Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

den in die Sclaverei verkauft. Doch war die Lage der Stadt in
jeder Beziehung zu vortheilhaft, als daß Alexander sie hätte vertil-
gen sollen; deshalb bevölkerte er sie von Neuem aus den benach-
barten Ortschaften, und benutzte sie als Waffenplatz für seine wei-
teren Unternehmungen 47).

Jetzt endlich konnte Alexander nach Aegypten hin aufbrechen,
der letzten Mittelländischen Provinz des Perserkönigs, die, wenn sie
treu oder in treuen Händen gewesen wäre, vermöge ihrer günstigen
örtlichen Verhältnisse lange Widerstand zu leisten vermocht hätte.
Aber wie sollte sich das Aegyptische Volk für die Sache eines Kö-
nigs, an den es durch nichts als die Ketten einer ohnmächtigen
und darum doppelt verhaßten Herrschaft gefesselt war, zu kämpfen
bereit fühlen? Ueberdies lag in der Natur der Aegypter weniger
Neigung zum Kampf als zur Ruhe, mehr Geduld und Arbeitsamkeit
als Geist und Kraft, und wenn dessen ungeachtet während der zweihun-
dert Jahre der Dienstbarkeit öfter Versuche gemacht worden waren,
die fremde Herrschaft abzuschütteln, so hat an diesen das Volk im
Ganzen um so weniger Antheil genommen, da es seit der Aus-
wanderung der einheimischen Kriegerkaste daran gewöhnt war, Grie-

47) Curtius ist in der Darstellung dieser Belagerung im Ganzen
mit Arrian in Uebereinstimmung; doch hat er Manches aus dem He-
gesias hinzugethan, was ohne historischen Werth ist, so namentlich
den Mordversuch des Arabischen Ueberläufers, und die Rache an dem
von Philotas und Leonnatus gefangenen Eunuchen Batis (cf. Dionys.
Hal. de structur. or. c.
18.); Curtius nennt jene zwei Namen nicht,
weil nach ihm Philotas in Tyrus zurückgeblieben war. St. Croix
giebt nach Josephus ant. XI. 8., dem er viel zu viel glaubt, die Zeit
der Belagerung von Gaza auf zwei Monate an, für die Errichtung
so großer Dämme gewiß eine zu kurze Zeit; hätte die Belagerung
nicht länger gewährt, so wäre Alexander mit dem Anfang November,
wo das Nilwasser noch nicht wieder in seinem Bette zu sein pflegt,
in Aegypten eingerückt. Daß er erst nach dem 14ten November
(1 Thoth 417 aer. Nab.) nach Memphis gekommen ist, beweiset der
Umstand, daß im Kanon der Könige sein erstes Jahr 417 ist; wäre
er vor dem 14ten November dorthin gekommen, so müßte ihm
schon das Jahr 416 zugeschrieben sein; cf. Ideler Chronol. l. p. 120.

den in die Sclaverei verkauft. Doch war die Lage der Stadt in
jeder Beziehung zu vortheilhaft, als daß Alexander ſie hätte vertil-
gen ſollen; deshalb bevölkerte er ſie von Neuem aus den benach-
barten Ortſchaften, und benutzte ſie als Waffenplatz für ſeine wei-
teren Unternehmungen 47).

Jetzt endlich konnte Alexander nach Aegypten hin aufbrechen,
der letzten Mittelländiſchen Provinz des Perſerkönigs, die, wenn ſie
treu oder in treuen Händen geweſen wäre, vermöge ihrer günſtigen
örtlichen Verhältniſſe lange Widerſtand zu leiſten vermocht hätte.
Aber wie ſollte ſich das Aegyptiſche Volk für die Sache eines Kö-
nigs, an den es durch nichts als die Ketten einer ohnmächtigen
und darum doppelt verhaßten Herrſchaft gefeſſelt war, zu kämpfen
bereit fühlen? Ueberdies lag in der Natur der Aegypter weniger
Neigung zum Kampf als zur Ruhe, mehr Geduld und Arbeitſamkeit
als Geiſt und Kraft, und wenn deſſen ungeachtet während der zweihun-
dert Jahre der Dienſtbarkeit öfter Verſuche gemacht worden waren,
die fremde Herrſchaft abzuſchütteln, ſo hat an dieſen das Volk im
Ganzen um ſo weniger Antheil genommen, da es ſeit der Aus-
wanderung der einheimiſchen Kriegerkaſte daran gewöhnt war, Grie-

47) Curtius iſt in der Darſtellung dieſer Belagerung im Ganzen
mit Arrian in Uebereinſtimmung; doch hat er Manches aus dem He-
geſias hinzugethan, was ohne hiſtoriſchen Werth iſt, ſo namentlich
den Mordverſuch des Arabiſchen Ueberläufers, und die Rache an dem
von Philotas und Leonnatus gefangenen Eunuchen Batis (cf. Dionys.
Hal. de structur. or. c.
18.); Curtius nennt jene zwei Namen nicht,
weil nach ihm Philotas in Tyrus zurückgeblieben war. St. Croix
giebt nach Josephus ant. XI. 8., dem er viel zu viel glaubt, die Zeit
der Belagerung von Gaza auf zwei Monate an, für die Errichtung
ſo großer Dämme gewiß eine zu kurze Zeit; hätte die Belagerung
nicht länger gewährt, ſo wäre Alexander mit dem Anfang November,
wo das Nilwaſſer noch nicht wieder in ſeinem Bette zu ſein pflegt,
in Aegypten eingerückt. Daß er erſt nach dem 14ten November
(1 Thoth 417 aer. Nab.) nach Memphis gekommen iſt, beweiſet der
Umſtand, daß im Kanon der Könige ſein erſtes Jahr 417 iſt; wäre
er vor dem 14ten November dorthin gekommen, ſo müßte ihm
ſchon das Jahr 416 zugeſchrieben ſein; cf. Ideler Chronol. l. p. 120.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="200"/>
den in die Sclaverei verkauft. Doch war die Lage der Stadt in<lb/>
jeder Beziehung zu vortheilhaft, als daß Alexander &#x017F;ie hätte vertil-<lb/>
gen &#x017F;ollen; deshalb bevölkerte er &#x017F;ie von Neuem aus den benach-<lb/>
barten Ort&#x017F;chaften, und benutzte &#x017F;ie als Waffenplatz für &#x017F;eine wei-<lb/>
teren Unternehmungen <note place="foot" n="47)">Curtius i&#x017F;t in der Dar&#x017F;tellung die&#x017F;er Belagerung im Ganzen<lb/>
mit Arrian in Ueberein&#x017F;timmung; doch hat er Manches aus dem He-<lb/>
ge&#x017F;ias hinzugethan, was ohne hi&#x017F;tori&#x017F;chen Werth i&#x017F;t, &#x017F;o namentlich<lb/>
den Mordver&#x017F;uch des Arabi&#x017F;chen Ueberläufers, und die Rache an dem<lb/>
von Philotas und Leonnatus gefangenen Eunuchen Batis (<hi rendition="#aq">cf. Dionys.<lb/>
Hal. de structur. or. c.</hi> 18.); Curtius nennt jene zwei Namen nicht,<lb/>
weil nach ihm Philotas in Tyrus zurückgeblieben war. St. Croix<lb/>
giebt nach <hi rendition="#aq">Josephus ant. XI.</hi> 8., dem er viel zu viel glaubt, die Zeit<lb/>
der Belagerung von Gaza auf zwei Monate an, für die Errichtung<lb/>
&#x017F;o großer Dämme gewiß eine zu kurze Zeit; hätte die Belagerung<lb/>
nicht länger gewährt, &#x017F;o wäre Alexander mit dem Anfang November,<lb/>
wo das Nilwa&#x017F;&#x017F;er noch nicht wieder in &#x017F;einem Bette zu &#x017F;ein pflegt,<lb/>
in Aegypten eingerückt. Daß er er&#x017F;t nach dem 14ten November<lb/>
(1 <hi rendition="#aq">Thoth 417 aer. Nab.</hi>) nach Memphis gekommen i&#x017F;t, bewei&#x017F;et der<lb/>
Um&#x017F;tand, daß im Kanon der Könige &#x017F;ein er&#x017F;tes Jahr 417 i&#x017F;t; wäre<lb/>
er vor dem 14ten November dorthin gekommen, &#x017F;o müßte ihm<lb/>
&#x017F;chon das Jahr 416 zuge&#x017F;chrieben &#x017F;ein; <hi rendition="#aq">cf. Ideler Chronol. l. p.</hi> 120.</note>.</p><lb/>
          <p>Jetzt endlich konnte Alexander nach Aegypten hin aufbrechen,<lb/>
der letzten Mittelländi&#x017F;chen Provinz des Per&#x017F;erkönigs, die, wenn &#x017F;ie<lb/>
treu oder in treuen Händen gewe&#x017F;en wäre, vermöge ihrer gün&#x017F;tigen<lb/>
örtlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e lange Wider&#x017F;tand zu lei&#x017F;ten vermocht hätte.<lb/>
Aber wie &#x017F;ollte &#x017F;ich das Aegypti&#x017F;che Volk für die Sache eines Kö-<lb/>
nigs, an den es durch nichts als die Ketten einer ohnmächtigen<lb/>
und darum doppelt verhaßten Herr&#x017F;chaft gefe&#x017F;&#x017F;elt war, zu kämpfen<lb/>
bereit fühlen? Ueberdies lag in der Natur der Aegypter weniger<lb/>
Neigung zum Kampf als zur Ruhe, mehr Geduld und Arbeit&#x017F;amkeit<lb/>
als Gei&#x017F;t und Kraft, und wenn de&#x017F;&#x017F;en ungeachtet während der zweihun-<lb/>
dert Jahre der Dien&#x017F;tbarkeit öfter Ver&#x017F;uche gemacht worden waren,<lb/>
die fremde Herr&#x017F;chaft abzu&#x017F;chütteln, &#x017F;o hat an die&#x017F;en das Volk im<lb/>
Ganzen um &#x017F;o weniger Antheil genommen, da es &#x017F;eit der Aus-<lb/>
wanderung der einheimi&#x017F;chen Kriegerka&#x017F;te daran gewöhnt war, Grie-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0214] den in die Sclaverei verkauft. Doch war die Lage der Stadt in jeder Beziehung zu vortheilhaft, als daß Alexander ſie hätte vertil- gen ſollen; deshalb bevölkerte er ſie von Neuem aus den benach- barten Ortſchaften, und benutzte ſie als Waffenplatz für ſeine wei- teren Unternehmungen 47). Jetzt endlich konnte Alexander nach Aegypten hin aufbrechen, der letzten Mittelländiſchen Provinz des Perſerkönigs, die, wenn ſie treu oder in treuen Händen geweſen wäre, vermöge ihrer günſtigen örtlichen Verhältniſſe lange Widerſtand zu leiſten vermocht hätte. Aber wie ſollte ſich das Aegyptiſche Volk für die Sache eines Kö- nigs, an den es durch nichts als die Ketten einer ohnmächtigen und darum doppelt verhaßten Herrſchaft gefeſſelt war, zu kämpfen bereit fühlen? Ueberdies lag in der Natur der Aegypter weniger Neigung zum Kampf als zur Ruhe, mehr Geduld und Arbeitſamkeit als Geiſt und Kraft, und wenn deſſen ungeachtet während der zweihun- dert Jahre der Dienſtbarkeit öfter Verſuche gemacht worden waren, die fremde Herrſchaft abzuſchütteln, ſo hat an dieſen das Volk im Ganzen um ſo weniger Antheil genommen, da es ſeit der Aus- wanderung der einheimiſchen Kriegerkaſte daran gewöhnt war, Grie- 47) Curtius iſt in der Darſtellung dieſer Belagerung im Ganzen mit Arrian in Uebereinſtimmung; doch hat er Manches aus dem He- geſias hinzugethan, was ohne hiſtoriſchen Werth iſt, ſo namentlich den Mordverſuch des Arabiſchen Ueberläufers, und die Rache an dem von Philotas und Leonnatus gefangenen Eunuchen Batis (cf. Dionys. Hal. de structur. or. c. 18.); Curtius nennt jene zwei Namen nicht, weil nach ihm Philotas in Tyrus zurückgeblieben war. St. Croix giebt nach Josephus ant. XI. 8., dem er viel zu viel glaubt, die Zeit der Belagerung von Gaza auf zwei Monate an, für die Errichtung ſo großer Dämme gewiß eine zu kurze Zeit; hätte die Belagerung nicht länger gewährt, ſo wäre Alexander mit dem Anfang November, wo das Nilwaſſer noch nicht wieder in ſeinem Bette zu ſein pflegt, in Aegypten eingerückt. Daß er erſt nach dem 14ten November (1 Thoth 417 aer. Nab.) nach Memphis gekommen iſt, beweiſet der Umſtand, daß im Kanon der Könige ſein erſtes Jahr 417 iſt; wäre er vor dem 14ten November dorthin gekommen, ſo müßte ihm ſchon das Jahr 416 zugeſchrieben ſein; cf. Ideler Chronol. l. p. 120.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/214
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/214>, abgerufen am 23.11.2024.