zusammen getragen, und jetzt bin ich allein!" Dann lauter: "Fritzchen, komm her!" --
Friedrich kam scheu heran; die Mutter war ihm ganz unheimlich geworden mit den schwarzen Bändern und den verstörten Zügen. "Fritzchen," sagte sie, "willst du jetzt auch fromm sein, daß ich Freude an dir habe, oder willst du unartig sein und lügen, oder saufen und stehlen?" -- "Mutter, Hülsmeyer stiehlt." -- "Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? wer sagt dir so schlechtes Zeug?" -- "Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen." -- "Hat er dem Aaron Geld genommen, so hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer ist ein ordentlicher angesessener Mann, und die Juden sind alle Schelme." -- "Aber, Mutter, Brandes sagt auch, daß er Holz und Rehe stiehlt." -- "Kind, Brandes ist ein Förster." -- "Mutter, lügen die Förster?"
Margareth schwieg eine Weile, dann sagte sie: "Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei wachsen und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem ge- hören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig."
Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchter-
zuſammen getragen, und jetzt bin ich allein!“ Dann lauter: „Fritzchen, komm her!“ —
Friedrich kam ſcheu heran; die Mutter war ihm ganz unheimlich geworden mit den ſchwarzen Bändern und den verſtörten Zügen. „Fritzchen,“ ſagte ſie, „willſt du jetzt auch fromm ſein, daß ich Freude an dir habe, oder willſt du unartig ſein und lügen, oder ſaufen und ſtehlen?“ — „Mutter, Hülsmeyer ſtiehlt.“ — „Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? wer ſagt dir ſo ſchlechtes Zeug?“ — „Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm ſechs Groſchen genommen.“ — „Hat er dem Aaron Geld genommen, ſo hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer iſt ein ordentlicher angeſeſſener Mann, und die Juden ſind alle Schelme.“ — „Aber, Mutter, Brandes ſagt auch, daß er Holz und Rehe ſtiehlt.“ — „Kind, Brandes iſt ein Förſter.“ — „Mutter, lügen die Förſter?“
Margareth ſchwieg eine Weile, dann ſagte ſie: „Höre, Fritz, das Holz läßt unſer Herrgott frei wachſen und das Wild wechſelt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem ge- hören. Doch das verſtehſt du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reiſig.“
Friedrich hatte ſeinen Vater auf dem Stroh geſehen, wo er, wie man ſagt, blau und fürchter-
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zuſammen getragen, und jetzt bin ich allein!“ Dann
lauter: „Fritzchen, komm her!“ —
Friedrich kam ſcheu heran; die Mutter war
ihm ganz unheimlich geworden mit den ſchwarzen
Bändern und den verſtörten Zügen. „Fritzchen,“
ſagte ſie, „willſt du jetzt auch fromm ſein, daß ich
Freude an dir habe, oder willſt du unartig ſein
und lügen, oder ſaufen und ſtehlen?“ — „Mutter,
Hülsmeyer ſtiehlt.“ — „Hülsmeyer? Gott bewahre!
Soll ich dir auf den Rücken kommen? wer ſagt dir
ſo ſchlechtes Zeug?“ — „Er hat neulich den Aaron
geprügelt und ihm ſechs Groſchen genommen.“ —
„Hat er dem Aaron Geld genommen, ſo hat ihn
der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen.
Hülsmeyer iſt ein ordentlicher angeſeſſener Mann,
und die Juden ſind alle Schelme.“ — „Aber,
Mutter, Brandes ſagt auch, daß er Holz und Rehe
ſtiehlt.“ — „Kind, Brandes iſt ein Förſter.“ —
„Mutter, lügen die Förſter?“
Margareth ſchwieg eine Weile, dann ſagte ſie:
„Höre, Fritz, das Holz läßt unſer Herrgott frei
wachſen und das Wild wechſelt aus eines Herren
Lande in das andere; die können Niemandem ge-
hören. Doch das verſtehſt du noch nicht; jetzt geh
in den Schuppen und hole mir Reiſig.“
Friedrich hatte ſeinen Vater auf dem Stroh
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/172>, abgerufen am 16.07.2024.
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