Welt zerstreut, dann die Mauern niedergerissen, die Häuser ausge- geräumt und zerstört; das Volk des Epaminondas war nicht mehr, die Stadt ein grauenvoller Schutthaufen, "der Kenotaph ihres Ruhmes;" eine Macedonische Wache oben auf der einsamen Burg hütete die Tempel und "die Gräber der Lebendigen."
In der That, das Schicksal Thebens war erschütternd; kaum ein Menschenalter früher hatte es die Hegemonie in Hellas ge- habt, seine heilige Schaar Thessalien befreien, seine Rosse im Eu- rotas tränken sehen, und jetzt war es von der Erde vertilgt. Die Griechen aller Partheien sind unerschöpflich in Klagen über Thebens Fall, und nur zu oft ungerecht gegen den König, der es nicht retten konnte. Wie weit Alexander von Grausamkeit und stolzer Härte entfernt war, beweiset sein edles Benehmen gegen die Thebaner, die später unter den Söldnerschaaren Asiens als Kriegs- gefangene in seine Hände fielen; aber auch schon jetzt, während der Kampf kaum beendet war, gab er schöne Beweise von Milde und Hochherzigkeit. Eine edle Thebanerin wurde gefangen und gebun- den vor ihn gebracht; ihr Haus war von Alexanders Thraciern niedergerissen, sie selbst von dem Anführer derselben geschändet, dann unter wilden Drohungen nach ihren Schätzen gefragt; sie hatte den Thracier an einen im Gebüsch versteckten Brunnen geführt: darin seien die Schätze versenkt; und als er sich über denselben hin- beugte, hinabzusehen und in die Tiefe zu spähen, hatte sie ihn hin- eingestürzt, und Steine auf ihn hinabgeschleudert, bis er todt war; nun brachten die Thracier sie vor des Königs Richterstuhl; sie sprach: "ich bin Timoklea, jenes Theagenes Schwester, der als Feldherr bei Chäronea gegen Philipp für die Freiheit der Hellenen fiel." Alexander bewunderte das hochherzige Weib, er schenkte ihr und ihren Verwandten die Freiheit 98).
97)
98)Plut. Alex. 12. und de virt. mulier.
97) sechstausend Todten ohne großes Bedenken an, da nicht bloß Theba- ner, sondern auch Freigelassene und Metöken kämpften und verkauft wurden. Uebrigens sagt Agatharchides, auf den sich St. Croix angeb- lich stützt, auch nicht ein Wort davon, daß diese Zahlen übertrieben seien; seine Kritik bezieht sich auf die übertriebenen Bilder gewisser Rhetoren, die über Thebens Fall klagten.
Welt zerſtreut, dann die Mauern niedergeriſſen, die Häuſer ausge- geräumt und zerſtört; das Volk des Epaminondas war nicht mehr, die Stadt ein grauenvoller Schutthaufen, „der Kenotaph ihres Ruhmes;“ eine Macedoniſche Wache oben auf der einſamen Burg hütete die Tempel und „die Gräber der Lebendigen.“
In der That, das Schickſal Thebens war erſchütternd; kaum ein Menſchenalter früher hatte es die Hegemonie in Hellas ge- habt, ſeine heilige Schaar Theſſalien befreien, ſeine Roſſe im Eu- rotas tränken ſehen, und jetzt war es von der Erde vertilgt. Die Griechen aller Partheien ſind unerſchöpflich in Klagen über Thebens Fall, und nur zu oft ungerecht gegen den König, der es nicht retten konnte. Wie weit Alexander von Grauſamkeit und ſtolzer Härte entfernt war, beweiſet ſein edles Benehmen gegen die Thebaner, die ſpäter unter den Söldnerſchaaren Aſiens als Kriegs- gefangene in ſeine Hände fielen; aber auch ſchon jetzt, während der Kampf kaum beendet war, gab er ſchöne Beweiſe von Milde und Hochherzigkeit. Eine edle Thebanerin wurde gefangen und gebun- den vor ihn gebracht; ihr Haus war von Alexanders Thraciern niedergeriſſen, ſie ſelbſt von dem Anführer derſelben geſchändet, dann unter wilden Drohungen nach ihren Schätzen gefragt; ſie hatte den Thracier an einen im Gebüſch verſteckten Brunnen geführt: darin ſeien die Schätze verſenkt; und als er ſich über denſelben hin- beugte, hinabzuſehen und in die Tiefe zu ſpähen, hatte ſie ihn hin- eingeſtürzt, und Steine auf ihn hinabgeſchleudert, bis er todt war; nun brachten die Thracier ſie vor des Königs Richterſtuhl; ſie ſprach: „ich bin Timoklea, jenes Theagenes Schweſter, der als Feldherr bei Chäronea gegen Philipp für die Freiheit der Hellenen fiel.“ Alexander bewunderte das hochherzige Weib, er ſchenkte ihr und ihren Verwandten die Freiheit 98).
97)
98)Plut. Alex. 12. und de virt. mulier.
97) ſechstauſend Todten ohne großes Bedenken an, da nicht bloß Theba- ner, ſondern auch Freigelaſſene und Metöken kämpften und verkauft wurden. Uebrigens ſagt Agatharchides, auf den ſich St. Croix angeb- lich ſtützt, auch nicht ein Wort davon, daß dieſe Zahlen übertrieben ſeien; ſeine Kritik bezieht ſich auf die übertriebenen Bilder gewiſſer Rhetoren, die über Thebens Fall klagten.
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Welt zerſtreut, dann die Mauern niedergeriſſen, die Häuſer ausge-
geräumt und zerſtört; das Volk des Epaminondas war nicht mehr,
die Stadt ein grauenvoller Schutthaufen, „der Kenotaph ihres
Ruhmes;“ eine Macedoniſche Wache oben auf der einſamen Burg
hütete die Tempel und „die Gräber der Lebendigen.“
In der That, das Schickſal Thebens war erſchütternd; kaum
ein Menſchenalter früher hatte es die Hegemonie in Hellas ge-
habt, ſeine heilige Schaar Theſſalien befreien, ſeine Roſſe im Eu-
rotas tränken ſehen, und jetzt war es von der Erde vertilgt.
Die Griechen aller Partheien ſind unerſchöpflich in Klagen über
Thebens Fall, und nur zu oft ungerecht gegen den König, der es
nicht retten konnte. Wie weit Alexander von Grauſamkeit und
ſtolzer Härte entfernt war, beweiſet ſein edles Benehmen gegen die
Thebaner, die ſpäter unter den Söldnerſchaaren Aſiens als Kriegs-
gefangene in ſeine Hände fielen; aber auch ſchon jetzt, während der
Kampf kaum beendet war, gab er ſchöne Beweiſe von Milde und
Hochherzigkeit. Eine edle Thebanerin wurde gefangen und gebun-
den vor ihn gebracht; ihr Haus war von Alexanders Thraciern
niedergeriſſen, ſie ſelbſt von dem Anführer derſelben geſchändet, dann
unter wilden Drohungen nach ihren Schätzen gefragt; ſie hatte den
Thracier an einen im Gebüſch verſteckten Brunnen geführt: darin
ſeien die Schätze verſenkt; und als er ſich über denſelben hin-
beugte, hinabzuſehen und in die Tiefe zu ſpähen, hatte ſie ihn hin-
eingeſtürzt, und Steine auf ihn hinabgeſchleudert, bis er todt war;
nun brachten die Thracier ſie vor des Königs Richterſtuhl; ſie
ſprach: „ich bin Timoklea, jenes Theagenes Schweſter, der als
Feldherr bei Chäronea gegen Philipp für die Freiheit der Hellenen
fiel.“ Alexander bewunderte das hochherzige Weib, er ſchenkte ihr
und ihren Verwandten die Freiheit 98).
97)
98) Plut. Alex. 12.
und de virt. mulier.
97) ſechstauſend Todten ohne großes Bedenken an, da nicht bloß Theba-
ner, ſondern auch Freigelaſſene und Metöken kämpften und verkauft
wurden. Uebrigens ſagt Agatharchides, auf den ſich St. Croix angeb-
lich ſtützt, auch nicht ein Wort davon, daß dieſe Zahlen übertrieben
ſeien; ſeine Kritik bezieht ſich auf die übertriebenen Bilder gewiſſer
Rhetoren, die über Thebens Fall klagten.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/101>, abgerufen am 23.11.2024.
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