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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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sein sollte, vereint werden. Die Spartaner der Thermopylen hat-
ten für die Freiheit zu sterben, die Athener bei Salamis und am
Eurymedon für sie zu siegen gewußt; aber das Reich der Knecht-
schaft vernichten konnte nicht Athen noch Sparta, sondern nur ein
König Macedoniens an der Spitze des freien Griechenlandes.


Wenn in dieser Weise auf der Europäischen Seite alles zum
letzten, entscheidenden Kampfe bereit war, so hatte in entsprechender
Weise das große Reich der Perser alle Stadien der Entwickelung
und der Auflösung durchgemacht, um jetzt, zum Untergange reif,
vor den siegreichen Schaaren Griechenlands zu fallen.

Das Perserreich hatte zur Aufgabe, die durch natürliche
Bestimmungen geschiedenen Völker Asiens zu einer Gesammtheit zu
vereinen; die Berechtigung dazu lag in der höheren ethischen Kraft,
mit der die Perser den anderen Völkern gegenüber auftraten; reli-
giöse Sagen haben die Erinnerung daran auf unzweideutige Weise
aufbewahrt; Dsjemschid und Gustasp, die Hom- und Zerdutsch-
Religion bezeichnen die Epochen dieses Fortschrittes.

Denn die Hochebene Irans durchschwärmten vom Indus bis
zum Kaspischen Meere nomadische Horden; da erschien der Ver-
künder des alten Gesetzes, der Schutzgeist der Menschen, Hom,
und verkündete seine Lehre dem Vater Dsjemschids, und die
Menschen begannen sich anzusiedeln und den Acker zu bebauen; und
als Dsjemschid König wurde, ordnete er das Leben seiner Völker
und die Stände seines Reiches; unter dem Glanze seiner Herrschaft
starben die Thiere nicht, an Wasser und Früchten war kein Man-
gel, es war nicht Frost noch Hitze, nicht Tod noch Leidenschaft.
Und er sprach: "Verstand ist durch mich, gleich mir ist noch keiner
gekrönt, die Erde ist geworden wie ich verlangt, Speise und Schlaf
und Freude haben die Menschen durch mich, die Gewalt ist bei
mir und den Tod habe ich von der Erde genommen, drum müssen
sie mich den Weltschöpfer nennen." Da wich der Glanz Gottes
von ihm, und es begann eine Zeit wilden Aufruhrs, aus der end-
lich siegend der Held Feridun hervorging.

Nach diesen Kämpfen und durch sie gekräftigt und erstarkt,
war das Volk von Iran reif zu der neuen Lehre und zu dem

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ſein ſollte, vereint werden. Die Spartaner der Thermopylen hat-
ten für die Freiheit zu ſterben, die Athener bei Salamis und am
Eurymedon für ſie zu ſiegen gewußt; aber das Reich der Knecht-
ſchaft vernichten konnte nicht Athen noch Sparta, ſondern nur ein
König Macedoniens an der Spitze des freien Griechenlandes.


Wenn in dieſer Weiſe auf der Europäiſchen Seite alles zum
letzten, entſcheidenden Kampfe bereit war, ſo hatte in entſprechender
Weiſe das große Reich der Perſer alle Stadien der Entwickelung
und der Auflöſung durchgemacht, um jetzt, zum Untergange reif,
vor den ſiegreichen Schaaren Griechenlands zu fallen.

Das Perſerreich hatte zur Aufgabe, die durch natürliche
Beſtimmungen geſchiedenen Völker Aſiens zu einer Geſammtheit zu
vereinen; die Berechtigung dazu lag in der höheren ethiſchen Kraft,
mit der die Perſer den anderen Völkern gegenüber auftraten; reli-
giöſe Sagen haben die Erinnerung daran auf unzweideutige Weiſe
aufbewahrt; Dſjemſchid und Guſtaſp, die Hom- und Zerdutſch-
Religion bezeichnen die Epochen dieſes Fortſchrittes.

Denn die Hochebene Irans durchſchwärmten vom Indus bis
zum Kaspiſchen Meere nomadiſche Horden; da erſchien der Ver-
künder des alten Geſetzes, der Schutzgeiſt der Menſchen, Hom,
und verkündete ſeine Lehre dem Vater Dſjemſchids, und die
Menſchen begannen ſich anzuſiedeln und den Acker zu bebauen; und
als Dſjemſchid König wurde, ordnete er das Leben ſeiner Völker
und die Stände ſeines Reiches; unter dem Glanze ſeiner Herrſchaft
ſtarben die Thiere nicht, an Waſſer und Früchten war kein Man-
gel, es war nicht Froſt noch Hitze, nicht Tod noch Leidenſchaft.
Und er ſprach: „Verſtand iſt durch mich, gleich mir iſt noch keiner
gekrönt, die Erde iſt geworden wie ich verlangt, Speiſe und Schlaf
und Freude haben die Menſchen durch mich, die Gewalt iſt bei
mir und den Tod habe ich von der Erde genommen, drum müſſen
ſie mich den Weltſchöpfer nennen.“ Da wich der Glanz Gottes
von ihm, und es begann eine Zeit wilden Aufruhrs, aus der end-
lich ſiegend der Held Feridun hervorging.

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war das Volk von Iran reif zu der neuen Lehre und zu dem

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[17/0031] ſein ſollte, vereint werden. Die Spartaner der Thermopylen hat- ten für die Freiheit zu ſterben, die Athener bei Salamis und am Eurymedon für ſie zu ſiegen gewußt; aber das Reich der Knecht- ſchaft vernichten konnte nicht Athen noch Sparta, ſondern nur ein König Macedoniens an der Spitze des freien Griechenlandes. Wenn in dieſer Weiſe auf der Europäiſchen Seite alles zum letzten, entſcheidenden Kampfe bereit war, ſo hatte in entſprechender Weiſe das große Reich der Perſer alle Stadien der Entwickelung und der Auflöſung durchgemacht, um jetzt, zum Untergange reif, vor den ſiegreichen Schaaren Griechenlands zu fallen. Das Perſerreich hatte zur Aufgabe, die durch natürliche Beſtimmungen geſchiedenen Völker Aſiens zu einer Geſammtheit zu vereinen; die Berechtigung dazu lag in der höheren ethiſchen Kraft, mit der die Perſer den anderen Völkern gegenüber auftraten; reli- giöſe Sagen haben die Erinnerung daran auf unzweideutige Weiſe aufbewahrt; Dſjemſchid und Guſtaſp, die Hom- und Zerdutſch- Religion bezeichnen die Epochen dieſes Fortſchrittes. Denn die Hochebene Irans durchſchwärmten vom Indus bis zum Kaspiſchen Meere nomadiſche Horden; da erſchien der Ver- künder des alten Geſetzes, der Schutzgeiſt der Menſchen, Hom, und verkündete ſeine Lehre dem Vater Dſjemſchids, und die Menſchen begannen ſich anzuſiedeln und den Acker zu bebauen; und als Dſjemſchid König wurde, ordnete er das Leben ſeiner Völker und die Stände ſeines Reiches; unter dem Glanze ſeiner Herrſchaft ſtarben die Thiere nicht, an Waſſer und Früchten war kein Man- gel, es war nicht Froſt noch Hitze, nicht Tod noch Leidenſchaft. Und er ſprach: „Verſtand iſt durch mich, gleich mir iſt noch keiner gekrönt, die Erde iſt geworden wie ich verlangt, Speiſe und Schlaf und Freude haben die Menſchen durch mich, die Gewalt iſt bei mir und den Tod habe ich von der Erde genommen, drum müſſen ſie mich den Weltſchöpfer nennen.“ Da wich der Glanz Gottes von ihm, und es begann eine Zeit wilden Aufruhrs, aus der end- lich ſiegend der Held Feridun hervorging. Nach dieſen Kämpfen und durch ſie gekräftigt und erſtarkt, war das Volk von Iran reif zu der neuen Lehre und zu dem 2

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/31>, abgerufen am 25.04.2024.