Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.sich, stach auch einmal mit seinem Messerchen und Er war 12 Jahre alt, als seine Mutter einen Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, "Simon, bist du da?" sagte sie, und zitterte, ſich, ſtach auch einmal mit ſeinem Meſſerchen und Er war 12 Jahre alt, als ſeine Mutter einen Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, „Simon, biſt du da?“ ſagte ſie, und zitterte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0174" n="158"/> ſich, ſtach auch einmal mit ſeinem Meſſerchen und<lb/> wurde bei dieſer Gelegenheit jämmerlich geprügelt.<lb/> Seitdem trieb er ſeiner Mutter Kühe allein an das<lb/> andere Ende des Thales, wo man ihn oft Stun-<lb/> den lang in derſelben Stellung im Graſe liegen<lb/> und den Thymian aus dem Boden rupfen ſah.</p><lb/> <p>Er war 12 Jahre alt, als ſeine Mutter einen<lb/> Beſuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in<lb/> Brede wohnte und ſeit der thörichten Heirath ſeiner<lb/> Schweſter ihre Schwelle nicht betreten hatte.</p><lb/> <p>Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger,<lb/> magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fiſch-<lb/> augen und überhaupt einem Geſicht wie ein Hecht,<lb/> ein unheimlicher Geſelle, bei dem dickthuende Ver-<lb/> ſchloſſenheit oft mit eben ſo geſuchter Treuherzigkeit<lb/> wechſelte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorge-<lb/> ſtellt hätte und ſtatt deſſen für einen fatalen, Händel<lb/> ſuchenden Kerl galt, dem Jeder um ſo lieber aus<lb/> dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo<lb/> ohnehin beſchränkte Menſchen leicht an Anſprüchen<lb/> gewinnen, was ſie an Brauchbarkeit verlieren.<lb/> Dennoch freute ſich die arme Margareth, die ſonſt<lb/> keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.</p><lb/> <p>„Simon, biſt du da?“ ſagte ſie, und zitterte,<lb/> daß ſie ſich am Stuhle halten mußte. „Willſt du<lb/> ſehen, wie es mir geht und meinem ſchmutzigen<lb/> Jungen?“ — Simon betrachtete ſie ernſt und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [158/0174]
ſich, ſtach auch einmal mit ſeinem Meſſerchen und
wurde bei dieſer Gelegenheit jämmerlich geprügelt.
Seitdem trieb er ſeiner Mutter Kühe allein an das
andere Ende des Thales, wo man ihn oft Stun-
den lang in derſelben Stellung im Graſe liegen
und den Thymian aus dem Boden rupfen ſah.
Er war 12 Jahre alt, als ſeine Mutter einen
Beſuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in
Brede wohnte und ſeit der thörichten Heirath ſeiner
Schweſter ihre Schwelle nicht betreten hatte.
Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger,
magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fiſch-
augen und überhaupt einem Geſicht wie ein Hecht,
ein unheimlicher Geſelle, bei dem dickthuende Ver-
ſchloſſenheit oft mit eben ſo geſuchter Treuherzigkeit
wechſelte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorge-
ſtellt hätte und ſtatt deſſen für einen fatalen, Händel
ſuchenden Kerl galt, dem Jeder um ſo lieber aus
dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo
ohnehin beſchränkte Menſchen leicht an Anſprüchen
gewinnen, was ſie an Brauchbarkeit verlieren.
Dennoch freute ſich die arme Margareth, die ſonſt
keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.
„Simon, biſt du da?“ ſagte ſie, und zitterte,
daß ſie ſich am Stuhle halten mußte. „Willſt du
ſehen, wie es mir geht und meinem ſchmutzigen
Jungen?“ — Simon betrachtete ſie ernſt und
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