Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos, in friedlicher Pflichterfüllung. -- Der Paderborner Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit allem Ungestüm seines heftigen Bluts. Mit seinen und den Eltern seiner Frau muß es daher auch oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen, wenn seine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe wird in diesen dürftigen Hütten den Frauen zum wahren Fegfeuer, bis sie sich zurechtgefunden; Flüche und Schimpfreden haben, wie bei den Matrosen, einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und lassen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben sich bestehen. Ueber das Verderbniß der dienenden Klassen wird sehr geklagt: jedes noch so flüchtige Verhältniß zwischen den zwei Geschlechtern müsse streng überwacht werden von denen, welche ihr Haus rein von Scandal zu erhalten wünschen; selbst die Unteraufseher, Leute von gesetzten Jahren und sonst streng genug, scheinen taub und blind, sobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, sondern nur der Glaube an eine ernstliche Absicht vorhanden sei: "die Beiden freien sich" -- und damit seien alle Schranken gefallen, obwohl aus zwanzig solcher Freiereien kaum eine Ehe hervorgehe und die Folgen
Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos, in friedlicher Pflichterfüllung. — Der Paderborner Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit allem Ungeſtüm ſeines heftigen Bluts. Mit ſeinen und den Eltern ſeiner Frau muß es daher auch oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen, wenn ſeine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe wird in dieſen dürftigen Hütten den Frauen zum wahren Fegfeuer, bis ſie ſich zurechtgefunden; Flüche und Schimpfreden haben, wie bei den Matroſen, einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und laſſen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben ſich beſtehen. Ueber das Verderbniß der dienenden Klaſſen wird ſehr geklagt: jedes noch ſo flüchtige Verhältniß zwiſchen den zwei Geſchlechtern müſſe ſtreng überwacht werden von denen, welche ihr Haus rein von Scandal zu erhalten wünſchen; ſelbſt die Unteraufſeher, Leute von geſetzten Jahren und ſonſt ſtreng genug, ſcheinen taub und blind, ſobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, ſondern nur der Glaube an eine ernſtliche Abſicht vorhanden ſei: „die Beiden freien ſich“ — und damit ſeien alle Schranken gefallen, obwohl aus zwanzig ſolcher Freiereien kaum eine Ehe hervorgehe und die Folgen
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Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos,
in friedlicher Pflichterfüllung. — Der Paderborner
Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an
ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit
allem Ungeſtüm ſeines heftigen Bluts. Mit ſeinen
und den Eltern ſeiner Frau muß es daher auch
oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter
die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen,
wenn ſeine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe
wird in dieſen dürftigen Hütten den Frauen zum
wahren Fegfeuer, bis ſie ſich zurechtgefunden; Flüche
und Schimpfreden haben, wie bei den Matroſen,
einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und
laſſen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben
ſich beſtehen. Ueber das Verderbniß der dienenden
Klaſſen wird ſehr geklagt: jedes noch ſo flüchtige
Verhältniß zwiſchen den zwei Geſchlechtern müſſe
ſtreng überwacht werden von denen, welche ihr
Haus rein von Scandal zu erhalten wünſchen;
ſelbſt die Unteraufſeher, Leute von geſetzten Jahren
und ſonſt ſtreng genug, ſcheinen taub und blind,
ſobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, ſondern nur der
Glaube an eine ernſtliche Abſicht vorhanden ſei: „die
Beiden freien ſich“ — und damit ſeien alle
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/272>, abgerufen am 25.11.2024.
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