Frauen haben das Schicksal der Südländerinnen, eine frühe üppige Blüthe und ein frühes, zigeuner- haftes Alter. Nirgends giebt es so rauchige Dörfer, so dachluckige Hüttchen, als hier, wo ein unge- stümes Temperament einen starken Theil der Be- völkerung übereilten Heirathen zuführt, ohne ein anderes Kapital, als vier Arme und ein Dutzend zusammengebettelter und zusammengesuchter Balken, aus denen dann eine Art von Koben zusammen- gesetzt wird, eben groß genug für die Heerdstelle, das Ehebett, und allenfalls einen Verschlag, der den stolzen Namen Stube führt, in der That aber nur ein ungewöhnlich breiter und hoher Kasten mit einem oder zwei Fenstergläsern ist. -- Besitzt das junge Paar Fleiß und Aus- dauer, so mögen nach und nach einige Verschläge angezimmert werden; hat es ungewöhnlichen Fleiß und Glück zugleich, so dürfte endlich eine bescheidene Menschenwohnung entstehen, häufig aber lassen Armuth und Nachlässigkeit es nicht hierzu kommen und wir selbst sahen einen bejahrten Mann, dessen Pallast zu kurz war um ausgestreckt darin zu schlafen, seine Beine ein gutes Ende in die Straße recken. -- Selbst der Roheste ist schlau und zu allen Dingen geschickt, weiß jedoch selten nachhaltigen Vortheil daraus zu ziehen, da er sein Talent gar oft in kleinen Pfiffigkeiten, deren Ertrag er sofort
Frauen haben das Schickſal der Südländerinnen, eine frühe üppige Blüthe und ein frühes, zigeuner- haftes Alter. Nirgends giebt es ſo rauchige Dörfer, ſo dachluckige Hüttchen, als hier, wo ein unge- ſtümes Temperament einen ſtarken Theil der Be- völkerung übereilten Heirathen zuführt, ohne ein anderes Kapital, als vier Arme und ein Dutzend zuſammengebettelter und zuſammengeſuchter Balken, aus denen dann eine Art von Koben zuſammen- geſetzt wird, eben groß genug für die Heerdſtelle, das Ehebett, und allenfalls einen Verſchlag, der den ſtolzen Namen Stube führt, in der That aber nur ein ungewöhnlich breiter und hoher Kaſten mit einem oder zwei Fenſtergläſern iſt. — Beſitzt das junge Paar Fleiß und Aus- dauer, ſo mögen nach und nach einige Verſchläge angezimmert werden; hat es ungewöhnlichen Fleiß und Glück zugleich, ſo dürfte endlich eine beſcheidene Menſchenwohnung entſtehen, häufig aber laſſen Armuth und Nachläſſigkeit es nicht hierzu kommen und wir ſelbſt ſahen einen bejahrten Mann, deſſen Pallaſt zu kurz war um ausgeſtreckt darin zu ſchlafen, ſeine Beine ein gutes Ende in die Straße recken. — Selbſt der Roheſte iſt ſchlau und zu allen Dingen geſchickt, weiß jedoch ſelten nachhaltigen Vortheil daraus zu ziehen, da er ſein Talent gar oft in kleinen Pfiffigkeiten, deren Ertrag er ſofort
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Frauen haben das Schickſal der Südländerinnen,
eine frühe üppige Blüthe und ein frühes, zigeuner-
haftes Alter. Nirgends giebt es ſo rauchige Dörfer,
ſo dachluckige Hüttchen, als hier, wo ein unge-
ſtümes Temperament einen ſtarken Theil der Be-
völkerung übereilten Heirathen zuführt, ohne ein
anderes Kapital, als vier Arme und ein Dutzend
zuſammengebettelter und zuſammengeſuchter Balken,
aus denen dann eine Art von Koben zuſammen-
geſetzt wird, eben groß genug für die Heerdſtelle,
das Ehebett, und allenfalls einen Verſchlag, der
den ſtolzen Namen Stube führt, in der That
aber nur ein ungewöhnlich breiter und hoher
Kaſten mit einem oder zwei Fenſtergläſern iſt.
— Beſitzt das junge Paar Fleiß und Aus-
dauer, ſo mögen nach und nach einige Verſchläge
angezimmert werden; hat es ungewöhnlichen Fleiß
und Glück zugleich, ſo dürfte endlich eine beſcheidene
Menſchenwohnung entſtehen, häufig aber laſſen
Armuth und Nachläſſigkeit es nicht hierzu kommen
und wir ſelbſt ſahen einen bejahrten Mann, deſſen
Pallaſt zu kurz war um ausgeſtreckt darin zu
ſchlafen, ſeine Beine ein gutes Ende in die Straße
recken. — Selbſt der Roheſte iſt ſchlau und zu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/267>, abgerufen am 25.11.2024.
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