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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Menge der Persischen Wachtfeuer und dem dumpfen Tosen, das
durch die Nacht herübertöne, berichtete: es sei die feindliche Ueber-
macht zu groß, als daß man bei Tage und in offener Schlacht
sich zu messen wagen dürfe; er rathe, jetzt während der Nacht
anzugreifen, das Unvermuthete und die Verwirrung eines Ueber-
falles werde durch die Schrecken der Nacht verdoppelt werden.
Alexander antwortete: "ich stehle den Sieg nicht." Weiter wird
erzählt, daß Alexander sich bald darauf zur Ruhe gelegt und ruhig
den übrigen Theil der Nacht geschlafen habe; schon sei es hoher
Morgen, schon Alles bereit zum Ausrücken gewesen, nur der Kö-
nig habe noch gefehlt; endlich sei der alte Parmenion in sein Zelt gegan-
gen und habe ihn dreimal bei Namen gerufen, bis Alexander sich endlich
ermuntert und gerüstet habe; zwei Erzählungen 28), die man
weder verbürgen noch verwerfen darf, und die, wenn sie geschicht-
lichen Grund haben, die ruhige Zuversicht und den klaren Blick des
großen Königs eben so schön wie der Sieg, dessen Vorboten sie
sind, bewähren; wie der Held vor der Schlacht der Entscheidung
ruhig schläft, wie er die zweideutigen Vortheile eines heimlichen
Ueberfalles verachtet, um den Sieg im offenen Felde zu ertrotzen,
das sind lebendige und sprechende Züge von Feldherrngröße, unter
denen auch die Helden unserer Zeit in dem Gedächtniß ihrer Krie-
ger und ihres Volkes fortleben.

Am Morgen des 1sten Oktobers 29) rückte das Macedonische
Heer aus dem Lager auf den Höhen, zu dessen Deckung ein Theil
der leichten Thracier zurückgelassen wurde. Bald stand das Heer in
der Ebene in Schlachtordnung: die Linie von dem schweren Fuß-
volke gebildet, an die sich rechts bei den Hypaspisten die Macedo-
nische Ritterschaft, links bei der Division Kraterus die Ritter-
schaft der Bundesgenossen und Thessalier anschloß; der rechte Flü-
gel unter Alexander, der den Hauptangriff machen sollte, war in
der Flanke durch einen Theil der Agrianer, der Bogenschützen und
Schleuderer gedeckt. Da aber bei der ungeheueren Uebermacht der
Feinde Ueberflügelung unvermeidlich, zugleich aber besonders darauf

28) Plut. 32. Arrian.
29) Es war einer der letzten Tage
des Monats Boedromion, und diesen Monat bezeichnete Aristanders
Prophezeiung.
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Menge der Perſiſchen Wachtfeuer und dem dumpfen Toſen, das
durch die Nacht herübertöne, berichtete: es ſei die feindliche Ueber-
macht zu groß, als daß man bei Tage und in offener Schlacht
ſich zu meſſen wagen dürfe; er rathe, jetzt während der Nacht
anzugreifen, das Unvermuthete und die Verwirrung eines Ueber-
falles werde durch die Schrecken der Nacht verdoppelt werden.
Alexander antwortete: „ich ſtehle den Sieg nicht.“ Weiter wird
erzählt, daß Alexander ſich bald darauf zur Ruhe gelegt und ruhig
den übrigen Theil der Nacht geſchlafen habe; ſchon ſei es hoher
Morgen, ſchon Alles bereit zum Ausrücken geweſen, nur der Kö-
nig habe noch gefehlt; endlich ſei der alte Parmenion in ſein Zelt gegan-
gen und habe ihn dreimal bei Namen gerufen, bis Alexander ſich endlich
ermuntert und gerüſtet habe; zwei Erzählungen 28), die man
weder verbürgen noch verwerfen darf, und die, wenn ſie geſchicht-
lichen Grund haben, die ruhige Zuverſicht und den klaren Blick des
großen Königs eben ſo ſchön wie der Sieg, deſſen Vorboten ſie
ſind, bewähren; wie der Held vor der Schlacht der Entſcheidung
ruhig ſchläft, wie er die zweideutigen Vortheile eines heimlichen
Ueberfalles verachtet, um den Sieg im offenen Felde zu ertrotzen,
das ſind lebendige und ſprechende Züge von Feldherrngröße, unter
denen auch die Helden unſerer Zeit in dem Gedächtniß ihrer Krie-
ger und ihres Volkes fortleben.

Am Morgen des 1ſten Oktobers 29) rückte das Macedoniſche
Heer aus dem Lager auf den Höhen, zu deſſen Deckung ein Theil
der leichten Thracier zurückgelaſſen wurde. Bald ſtand das Heer in
der Ebene in Schlachtordnung: die Linie von dem ſchweren Fuß-
volke gebildet, an die ſich rechts bei den Hypaspiſten die Macedo-
niſche Ritterſchaft, links bei der Diviſion Kraterus die Ritter-
ſchaft der Bundesgenoſſen und Theſſalier anſchloß; der rechte Flü-
gel unter Alexander, der den Hauptangriff machen ſollte, war in
der Flanke durch einen Theil der Agrianer, der Bogenſchützen und
Schleuderer gedeckt. Da aber bei der ungeheueren Uebermacht der
Feinde Ueberflügelung unvermeidlich, zugleich aber beſonders darauf

28) Plut. 32. Arrian.
29) Es war einer der letzten Tage
des Monats Boedromion, und dieſen Monat bezeichnete Ariſtanders
Prophezeiung.
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[225/0239] Menge der Perſiſchen Wachtfeuer und dem dumpfen Toſen, das durch die Nacht herübertöne, berichtete: es ſei die feindliche Ueber- macht zu groß, als daß man bei Tage und in offener Schlacht ſich zu meſſen wagen dürfe; er rathe, jetzt während der Nacht anzugreifen, das Unvermuthete und die Verwirrung eines Ueber- falles werde durch die Schrecken der Nacht verdoppelt werden. Alexander antwortete: „ich ſtehle den Sieg nicht.“ Weiter wird erzählt, daß Alexander ſich bald darauf zur Ruhe gelegt und ruhig den übrigen Theil der Nacht geſchlafen habe; ſchon ſei es hoher Morgen, ſchon Alles bereit zum Ausrücken geweſen, nur der Kö- nig habe noch gefehlt; endlich ſei der alte Parmenion in ſein Zelt gegan- gen und habe ihn dreimal bei Namen gerufen, bis Alexander ſich endlich ermuntert und gerüſtet habe; zwei Erzählungen 28), die man weder verbürgen noch verwerfen darf, und die, wenn ſie geſchicht- lichen Grund haben, die ruhige Zuverſicht und den klaren Blick des großen Königs eben ſo ſchön wie der Sieg, deſſen Vorboten ſie ſind, bewähren; wie der Held vor der Schlacht der Entſcheidung ruhig ſchläft, wie er die zweideutigen Vortheile eines heimlichen Ueberfalles verachtet, um den Sieg im offenen Felde zu ertrotzen, das ſind lebendige und ſprechende Züge von Feldherrngröße, unter denen auch die Helden unſerer Zeit in dem Gedächtniß ihrer Krie- ger und ihres Volkes fortleben. Am Morgen des 1ſten Oktobers 29) rückte das Macedoniſche Heer aus dem Lager auf den Höhen, zu deſſen Deckung ein Theil der leichten Thracier zurückgelaſſen wurde. Bald ſtand das Heer in der Ebene in Schlachtordnung: die Linie von dem ſchweren Fuß- volke gebildet, an die ſich rechts bei den Hypaspiſten die Macedo- niſche Ritterſchaft, links bei der Diviſion Kraterus die Ritter- ſchaft der Bundesgenoſſen und Theſſalier anſchloß; der rechte Flü- gel unter Alexander, der den Hauptangriff machen ſollte, war in der Flanke durch einen Theil der Agrianer, der Bogenſchützen und Schleuderer gedeckt. Da aber bei der ungeheueren Uebermacht der Feinde Ueberflügelung unvermeidlich, zugleich aber beſonders darauf 28) Plut. 32. Arrian. 29) Es war einer der letzten Tage des Monats Boedromion, und dieſen Monat bezeichnete Ariſtanders Prophezeiung. 15

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/239>, abgerufen am 23.11.2024.