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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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des ungeheuren Reiches und die Vereinigung des abend- und morgen-
ländischen Lebens ausprägte, durch die Gewalt der Umstände und
im Sinne seines großen Planes das morgenländische Wesen in der
ausgedehntesten Weise anzuerkennen und an sich heranzuziehen; und
wenn sich das Hellenistische Reich Alexanders in der Form zunächst
wenig von der Achämenidenherrschaft unterscheiden mochte, so lag
ein wesentlicher und in seinen Folgen unberechenbarer Unterschied in
der neuen Kraft, welche über Asien zu herrschen begann; dem
unendlich beweglichen und durchbildeten Geiste des Griechenthums
durfte die Vollendung dessen, was die Siege der Macedonischen
Waffen begonnen hatten, überlassen werden. Von jener Anerkenntniß
bestehender Verhältnisse und Vorurtheile hing für den Anfang die
Existenz des neuen Reiches ab; die Persischen Satrapen, an die sich
die Völker im Lauf der Jahrhunderte gewöhnt hatten, sofort mit
Macedonischen Generalen, die althergebrachten Formen der Verfas-
sung gar mit neuen Institutionen im Sinne der Europäischen Mo-
narchie vertauschen zu wollen, wäre Wahnsinn gewesen; die Persi-
schen Großen, die morgenländischen Sitten, der Glaube an die gött-
liche Majestät des Königthums, endlich ein freies Nebeneinander des
Griechischen und morgenländischen Wesens, das waren die natür-
lichen Mittel, den neuen Thron fest zu gründen und der begonnenen
Ineinsbildung eine Zukunft zu sichern.

Alexander selbst war das große Vorbild dieser Ineinsbildung;
er liebte es, sie in seinem äußeren Leben und in seiner Umgebung
hervortreten zu lassen; seit dem Tode des Königs Darius begann er,
Asiaten, die zu ihm kamen, im Persischen Kleide zu empfangen und
die nüchterne Mäßigkeit des Macedonischen Feldlagers mit dem blen-
denden Pomp des morgenländischen Hoflebens abwechseln zu lassen;
so gewann er die Asiaten, ohne sich die Macedonier zu entfremden,
die ihren König nach wie vor im Kampf voran, unermüdlich bei
Strapazen, voll Sorge und Umsicht für die Truppen, jedem Einzel-
nen gnädig und zuzänglich sahen 14).

Anders die Macedonischen Großen; nicht alle begriffen wie
Hephästion die Absichten und die Politik ihres Königs, oder hatten,
wie Kraterus, Hingebung und Selbstverläugnung genug, dieselbe

14) Plut. Alex. 45.
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des ungeheuren Reiches und die Vereinigung des abend- und morgen-
ländiſchen Lebens ausprägte, durch die Gewalt der Umſtände und
im Sinne ſeines großen Planes das morgenländiſche Weſen in der
ausgedehnteſten Weiſe anzuerkennen und an ſich heranzuziehen; und
wenn ſich das Helleniſtiſche Reich Alexanders in der Form zunächſt
wenig von der Achämenidenherrſchaft unterſcheiden mochte, ſo lag
ein weſentlicher und in ſeinen Folgen unberechenbarer Unterſchied in
der neuen Kraft, welche über Aſien zu herrſchen begann; dem
unendlich beweglichen und durchbildeten Geiſte des Griechenthums
durfte die Vollendung deſſen, was die Siege der Maçedoniſchen
Waffen begonnen hatten, überlaſſen werden. Von jener Anerkenntniß
beſtehender Verhältniſſe und Vorurtheile hing für den Anfang die
Exiſtenz des neuen Reiches ab; die Perſiſchen Satrapen, an die ſich
die Völker im Lauf der Jahrhunderte gewöhnt hatten, ſofort mit
Macedoniſchen Generalen, die althergebrachten Formen der Verfaſ-
ſung gar mit neuen Inſtitutionen im Sinne der Europäiſchen Mo-
narchie vertauſchen zu wollen, wäre Wahnſinn geweſen; die Perſi-
ſchen Großen, die morgenländiſchen Sitten, der Glaube an die gött-
liche Majeſtät des Königthums, endlich ein freies Nebeneinander des
Griechiſchen und morgenländiſchen Weſens, das waren die natür-
lichen Mittel, den neuen Thron feſt zu gründen und der begonnenen
Ineinsbildung eine Zukunft zu ſichern.

Alexander ſelbſt war das große Vorbild dieſer Ineinsbildung;
er liebte es, ſie in ſeinem äußeren Leben und in ſeiner Umgebung
hervortreten zu laſſen; ſeit dem Tode des Königs Darius begann er,
Aſiaten, die zu ihm kamen, im Perſiſchen Kleide zu empfangen und
die nüchterne Mäßigkeit des Macedoniſchen Feldlagers mit dem blen-
denden Pomp des morgenländiſchen Hoflebens abwechſeln zu laſſen;
ſo gewann er die Aſiaten, ohne ſich die Macedonier zu entfremden,
die ihren König nach wie vor im Kampf voran, unermüdlich bei
Strapazen, voll Sorge und Umſicht für die Truppen, jedem Einzel-
nen gnädig und zuzänglich ſahen 14).

Anders die Macedoniſchen Großen; nicht alle begriffen wie
Hephäſtion die Abſichten und die Politik ihres Königs, oder hatten,
wie Kraterus, Hingebung und Selbſtverläugnung genug, dieſelbe

14) Plut. Alex. 45.
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[289/0303] des ungeheuren Reiches und die Vereinigung des abend- und morgen- ländiſchen Lebens ausprägte, durch die Gewalt der Umſtände und im Sinne ſeines großen Planes das morgenländiſche Weſen in der ausgedehnteſten Weiſe anzuerkennen und an ſich heranzuziehen; und wenn ſich das Helleniſtiſche Reich Alexanders in der Form zunächſt wenig von der Achämenidenherrſchaft unterſcheiden mochte, ſo lag ein weſentlicher und in ſeinen Folgen unberechenbarer Unterſchied in der neuen Kraft, welche über Aſien zu herrſchen begann; dem unendlich beweglichen und durchbildeten Geiſte des Griechenthums durfte die Vollendung deſſen, was die Siege der Maçedoniſchen Waffen begonnen hatten, überlaſſen werden. Von jener Anerkenntniß beſtehender Verhältniſſe und Vorurtheile hing für den Anfang die Exiſtenz des neuen Reiches ab; die Perſiſchen Satrapen, an die ſich die Völker im Lauf der Jahrhunderte gewöhnt hatten, ſofort mit Macedoniſchen Generalen, die althergebrachten Formen der Verfaſ- ſung gar mit neuen Inſtitutionen im Sinne der Europäiſchen Mo- narchie vertauſchen zu wollen, wäre Wahnſinn geweſen; die Perſi- ſchen Großen, die morgenländiſchen Sitten, der Glaube an die gött- liche Majeſtät des Königthums, endlich ein freies Nebeneinander des Griechiſchen und morgenländiſchen Weſens, das waren die natür- lichen Mittel, den neuen Thron feſt zu gründen und der begonnenen Ineinsbildung eine Zukunft zu ſichern. Alexander ſelbſt war das große Vorbild dieſer Ineinsbildung; er liebte es, ſie in ſeinem äußeren Leben und in ſeiner Umgebung hervortreten zu laſſen; ſeit dem Tode des Königs Darius begann er, Aſiaten, die zu ihm kamen, im Perſiſchen Kleide zu empfangen und die nüchterne Mäßigkeit des Macedoniſchen Feldlagers mit dem blen- denden Pomp des morgenländiſchen Hoflebens abwechſeln zu laſſen; ſo gewann er die Aſiaten, ohne ſich die Macedonier zu entfremden, die ihren König nach wie vor im Kampf voran, unermüdlich bei Strapazen, voll Sorge und Umſicht für die Truppen, jedem Einzel- nen gnädig und zuzänglich ſahen 14). Anders die Macedoniſchen Großen; nicht alle begriffen wie Hephäſtion die Abſichten und die Politik ihres Königs, oder hatten, wie Kraterus, Hingebung und Selbſtverläugnung genug, dieſelbe 14) Plut. Alex. 45. 19

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/303>, abgerufen am 18.04.2024.