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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Sklaverei. Und zum zweiten Male rüstete der große König, und
die Völker vom Indus und vom Nil strömten über den geknechte-
ten Hellespont nach Europa, die dreihundert Männer der Thermo-
pylen kämpften vergebens, und Theben verbündete sich mit dem
Sklavenheere des Xerxes; Athen fiel in seine Hände, die Tempel,
die Gräber wurden zerstört; die dreihundert Schiffe der Griechen,
ihre letzte Zuflucht, waren von der Perserflotte umzingelt in der
Salaminischen Bucht, und auf der Düne thronte Xerxes auf golde-
nem Throne, um von dort herab den Sieg seiner Völker und den
Untergang der freiheittrotzenden Hellenen zu sehen. Da brachen die
Griechen mit freudigem Schlachtgesang hervor, sie kämpften und
siegten, Scheiter und Leichen bedeckten die See und die Gestade;
der große König zerriß lautjammernd sein Kleid, und floh in blinder
Flucht heimwärts. Die Ueberbleibsel seiner Geschwader vernichtete
der Tag von Mykale, der Jonien zur Freiheit rief; und unter den
Mauern Platää's fielen die letzten Perserschaaren, die Griechenland
gesehen.

Mit diesen Kämpfen war unter den Hellenen ein neues, wun-
derreiches Leben erwacht, das der gefährdeten, ihrer selbst sich be-
wußten Freiheit. Dies Bewußtsein war zugleich Frucht und Saame
der Freiheit, aber die Freiheit, die es zeugte, eine höhere als jene
bewußtlose, natürliche, autochthonische, die, in sich selbst geschlossen,
ohne Kampf, ohne Bethätigung und Berechtigung geblieben war.
Diese bewußtlose Freiheit der vorpersischen Zeit ist in den Dorischen
Staaten,
namentlich in Sparta festgehalten worden; alte Ein-
fachheit und Tüchtigkeit, Ernst und Stätigkeit in öffentlichen, Ehrer-
bietung und Tugend im häuslichen Leben sind ihre Vorzüge; Unter-
drückung neben Privilegien der edleren Geschlechter, Geistesarmuth
neben Herrschsucht, Brutalität neben Heimtücke und Heuchelei, wenn
einmal Begierde die Fesseln der strengen Lykurgischen Zucht zerreißt,
das sind ihre großen Mängel und zugleich die Mittel, die dem Volke
der Spartaner einmal zur höchsten Macht in Hellas verhelfen sollten.

Dem gegenüber steht die demokratische Freiheit Athens;
ihre Grundlage und der Impuls ihres Fortschrittes und ihrer Ho-
heit ist jenes Bewußtsein der gleichen Berechtigung aller Bürger,
denn alle haben Theil gehabt an dem Kampfe für die Freiheit; das-
selbe Bewußtsein treibt sie zu immer neuem Kampfe, so lange ihrer

Sklaverei. Und zum zweiten Male rüſtete der große König, und
die Völker vom Indus und vom Nil ſtrömten über den geknechte-
ten Hellespont nach Europa, die dreihundert Männer der Thermo-
pylen kämpften vergebens, und Theben verbündete ſich mit dem
Sklavenheere des Xerxes; Athen fiel in ſeine Hände, die Tempel,
die Gräber wurden zerſtört; die dreihundert Schiffe der Griechen,
ihre letzte Zuflucht, waren von der Perſerflotte umzingelt in der
Salaminiſchen Bucht, und auf der Düne thronte Xerxes auf golde-
nem Throne, um von dort herab den Sieg ſeiner Völker und den
Untergang der freiheittrotzenden Hellenen zu ſehen. Da brachen die
Griechen mit freudigem Schlachtgeſang hervor, ſie kämpften und
ſiegten, Scheiter und Leichen bedeckten die See und die Geſtade;
der große König zerriß lautjammernd ſein Kleid, und floh in blinder
Flucht heimwärts. Die Ueberbleibſel ſeiner Geſchwader vernichtete
der Tag von Mykale, der Jonien zur Freiheit rief; und unter den
Mauern Platää’s fielen die letzten Perſerſchaaren, die Griechenland
geſehen.

Mit dieſen Kämpfen war unter den Hellenen ein neues, wun-
derreiches Leben erwacht, das der gefährdeten, ihrer ſelbſt ſich be-
wußten Freiheit. Dies Bewußtſein war zugleich Frucht und Saame
der Freiheit, aber die Freiheit, die es zeugte, eine höhere als jene
bewußtloſe, natürliche, autochthoniſche, die, in ſich ſelbſt geſchloſſen,
ohne Kampf, ohne Bethätigung und Berechtigung geblieben war.
Dieſe bewußtloſe Freiheit der vorperſiſchen Zeit iſt in den Doriſchen
Staaten,
namentlich in Sparta feſtgehalten worden; alte Ein-
fachheit und Tüchtigkeit, Ernſt und Stätigkeit in öffentlichen, Ehrer-
bietung und Tugend im häuslichen Leben ſind ihre Vorzüge; Unter-
drückung neben Privilegien der edleren Geſchlechter, Geiſtesarmuth
neben Herrſchſucht, Brutalität neben Heimtücke und Heuchelei, wenn
einmal Begierde die Feſſeln der ſtrengen Lykurgiſchen Zucht zerreißt,
das ſind ihre großen Mängel und zugleich die Mittel, die dem Volke
der Spartaner einmal zur höchſten Macht in Hellas verhelfen ſollten.

Dem gegenüber ſteht die demokratiſche Freiheit Athens;
ihre Grundlage und der Impuls ihres Fortſchrittes und ihrer Ho-
heit iſt jenes Bewußtſein der gleichen Berechtigung aller Bürger,
denn alle haben Theil gehabt an dem Kampfe für die Freiheit; daſ-
ſelbe Bewußtſein treibt ſie zu immer neuem Kampfe, ſo lange ihrer

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[7/0021] Sklaverei. Und zum zweiten Male rüſtete der große König, und die Völker vom Indus und vom Nil ſtrömten über den geknechte- ten Hellespont nach Europa, die dreihundert Männer der Thermo- pylen kämpften vergebens, und Theben verbündete ſich mit dem Sklavenheere des Xerxes; Athen fiel in ſeine Hände, die Tempel, die Gräber wurden zerſtört; die dreihundert Schiffe der Griechen, ihre letzte Zuflucht, waren von der Perſerflotte umzingelt in der Salaminiſchen Bucht, und auf der Düne thronte Xerxes auf golde- nem Throne, um von dort herab den Sieg ſeiner Völker und den Untergang der freiheittrotzenden Hellenen zu ſehen. Da brachen die Griechen mit freudigem Schlachtgeſang hervor, ſie kämpften und ſiegten, Scheiter und Leichen bedeckten die See und die Geſtade; der große König zerriß lautjammernd ſein Kleid, und floh in blinder Flucht heimwärts. Die Ueberbleibſel ſeiner Geſchwader vernichtete der Tag von Mykale, der Jonien zur Freiheit rief; und unter den Mauern Platää’s fielen die letzten Perſerſchaaren, die Griechenland geſehen. Mit dieſen Kämpfen war unter den Hellenen ein neues, wun- derreiches Leben erwacht, das der gefährdeten, ihrer ſelbſt ſich be- wußten Freiheit. Dies Bewußtſein war zugleich Frucht und Saame der Freiheit, aber die Freiheit, die es zeugte, eine höhere als jene bewußtloſe, natürliche, autochthoniſche, die, in ſich ſelbſt geſchloſſen, ohne Kampf, ohne Bethätigung und Berechtigung geblieben war. Dieſe bewußtloſe Freiheit der vorperſiſchen Zeit iſt in den Doriſchen Staaten, namentlich in Sparta feſtgehalten worden; alte Ein- fachheit und Tüchtigkeit, Ernſt und Stätigkeit in öffentlichen, Ehrer- bietung und Tugend im häuslichen Leben ſind ihre Vorzüge; Unter- drückung neben Privilegien der edleren Geſchlechter, Geiſtesarmuth neben Herrſchſucht, Brutalität neben Heimtücke und Heuchelei, wenn einmal Begierde die Feſſeln der ſtrengen Lykurgiſchen Zucht zerreißt, das ſind ihre großen Mängel und zugleich die Mittel, die dem Volke der Spartaner einmal zur höchſten Macht in Hellas verhelfen ſollten. Dem gegenüber ſteht die demokratiſche Freiheit Athens; ihre Grundlage und der Impuls ihres Fortſchrittes und ihrer Ho- heit iſt jenes Bewußtſein der gleichen Berechtigung aller Bürger, denn alle haben Theil gehabt an dem Kampfe für die Freiheit; daſ- ſelbe Bewußtſein treibt ſie zu immer neuem Kampfe, ſo lange ihrer

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/21>, abgerufen am 26.04.2024.