Simon eine Art Adoption des Knaben in Vor- schlag brachte, vermöge deren er denselben zwar nicht gänzlich der Mutter entziehen, aber doch über den größten Theil seiner Zeit verfügen wollte, wofür ihm dann am Ende des alten Junggesellen Erbe zufallen solle, das ihm freilich ohnedies nicht ent- gehen konnte. Margreth ließ sich geduldig aus- einandersetzen, wie groß der Vortheil, wie gering die Entbehrung ihrerseits bei dem Handel sei. Sie wußte am besten, was eine kränkliche Wittwe an der Hülfe eines zwölfjährigen Knaben entbehrt, den sie bereits gewöhnt hat, die Stelle einer Tochter zu ersetzen. Doch sie schwieg und gab sich in Alles. Nur bat sie den Bruder, streng, doch nicht hart gegen den Knaben zu sein.
"Er ist gut," sagte sie, "aber ich bin eine ein- same Frau; mein Sohn ist nicht wie einer, über den Vaterhand regiert hat." Simon nickte schlau mit dem Kopf: "Laß mich nur gewähren, wir wollen uns schon vertragen, und weißt du was? gieb mir den Jungen gleich mit, ich habe zwei Säcke aus der Mühle zu holen; der kleinste ist ihm grad recht, und so lernt er mir zur Hand gehen. Komm, Fritzchen, zieh deine Holzschuh an!" -- Und bald sah Margreth den Beiden nach, wie sie fort- schritten, Simon voran, mit seinem Gesicht die Luft durchschneidend, während ihm die Schöße des rothen
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Simon eine Art Adoption des Knaben in Vor- ſchlag brachte, vermöge deren er denſelben zwar nicht gänzlich der Mutter entziehen, aber doch über den größten Theil ſeiner Zeit verfügen wollte, wofür ihm dann am Ende des alten Junggeſellen Erbe zufallen ſolle, das ihm freilich ohnedies nicht ent- gehen konnte. Margreth ließ ſich geduldig aus- einanderſetzen, wie groß der Vortheil, wie gering die Entbehrung ihrerſeits bei dem Handel ſei. Sie wußte am beſten, was eine kränkliche Wittwe an der Hülfe eines zwölfjährigen Knaben entbehrt, den ſie bereits gewöhnt hat, die Stelle einer Tochter zu erſetzen. Doch ſie ſchwieg und gab ſich in Alles. Nur bat ſie den Bruder, ſtreng, doch nicht hart gegen den Knaben zu ſein.
„Er iſt gut,“ ſagte ſie, „aber ich bin eine ein- ſame Frau; mein Sohn iſt nicht wie einer, über den Vaterhand regiert hat.“ Simon nickte ſchlau mit dem Kopf: „Laß mich nur gewähren, wir wollen uns ſchon vertragen, und weißt du was? gieb mir den Jungen gleich mit, ich habe zwei Säcke aus der Mühle zu holen; der kleinſte iſt ihm grad recht, und ſo lernt er mir zur Hand gehen. Komm, Fritzchen, zieh deine Holzſchuh an!“ — Und bald ſah Margreth den Beiden nach, wie ſie fort- ſchritten, Simon voran, mit ſeinem Geſicht die Luft durchſchneidend, während ihm die Schöße des rothen
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Simon eine Art Adoption des Knaben in Vor-
ſchlag brachte, vermöge deren er denſelben zwar nicht
gänzlich der Mutter entziehen, aber doch über den
größten Theil ſeiner Zeit verfügen wollte, wofür
ihm dann am Ende des alten Junggeſellen Erbe
zufallen ſolle, das ihm freilich ohnedies nicht ent-
gehen konnte. Margreth ließ ſich geduldig aus-
einanderſetzen, wie groß der Vortheil, wie gering
die Entbehrung ihrerſeits bei dem Handel ſei. Sie
wußte am beſten, was eine kränkliche Wittwe an
der Hülfe eines zwölfjährigen Knaben entbehrt, den
ſie bereits gewöhnt hat, die Stelle einer Tochter zu
erſetzen. Doch ſie ſchwieg und gab ſich in Alles.
Nur bat ſie den Bruder, ſtreng, doch nicht hart
gegen den Knaben zu ſein.
„Er iſt gut,“ ſagte ſie, „aber ich bin eine ein-
ſame Frau; mein Sohn iſt nicht wie einer, über
den Vaterhand regiert hat.“ Simon nickte ſchlau
mit dem Kopf: „Laß mich nur gewähren, wir
wollen uns ſchon vertragen, und weißt du was?
gieb mir den Jungen gleich mit, ich habe zwei
Säcke aus der Mühle zu holen; der kleinſte iſt ihm
grad recht, und ſo lernt er mir zur Hand gehen.
Komm, Fritzchen, zieh deine Holzſchuh an!“ — Und
bald ſah Margreth den Beiden nach, wie ſie fort-
ſchritten, Simon voran, mit ſeinem Geſicht die Luft
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/177>, abgerufen am 23.11.2024.
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