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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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ner Flucht verbrannt; hindurchzuschwimmen oder hindurchzuwaten
war bei der Breite und Tiefe des Stromes unmöglich; eine Brücke
zu schlagen zu zeitraubend, da man weder Holzung genug in der
Nähe hatte, noch das weiche Sandbette und der heftige Strom des
Flusses das Einrammen von Pfählen leicht hätte bewerkstelligen lassen.
Alexander griff zu demselben Mittel, dessen er sich an der Donau
mit so gutem Erfolg bedient hatte; er ließ die Felle, unter denen
die Truppen zelteten, mit Stroh füllen und fest zunähen, dann zu-
sammenbinden, pontonartig ins Wasser legen, mit Balken und Bret-
tern überdecken und so eine fliegende Brücke zu Stande bringen,
über welche das gesammte Heer in Zeit von fünf Tagen den Strom
passirte 33). Ohne Aufenthalt rückte Alexander auf der Straße
von Nautaka vor; sein Weg führte ihn an einer von Griechen be-
wohnten Ortschaft vorüber; es waren die Nachkommen jener Bran-
chiden, die vor 150 Jahren dem König Xerxes den Tempelschatz
von Milet verrathen hatten, und dann nach der Salaminischen Nie-
derlage, vor den erbitterten Milesiern in Furcht, geflüchtet waren,
worauf sie Xerxes in diesen fernen Gegenden angesiedelt hatte; in
ihrer Sitte und Sprache schon halb Barbaren, schienen sie um so
weniger Verzeihung für das Verbrechen ihrer Väter zu verdienen,
da sie nicht einmal jetzt dem Interesse des Macedonischen Siegers
dienen zu wollen schienen; Alexander, so heißt es, strafte die Nach-

33) Arrian. III. 29. Itin. Alex. c. 77. Dieser Uebergang über
den Oxus wurde wahrscheinlich bei Kilif (Ford of Kilif bei Babet
p. 36; 8 lieues
von Balk, Chereffeddin II. 2. p. 205.) oder noch
weiter stromabwärts, gewiß aber nicht bei Termez (2 Tagereisen
von Balk s. Ebn Haukal p. 228.) bewerkstelligt, da Alexander nicht
durch die Pässe des Karatagh, sondern auf der Südstraße am Saum
der Wüste gen Nautaka gehen mußte. Warum Bessus diesen Weg
der Flucht genommen, ist leicht zu erkennen. Nautaka muß, wie
man aus dem Zusammenhange aller Bewegungen sieht, in dem Kanton
des Kokscha (Karshi) zu suchen sein, wo das reizende Kesch und Nach-
schab oder Karshi, Timurs Winterresidenz, von alter Berühmtheit
sind; der Name, die Richtung der Wege und Alexanders spätere Can-
tonirungen lassen vermuthen, daß Nautaka und Nachschab densel-
ben Ort bezeichnen.

ner Flucht verbrannt; hindurchzuſchwimmen oder hindurchzuwaten
war bei der Breite und Tiefe des Stromes unmoͤglich; eine Bruͤcke
zu ſchlagen zu zeitraubend, da man weder Holzung genug in der
Naͤhe hatte, noch das weiche Sandbette und der heftige Strom des
Fluſſes das Einrammen von Pfaͤhlen leicht haͤtte bewerkſtelligen laſſen.
Alexander griff zu demſelben Mittel, deſſen er ſich an der Donau
mit ſo gutem Erfolg bedient hatte; er ließ die Felle, unter denen
die Truppen zelteten, mit Stroh fuͤllen und feſt zunaͤhen, dann zu-
ſammenbinden, pontonartig ins Waſſer legen, mit Balken und Bret-
tern uͤberdecken und ſo eine fliegende Bruͤcke zu Stande bringen,
uͤber welche das geſammte Heer in Zeit von fuͤnf Tagen den Strom
paſſirte 33). Ohne Aufenthalt ruͤckte Alexander auf der Straße
von Nautaka vor; ſein Weg fuͤhrte ihn an einer von Griechen be-
wohnten Ortſchaft voruͤber; es waren die Nachkommen jener Bran-
chiden, die vor 150 Jahren dem Koͤnig Xerxes den Tempelſchatz
von Milet verrathen hatten, und dann nach der Salaminiſchen Nie-
derlage, vor den erbitterten Mileſiern in Furcht, gefluͤchtet waren,
worauf ſie Xerxes in dieſen fernen Gegenden angeſiedelt hatte; in
ihrer Sitte und Sprache ſchon halb Barbaren, ſchienen ſie um ſo
weniger Verzeihung fuͤr das Verbrechen ihrer Vaͤter zu verdienen,
da ſie nicht einmal jetzt dem Intereſſe des Macedoniſchen Siegers
dienen zu wollen ſchienen; Alexander, ſo heißt es, ſtrafte die Nach-

33) Arrian. III. 29. Itin. Alex. c. 77. Dieſer Uebergang uͤber
den Oxus wurde wahrſcheinlich bei Kilif (Ford of Kilif bei Babet
p. 36; 8 lieues
von Balk, Chereffeddin II. 2. p. 205.) oder noch
weiter ſtromabwaͤrts, gewiß aber nicht bei Termez (2 Tagereiſen
von Balk ſ. Ebn Haukal p. 228.) bewerkſtelligt, da Alexander nicht
durch die Paͤſſe des Karatagh, ſondern auf der Suͤdſtraße am Saum
der Wuͤſte gen Nautaka gehen mußte. Warum Beſſus dieſen Weg
der Flucht genommen, iſt leicht zu erkennen. Nautaka muß, wie
man aus dem Zuſammenhange aller Bewegungen ſieht, in dem Kanton
des Kokſcha (Karſhi) zu ſuchen ſein, wo das reizende Keſch und Nach-
ſchab oder Karſhi, Timurs Winterreſidenz, von alter Beruͤhmtheit
ſind; der Name, die Richtung der Wege und Alexanders ſpaͤtere Can-
tonirungen laſſen vermuthen, daß Nautaka und Nachſchab denſel-
ben Ort bezeichnen.
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[306/0320] ner Flucht verbrannt; hindurchzuſchwimmen oder hindurchzuwaten war bei der Breite und Tiefe des Stromes unmoͤglich; eine Bruͤcke zu ſchlagen zu zeitraubend, da man weder Holzung genug in der Naͤhe hatte, noch das weiche Sandbette und der heftige Strom des Fluſſes das Einrammen von Pfaͤhlen leicht haͤtte bewerkſtelligen laſſen. Alexander griff zu demſelben Mittel, deſſen er ſich an der Donau mit ſo gutem Erfolg bedient hatte; er ließ die Felle, unter denen die Truppen zelteten, mit Stroh fuͤllen und feſt zunaͤhen, dann zu- ſammenbinden, pontonartig ins Waſſer legen, mit Balken und Bret- tern uͤberdecken und ſo eine fliegende Bruͤcke zu Stande bringen, uͤber welche das geſammte Heer in Zeit von fuͤnf Tagen den Strom paſſirte 33). Ohne Aufenthalt ruͤckte Alexander auf der Straße von Nautaka vor; ſein Weg fuͤhrte ihn an einer von Griechen be- wohnten Ortſchaft voruͤber; es waren die Nachkommen jener Bran- chiden, die vor 150 Jahren dem Koͤnig Xerxes den Tempelſchatz von Milet verrathen hatten, und dann nach der Salaminiſchen Nie- derlage, vor den erbitterten Mileſiern in Furcht, gefluͤchtet waren, worauf ſie Xerxes in dieſen fernen Gegenden angeſiedelt hatte; in ihrer Sitte und Sprache ſchon halb Barbaren, ſchienen ſie um ſo weniger Verzeihung fuͤr das Verbrechen ihrer Vaͤter zu verdienen, da ſie nicht einmal jetzt dem Intereſſe des Macedoniſchen Siegers dienen zu wollen ſchienen; Alexander, ſo heißt es, ſtrafte die Nach- 33) Arrian. III. 29. Itin. Alex. c. 77. Dieſer Uebergang uͤber den Oxus wurde wahrſcheinlich bei Kilif (Ford of Kilif bei Babet p. 36; 8 lieues von Balk, Chereffeddin II. 2. p. 205.) oder noch weiter ſtromabwaͤrts, gewiß aber nicht bei Termez (2 Tagereiſen von Balk ſ. Ebn Haukal p. 228.) bewerkſtelligt, da Alexander nicht durch die Paͤſſe des Karatagh, ſondern auf der Suͤdſtraße am Saum der Wuͤſte gen Nautaka gehen mußte. Warum Beſſus dieſen Weg der Flucht genommen, iſt leicht zu erkennen. Nautaka muß, wie man aus dem Zuſammenhange aller Bewegungen ſieht, in dem Kanton des Kokſcha (Karſhi) zu ſuchen ſein, wo das reizende Keſch und Nach- ſchab oder Karſhi, Timurs Winterreſidenz, von alter Beruͤhmtheit ſind; der Name, die Richtung der Wege und Alexanders ſpaͤtere Can- tonirungen laſſen vermuthen, daß Nautaka und Nachſchab denſel- ben Ort bezeichnen.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/320>, abgerufen am 25.04.2024.