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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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die Aufregung der Gäste bis zu einer Höhe steigt,
deren Culminationspunkt nicht voraus zu berechn en
ist. -- Ist die Braut eine echte "Flüggebraut,"
eine Braut in Kranz und fliegenden Haaren, so
tritt sie gewiß stolz wie eine Fürstin auf, und
dieses glorreiche Familienereigniß wird noch der
Ruhm ihrer Nachkommen, die sich dessen wohl zu
rühmen wissen, wie stattlich sie mit Spiegeln und
Flittergold in den Haaren einhergestrahlt sei. Lieber
als eine Hochzeit ist dem Paderborner noch die
Fastnacht, an deren erstem Tage (Sonntag Esto
mihi
) der Bursche dahersteigt, in der Hand, auf
goldenem Apfel, einen befiederten Hahn aus Brod-
teig, den er seiner Liebsten verehrt, oder auch der
Edelfrau, nämlich, wenn es ihm an Geld für die
kommenden nassen Tage fehlt. -- Am Montag ist
der Jubel im tollsten Gange, selbst Bettler, die
nichts anderes haben, hängen ihr geflicktes Bettuch
über den Kopf, und binden einen durchlöcherten
Papierbogen vor's Gesicht, und diese machen, wie
sie mit ihren, aus der weißen Umrändung blitzenden
Augen und langen Nasenschnäbeln die Mauern
entlang taumeln, einen noch grausigeren Eindruck
wie die eigentlichen Maskenzüge, die in scheußlichen
Verkleidungen mit Geheul und Hurrah auf Acker-
gäulen durch die Felder galoppiren, alle hundert
Schritte einen Sandreiter zurücklassend, der ihnen

die Aufregung der Gäſte bis zu einer Höhe ſteigt,
deren Culminationspunkt nicht voraus zu berechn en
iſt. — Iſt die Braut eine echte „Flüggebraut,“
eine Braut in Kranz und fliegenden Haaren, ſo
tritt ſie gewiß ſtolz wie eine Fürſtin auf, und
dieſes glorreiche Familienereigniß wird noch der
Ruhm ihrer Nachkommen, die ſich deſſen wohl zu
rühmen wiſſen, wie ſtattlich ſie mit Spiegeln und
Flittergold in den Haaren einhergeſtrahlt ſei. Lieber
als eine Hochzeit iſt dem Paderborner noch die
Faſtnacht, an deren erſtem Tage (Sonntag Esto
mihi
) der Burſche daherſteigt, in der Hand, auf
goldenem Apfel, einen befiederten Hahn aus Brod-
teig, den er ſeiner Liebſten verehrt, oder auch der
Edelfrau, nämlich, wenn es ihm an Geld für die
kommenden naſſen Tage fehlt. — Am Montag iſt
der Jubel im tollſten Gange, ſelbſt Bettler, die
nichts anderes haben, hängen ihr geflicktes Bettuch
über den Kopf, und binden einen durchlöcherten
Papierbogen vor’s Geſicht, und dieſe machen, wie
ſie mit ihren, aus der weißen Umrändung blitzenden
Augen und langen Naſenſchnäbeln die Mauern
entlang taumeln, einen noch grauſigeren Eindruck
wie die eigentlichen Maskenzüge, die in ſcheußlichen
Verkleidungen mit Geheul und Hurrah auf Acker-
gäulen durch die Felder galoppiren, alle hundert
Schritte einen Sandreiter zurücklaſſend, der ihnen

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[258/0274] die Aufregung der Gäſte bis zu einer Höhe ſteigt, deren Culminationspunkt nicht voraus zu berechn en iſt. — Iſt die Braut eine echte „Flüggebraut,“ eine Braut in Kranz und fliegenden Haaren, ſo tritt ſie gewiß ſtolz wie eine Fürſtin auf, und dieſes glorreiche Familienereigniß wird noch der Ruhm ihrer Nachkommen, die ſich deſſen wohl zu rühmen wiſſen, wie ſtattlich ſie mit Spiegeln und Flittergold in den Haaren einhergeſtrahlt ſei. Lieber als eine Hochzeit iſt dem Paderborner noch die Faſtnacht, an deren erſtem Tage (Sonntag Esto mihi) der Burſche daherſteigt, in der Hand, auf goldenem Apfel, einen befiederten Hahn aus Brod- teig, den er ſeiner Liebſten verehrt, oder auch der Edelfrau, nämlich, wenn es ihm an Geld für die kommenden naſſen Tage fehlt. — Am Montag iſt der Jubel im tollſten Gange, ſelbſt Bettler, die nichts anderes haben, hängen ihr geflicktes Bettuch über den Kopf, und binden einen durchlöcherten Papierbogen vor’s Geſicht, und dieſe machen, wie ſie mit ihren, aus der weißen Umrändung blitzenden Augen und langen Naſenſchnäbeln die Mauern entlang taumeln, einen noch grauſigeren Eindruck wie die eigentlichen Maskenzüge, die in ſcheußlichen Verkleidungen mit Geheul und Hurrah auf Acker- gäulen durch die Felder galoppiren, alle hundert Schritte einen Sandreiter zurücklaſſend, der ihnen

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/274>, abgerufen am 25.11.2024.