Kutscher: "wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen!" Mir war selbst bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Un- terhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke schlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muth wurde. Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? dicht an der Heerser Tiefe und den Thurm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen." -- "Das war in der That kein Spaß," versetzte der Gutsherr, halb versöhnt.
Er hatte unterdessen die mitgenommenen Pa- piere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um ge- liehene Gelder, die meisten von Wucherern. "Ich hatte nicht gedacht," murmelte er, "daß die Mergels so tief drin steckten." -- "Ja, und daß es so an den Tag kommen muß," versetzte Kapp; "das wird kein kleiner Aerger für Frau Margreth sein." -- "Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht!" Mit diesen Worten stand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichen-
Kutſcher: „wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen!“ Mir war ſelbſt bange; ich ließ halten und ſchlug Feuer, um wenigſtens etwas Un- terhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke ſchlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muth wurde. Ich ſprang aus dem Wagen, denn ſeinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So ſtand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob ſehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? dicht an der Heerſer Tiefe und den Thurm von Heerſe gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes geweſen.“ — „Das war in der That kein Spaß,“ verſetzte der Gutsherr, halb verſöhnt.
Er hatte unterdeſſen die mitgenommenen Pa- piere durchgeſehen. Es waren Mahnbriefe um ge- liehene Gelder, die meiſten von Wucherern. „Ich hatte nicht gedacht,“ murmelte er, „daß die Mergels ſo tief drin ſteckten.“ — „Ja, und daß es ſo an den Tag kommen muß,“ verſetzte Kapp; „das wird kein kleiner Aerger für Frau Margreth ſein.“ — „Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht!“ Mit dieſen Worten ſtand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichen-
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Kutſcher: „wenn wir nur nicht den Steinbrüchen
zu nahe kommen!“ Mir war ſelbſt bange; ich ließ
halten und ſchlug Feuer, um wenigſtens etwas Un-
terhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem
Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns
die Glocke ſchlagen. Ew. Gnaden mögen glauben,
daß mir fatal zu Muth wurde. Ich ſprang aus
dem Wagen, denn ſeinen eigenen Beinen kann man
trauen, aber denen der Pferde nicht. So ſtand ich,
in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es
Gottlob ſehr bald anfing zu dämmern. Und wo
hielten wir? dicht an der Heerſer Tiefe und den
Thurm von Heerſe gerade unter uns. Wären wir
noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären
alle Kinder des Todes geweſen.“ — „Das war in
der That kein Spaß,“ verſetzte der Gutsherr, halb
verſöhnt.
Er hatte unterdeſſen die mitgenommenen Pa-
piere durchgeſehen. Es waren Mahnbriefe um ge-
liehene Gelder, die meiſten von Wucherern. „Ich
hatte nicht gedacht,“ murmelte er, „daß die Mergels
ſo tief drin ſteckten.“ — „Ja, und daß es ſo an
den Tag kommen muß,“ verſetzte Kapp; „das wird
kein kleiner Aerger für Frau Margreth ſein.“ —
„Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht!“ Mit dieſen
Worten ſtand der Gutsherr auf und verließ das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/223>, abgerufen am 23.11.2024.
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