Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Unerhört. Der Ossa sprach zum Pelion: "Was ist für ein Klang in den Lüften? Singt wohl die sterbende Nachtigall? Oder eine verstoßene Houri? Zehnmal fielen meine Cedern hin, Und meine Felsen zerbröckeln; Sechstausend Jahre machten mich grau Und sechszigtausend Stunden; Doch nie drang solch ein Laut zu mir Vom Thal oder aus der Höhe." Eine Mutter am Hange steht, Die weint ihr einzig Söhnlein. Unerhört. Der Oſſa ſprach zum Pelion: „Was iſt für ein Klang in den Lüften? Singt wohl die ſterbende Nachtigall? Oder eine verſtoßene Houri? Zehnmal fielen meine Cedern hin, Und meine Felſen zerbröckeln; Sechstauſend Jahre machten mich grau Und ſechszigtauſend Stunden; Doch nie drang ſolch ein Laut zu mir Vom Thal oder aus der Höhe.“ Eine Mutter am Hange ſteht, Die weint ihr einzig Söhnlein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0157" n="141"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Unerhört</hi>.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">D</hi>er Oſſa ſprach zum Pelion:</l><lb/> <l>„Was iſt für ein Klang in den Lüften?</l><lb/> <l>Singt wohl die ſterbende Nachtigall?</l><lb/> <l>Oder eine verſtoßene Houri?</l><lb/> <l>Zehnmal fielen meine Cedern hin,</l><lb/> <l>Und meine Felſen zerbröckeln;</l><lb/> <l>Sechstauſend Jahre machten mich grau</l><lb/> <l>Und ſechszigtauſend Stunden;</l><lb/> <l>Doch nie drang ſolch ein Laut zu mir</l><lb/> <l>Vom Thal oder aus der Höhe.“</l><lb/> <l>Eine Mutter am Hange ſteht,</l><lb/> <l>Die weint ihr einzig Söhnlein.</l> </lg> </lg> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [141/0157]
Unerhört.
Der Oſſa ſprach zum Pelion:
„Was iſt für ein Klang in den Lüften?
Singt wohl die ſterbende Nachtigall?
Oder eine verſtoßene Houri?
Zehnmal fielen meine Cedern hin,
Und meine Felſen zerbröckeln;
Sechstauſend Jahre machten mich grau
Und ſechszigtauſend Stunden;
Doch nie drang ſolch ein Laut zu mir
Vom Thal oder aus der Höhe.“
Eine Mutter am Hange ſteht,
Die weint ihr einzig Söhnlein.
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