reiches am gefaͤhrlichſten geweſen; die ungeheuere Aus- dehnung dieſes Stromgebietes haͤtte einen unverhaͤltnißmaͤßigen Aufwand von abendlaͤudiſchen Beſatzungen gefordert, und endlich doch eine wahrhafte Unterwerfung und Verſchmelzung mit dem Reiche unmoͤglich gemacht. Dazu kam, daß eine Wuͤſte von nicht geringerer Ausdehnung als die Halbinſel Kleinaſien, die Oſtlaͤnder vom Fuͤnfſtromlande ſcheidet; ohne Baum, ohne Gras, ohne an- deres Waſſer als das brakige der engen bis dreihundert Fuß tiefen Brunnen, unertraͤglich durch den wehenden Flugſand, durch den gluͤhenden Staub, der in der ſchwuͤlen Luft flirrt, noch gefaͤhrli- cher durch den ploͤtzlichen Wechſel der Tageshitze und der naͤchtli- chen Kuͤhle, iſt dieſe furchtbare Einoͤde die faſt unuͤberwindliche Vormauer des Gangeslandes; nur ein Weg fuͤhrt vom Norden am Saume der Imausketten vom Hyphaſis und Heſudrus zu den Stroͤmen des Ganges, und mit Recht nennen ihn die Mor- genlaͤnder ein zu ſchwaches Band, um das große und uͤberreiche Gangesland an die Krone von Perſien zu heften. Endlich muß man behaupten, daß Alexanders Politik, wenn man ſie von dem erſten Eintritt in das Indiſche Land an verfolgt, auf das Entſchie- denſte dahin weiſet, daß es ſeine Abſicht nicht geweſen iſt, das Fuͤnfſtromland, geſchweige gar die Laͤnder des Ganges, zu unmittel- baren Theilen ſeines Reiches zu machen. Das Reich Alexanders hatte mit der Indiſchen Satrapie im Weſten des Indus ein Ende; das Land oſtwaͤrts ſollte unter einheimiſchen Fuͤrſten unab- haͤngig, aber unter Macedoniſchem Einfluß bleiben, wie er in der eigenthuͤmlichen Stellung der Fuͤrſten Taxiles und Porus zu einander und zum Koͤnige ſicher genug begruͤndet war; ſelbſt der ſo hochbeguͤnſtigte Porus erhielt nicht alles Land bis zum oͤſtlichen Grenzſtrom des Panſchab; wie auf der einen Seite Taxiles, ſo wurden auf der andern Seite die unabhaͤngigen Fuͤrſtenthuͤ- mer des Phegeus und Sopeithes ein Gegengewicht, zwei Fuͤrſten, die zu unbedeutend, um mit eigener Macht etwas wagen zu koͤn- nen, einzig in der vollſten Ergebenheit gegen Alexander Kraft und Halt finden konnten. So waren dieſe Fuͤrſten, aͤhnlich dem Rhein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/435
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/435>, abgerufen am 22.11.2024.