Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Wo dicht die Bäume sich verzweigen, Da zögert nicht des Wandrers Stab, Wo tausend Nachbaräste neigen Sich schützend um den Stamm herab; Doch drüben sieh die einzle Linde, Ein Jeder schreibt in ihre Rinde, Und Jeder bricht ein Zweiglein ab. O hätten wir nur Muth zu walten Der Gaben, die das Glück bescheert! Wer darf uns stören, darf uns halten, Und wehren uns den eignen Heerd? -- Wir leiden nach dem alten Rechte, Daß, der sich selber macht zum Knechte, Ist nicht der goldnen Freiheit werth. Zieh' hin, wie du berufen worden, In der Campagna Glut und Schweiß, Und ich will steh'n in meinem Norden, Zu siechen unter Schnee und Eis. Nicht würdig sind wir bessrer Tage, Und daß nur Keins dem Andern klage, Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß. Wo dicht die Bäume ſich verzweigen, Da zögert nicht des Wandrers Stab, Wo tauſend Nachbaräſte neigen Sich ſchützend um den Stamm herab; Doch drüben ſieh die einzle Linde, Ein Jeder ſchreibt in ihre Rinde, Und Jeder bricht ein Zweiglein ab. O hätten wir nur Muth zu walten Der Gaben, die das Glück beſcheert! Wer darf uns ſtören, darf uns halten, Und wehren uns den eignen Heerd? — Wir leiden nach dem alten Rechte, Daß, der ſich ſelber macht zum Knechte, Iſt nicht der goldnen Freiheit werth. Zieh’ hin, wie du berufen worden, In der Campagna Glut und Schweiß, Und ich will ſteh’n in meinem Norden, Zu ſiechen unter Schnee und Eis. Nicht würdig ſind wir beſſrer Tage, Und daß nur Keins dem Andern klage, Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0062" n="46"/> <lg n="3"> <l>Wo dicht die Bäume ſich verzweigen,</l><lb/> <l>Da zögert nicht des Wandrers Stab,</l><lb/> <l>Wo tauſend Nachbaräſte neigen</l><lb/> <l>Sich ſchützend um den Stamm herab;</l><lb/> <l>Doch drüben ſieh die einzle Linde,</l><lb/> <l>Ein Jeder ſchreibt in ihre Rinde,</l><lb/> <l>Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>O hätten wir nur Muth zu walten</l><lb/> <l>Der Gaben, die das Glück beſcheert!</l><lb/> <l>Wer darf uns ſtören, darf uns halten,</l><lb/> <l>Und wehren uns den eignen Heerd? —</l><lb/> <l>Wir leiden nach dem alten Rechte,</l><lb/> <l>Daß, der ſich ſelber macht zum Knechte,</l><lb/> <l>Iſt nicht der goldnen Freiheit werth.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Zieh’ hin, wie du berufen worden,</l><lb/> <l>In der Campagna Glut und Schweiß,</l><lb/> <l>Und ich will ſteh’n in meinem Norden,</l><lb/> <l>Zu ſiechen unter Schnee und Eis.</l><lb/> <l>Nicht würdig ſind wir beſſrer Tage,</l><lb/> <l>Und daß nur Keins dem Andern klage,</l><lb/> <l>Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0062]
Wo dicht die Bäume ſich verzweigen,
Da zögert nicht des Wandrers Stab,
Wo tauſend Nachbaräſte neigen
Sich ſchützend um den Stamm herab;
Doch drüben ſieh die einzle Linde,
Ein Jeder ſchreibt in ihre Rinde,
Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.
O hätten wir nur Muth zu walten
Der Gaben, die das Glück beſcheert!
Wer darf uns ſtören, darf uns halten,
Und wehren uns den eignen Heerd? —
Wir leiden nach dem alten Rechte,
Daß, der ſich ſelber macht zum Knechte,
Iſt nicht der goldnen Freiheit werth.
Zieh’ hin, wie du berufen worden,
In der Campagna Glut und Schweiß,
Und ich will ſteh’n in meinem Norden,
Zu ſiechen unter Schnee und Eis.
Nicht würdig ſind wir beſſrer Tage,
Und daß nur Keins dem Andern klage,
Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß.
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