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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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ihm vor, als ob Alles sich bewegte und die Bäume
in den einzelnen Mondstrahlen bald zusammen, bald
von einander schwankten. Baumwurzeln und schlüpf-
rige Stellen, wo sich das Wasser gesammelt, machten
seinen Schritt unsicher; er war einige Male nahe
daran, zu fallen. Jetzt schien sich in einiger Ent-
fernung das Dunkel zu brechen, und bald traten
Beide in eine ziemlich große Lichtung. Der Mond
schien klar hinein und zeigte, daß hier noch vor
Kurzem die Axt unbarmherzig gewüthet hatte.
Ueberall ragten Baumstümpfe hervor, manche meh-
rere Fuß über der Erde, wie sie gerade in der Eile
am bequemsten zu durchschneiden gewesen waren;
die verpönte Arbeit mußte unversehens unterbrochen
worden sein, denn eine Buche lag quer über dem
Pfad, in vollem Laube, ihre Zweige hoch über sich
streckend und im Nachtwinde mit den noch frischen
Blättern zitternd. Simon blieb einen Augenblick
stehen und betrachtete den gefällten Stamm mit
Aufmerksamkeit. In der Mitte der Lichtung stand
eine alte Eiche, mehr breit als hoch; ein blasser
Strahl, der durch die Zweige auf ihren Stamm
fiel, zeigte, daß er hohl sei, was ihn wahrscheinlich
vor der allgemeinen Zerstörung geschützt hatte. Hier
ergriff Simon plötzlich des Knaben Arm.

"Friedrich, kennst du den Baum? Das ist
die breite Eiche." -- Friedrich fuhr zusammen und

ihm vor, als ob Alles ſich bewegte und die Bäume
in den einzelnen Mondſtrahlen bald zuſammen, bald
von einander ſchwankten. Baumwurzeln und ſchlüpf-
rige Stellen, wo ſich das Waſſer geſammelt, machten
ſeinen Schritt unſicher; er war einige Male nahe
daran, zu fallen. Jetzt ſchien ſich in einiger Ent-
fernung das Dunkel zu brechen, und bald traten
Beide in eine ziemlich große Lichtung. Der Mond
ſchien klar hinein und zeigte, daß hier noch vor
Kurzem die Axt unbarmherzig gewüthet hatte.
Ueberall ragten Baumſtümpfe hervor, manche meh-
rere Fuß über der Erde, wie ſie gerade in der Eile
am bequemſten zu durchſchneiden geweſen waren;
die verpönte Arbeit mußte unverſehens unterbrochen
worden ſein, denn eine Buche lag quer über dem
Pfad, in vollem Laube, ihre Zweige hoch über ſich
ſtreckend und im Nachtwinde mit den noch friſchen
Blättern zitternd. Simon blieb einen Augenblick
ſtehen und betrachtete den gefällten Stamm mit
Aufmerkſamkeit. In der Mitte der Lichtung ſtand
eine alte Eiche, mehr breit als hoch; ein blaſſer
Strahl, der durch die Zweige auf ihren Stamm
fiel, zeigte, daß er hohl ſei, was ihn wahrſcheinlich
vor der allgemeinen Zerſtörung geſchützt hatte. Hier
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[164/0180] ihm vor, als ob Alles ſich bewegte und die Bäume in den einzelnen Mondſtrahlen bald zuſammen, bald von einander ſchwankten. Baumwurzeln und ſchlüpf- rige Stellen, wo ſich das Waſſer geſammelt, machten ſeinen Schritt unſicher; er war einige Male nahe daran, zu fallen. Jetzt ſchien ſich in einiger Ent- fernung das Dunkel zu brechen, und bald traten Beide in eine ziemlich große Lichtung. Der Mond ſchien klar hinein und zeigte, daß hier noch vor Kurzem die Axt unbarmherzig gewüthet hatte. Ueberall ragten Baumſtümpfe hervor, manche meh- rere Fuß über der Erde, wie ſie gerade in der Eile am bequemſten zu durchſchneiden geweſen waren; die verpönte Arbeit mußte unverſehens unterbrochen worden ſein, denn eine Buche lag quer über dem Pfad, in vollem Laube, ihre Zweige hoch über ſich ſtreckend und im Nachtwinde mit den noch friſchen Blättern zitternd. Simon blieb einen Augenblick ſtehen und betrachtete den gefällten Stamm mit Aufmerkſamkeit. In der Mitte der Lichtung ſtand eine alte Eiche, mehr breit als hoch; ein blaſſer Strahl, der durch die Zweige auf ihren Stamm fiel, zeigte, daß er hohl ſei, was ihn wahrſcheinlich vor der allgemeinen Zerſtörung geſchützt hatte. Hier ergriff Simon plötzlich des Knaben Arm. „Friedrich, kennſt du den Baum? Das iſt die breite Eiche.“ — Friedrich fuhr zuſammen und

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/180>, abgerufen am 29.12.2024.