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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Gnade und Ungnade; nach anderen Nachrichten wurde auch sie mit
Sturm genommen und die Bevölkerung niedergemacht 46). Wie
dem auch sei, Alexander mußte gegen die aufrührerischen Barbaren
dieser Gegend um so strenger verfahren, je wichtiger ihr Gebiet
war, er mußte sich um jeden Preis in vollkommen sicheren Besitz
dieser Paßgegend zu setzen suchen, ohne welche an die Behauptung
des Sogdischen Landes nicht zu denken war; mit dem Blute vieler
Tausende, mit der Auflösung aller alten Verhältnisse mußte die
Einführung des Neuen, das Transoxiana für Jahrhunderte umge-
stalten sollte, beginnen.

Durch die Unterwerfung der sieben Städte, aus denen die
Reste der Bevölkerung zum Theil in Fesseln mitgeschleppt wurden,
um in der neuen Stadt Alexandria am Tanais angesiedelt zu wer-
den, hatte sich Alexander den freien Rückweg nach Sogdiana er-
kämpft, und allerdings war es die höchste Zeit, daß die in Mara-
kanda zurückgelassene und von Spitamenes belagerte Besatzung Hülfe
erhielt. Zugleich aber standen die Scythischen Horden, durch die Em-
pörung der sieben Städte gelockt, an den Nordufern des Stromes
bereit, über die Macedonier herzufallen; wollte Alexander nicht alle
am Tanais errungenen Vortheile und eine Zukunft neuen Ruhmes
und neuer Macht aufgeben, so mußte er die am Strome genom-
mene Position auf das Vollständigste befestigen, und den Scythen
ein für Allemal die Lust zu Invasionen verleiden, bevor er nach
Sogdiana zurückkehrte; vorläufig schien es genug, wenn einige tau-
send Mann zum Entsatz von Marakanda geschickt wurden. So wurden
demnach in einem Zeitraume von etwa zwanzig Tagen die Werke
der neuen Stadt, die gegen dreiviertel Meilen Umfang hatten, vollendet,

46) Arrian. IV. 3. Curtius VII. 6. stimmt weder mit Ptole-
mäus noch mit Aristobulus überein; die Ermordung von 50 Mace-
donischen Reutern, wie er sie erzählt, scheint etwas romanhaft; denn
jedenfalls würden sich Alexanders Truppen in jener gefährlichen
Zeit vorsichtiger benommen haben. So viel indeß ist ihm zu glau-
ben, daß die Cyrusstadt so wie die anderen Grenzfesten zerstört wur-
den, denn Alexander veränderte mit der Anlage von Alexandrien
das frühere Vertheidigungssystem dieser Gegend, das von Cyrus
und Semiramis herstammen sollte (Justin. XII. 5. und Curt.)

Gnade und Ungnade; nach anderen Nachrichten wurde auch ſie mit
Sturm genommen und die Bevoͤlkerung niedergemacht 46). Wie
dem auch ſei, Alexander mußte gegen die aufruͤhreriſchen Barbaren
dieſer Gegend um ſo ſtrenger verfahren, je wichtiger ihr Gebiet
war, er mußte ſich um jeden Preis in vollkommen ſicheren Beſitz
dieſer Paßgegend zu ſetzen ſuchen, ohne welche an die Behauptung
des Sogdiſchen Landes nicht zu denken war; mit dem Blute vieler
Tauſende, mit der Aufloͤſung aller alten Verhaͤltniſſe mußte die
Einfuͤhrung des Neuen, das Transoxiana fuͤr Jahrhunderte umge-
ſtalten ſollte, beginnen.

Durch die Unterwerfung der ſieben Staͤdte, aus denen die
Reſte der Bevoͤlkerung zum Theil in Feſſeln mitgeſchleppt wurden,
um in der neuen Stadt Alexandria am Tanais angeſiedelt zu wer-
den, hatte ſich Alexander den freien Ruͤckweg nach Sogdiana er-
kaͤmpft, und allerdings war es die hoͤchſte Zeit, daß die in Mara-
kanda zuruͤckgelaſſene und von Spitamenes belagerte Beſatzung Huͤlfe
erhielt. Zugleich aber ſtanden die Scythiſchen Horden, durch die Em-
poͤrung der ſieben Staͤdte gelockt, an den Nordufern des Stromes
bereit, uͤber die Macedonier herzufallen; wollte Alexander nicht alle
am Tanais errungenen Vortheile und eine Zukunft neuen Ruhmes
und neuer Macht aufgeben, ſo mußte er die am Strome genom-
mene Poſition auf das Vollſtaͤndigſte befeſtigen, und den Scythen
ein fuͤr Allemal die Luſt zu Invaſionen verleiden, bevor er nach
Sogdiana zuruͤckkehrte; vorlaͤufig ſchien es genug, wenn einige tau-
ſend Mann zum Entſatz von Marakanda geſchickt wurden. So wurden
demnach in einem Zeitraume von etwa zwanzig Tagen die Werke
der neuen Stadt, die gegen dreiviertel Meilen Umfang hatten, vollendet,

46) Arrian. IV. 3. Curtius VII. 6. ſtimmt weder mit Ptole-
maͤus noch mit Ariſtobulus uͤberein; die Ermordung von 50 Mace-
doniſchen Reutern, wie er ſie erzaͤhlt, ſcheint etwas romanhaft; denn
jedenfalls wuͤrden ſich Alexanders Truppen in jener gefaͤhrlichen
Zeit vorſichtiger benommen haben. So viel indeß iſt ihm zu glau-
ben, daß die Cyrusſtadt ſo wie die anderen Grenzfeſten zerſtoͤrt wur-
den, denn Alexander veraͤnderte mit der Anlage von Alexandrien
das fruͤhere Vertheidigungsſyſtem dieſer Gegend, das von Cyrus
und Semiramis herſtammen ſollte (Justin. XII. 5. und Curt.)
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[317/0331] Gnade und Ungnade; nach anderen Nachrichten wurde auch ſie mit Sturm genommen und die Bevoͤlkerung niedergemacht 46). Wie dem auch ſei, Alexander mußte gegen die aufruͤhreriſchen Barbaren dieſer Gegend um ſo ſtrenger verfahren, je wichtiger ihr Gebiet war, er mußte ſich um jeden Preis in vollkommen ſicheren Beſitz dieſer Paßgegend zu ſetzen ſuchen, ohne welche an die Behauptung des Sogdiſchen Landes nicht zu denken war; mit dem Blute vieler Tauſende, mit der Aufloͤſung aller alten Verhaͤltniſſe mußte die Einfuͤhrung des Neuen, das Transoxiana fuͤr Jahrhunderte umge- ſtalten ſollte, beginnen. Durch die Unterwerfung der ſieben Staͤdte, aus denen die Reſte der Bevoͤlkerung zum Theil in Feſſeln mitgeſchleppt wurden, um in der neuen Stadt Alexandria am Tanais angeſiedelt zu wer- den, hatte ſich Alexander den freien Ruͤckweg nach Sogdiana er- kaͤmpft, und allerdings war es die hoͤchſte Zeit, daß die in Mara- kanda zuruͤckgelaſſene und von Spitamenes belagerte Beſatzung Huͤlfe erhielt. Zugleich aber ſtanden die Scythiſchen Horden, durch die Em- poͤrung der ſieben Staͤdte gelockt, an den Nordufern des Stromes bereit, uͤber die Macedonier herzufallen; wollte Alexander nicht alle am Tanais errungenen Vortheile und eine Zukunft neuen Ruhmes und neuer Macht aufgeben, ſo mußte er die am Strome genom- mene Poſition auf das Vollſtaͤndigſte befeſtigen, und den Scythen ein fuͤr Allemal die Luſt zu Invaſionen verleiden, bevor er nach Sogdiana zuruͤckkehrte; vorlaͤufig ſchien es genug, wenn einige tau- ſend Mann zum Entſatz von Marakanda geſchickt wurden. So wurden demnach in einem Zeitraume von etwa zwanzig Tagen die Werke der neuen Stadt, die gegen dreiviertel Meilen Umfang hatten, vollendet, 46) Arrian. IV. 3. Curtius VII. 6. ſtimmt weder mit Ptole- maͤus noch mit Ariſtobulus uͤberein; die Ermordung von 50 Mace- doniſchen Reutern, wie er ſie erzaͤhlt, ſcheint etwas romanhaft; denn jedenfalls wuͤrden ſich Alexanders Truppen in jener gefaͤhrlichen Zeit vorſichtiger benommen haben. So viel indeß iſt ihm zu glau- ben, daß die Cyrusſtadt ſo wie die anderen Grenzfeſten zerſtoͤrt wur- den, denn Alexander veraͤnderte mit der Anlage von Alexandrien das fruͤhere Vertheidigungsſyſtem dieſer Gegend, das von Cyrus und Semiramis herſtammen ſollte (Justin. XII. 5. und Curt.)

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/331>, abgerufen am 25.11.2024.