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Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lichtes zu finden; es war nicht da. Er warf die Augen suchend umher und fuhr zusammen; in der Kammerthür stand Simon, fast unbekleidet, seine dürre Gestalt, sein ungekämmtes, wirres Haar und die vom Mondenschein verursachte Blässe des Gesichts gaben ihm ein schauerlich verändertes Ansehen. Sollte er nachtwandeln? dachte Friedrich und verhielt sich ganz still. -- Friedrich, wohin? flüsterte der Alte. -- Ohm, seid Ihr's? Ich will beichten gehen. -- Das dacht' ich mir; geh in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Christ. -- Das will ich, sagte Friedrich. -- Denk an die zehn Gebote: du sollst kein falsches Zeugniß ablegen gegen deinen Nächsten. -- Kein falsches! -- Nein, gar keines; du bist schlecht unterrichtet; wer einen Andern in der Beichte anklagt, der empfängt das Sacrament unwürdig.

Beide schwiegen. -- Ohm, wie kommt Ihr darauf? sagte Friedrich dann; Eu'r Gewissen ist nicht rein; Ihr habt mich belogen. -- Ich? so? -- Wo ist Eure Axt? -- Meine Axt? auf der Tenne. -- Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo ist der alte? -- Den kannst du heute bei Tage im Holzschuppen finden.

Geh, fuhr er verächtlich fort, ich dachte, du seiest ein Mann; aber du bist ein altes Weib, das gleich meint, das Haus brennt, wenn ihr Feuertopf raucht. Sieh, fuhr er fort, wenn ich mehr von der Geschichte weiß, als der Thürpfosten da, so will ich ewig nicht selig werden. Längst war ich zu Haus, fügte er hinzu. -- Friedrich stand beklemmt und zweifelnd. -- Er hätte

lichtes zu finden; es war nicht da. Er warf die Augen suchend umher und fuhr zusammen; in der Kammerthür stand Simon, fast unbekleidet, seine dürre Gestalt, sein ungekämmtes, wirres Haar und die vom Mondenschein verursachte Blässe des Gesichts gaben ihm ein schauerlich verändertes Ansehen. Sollte er nachtwandeln? dachte Friedrich und verhielt sich ganz still. — Friedrich, wohin? flüsterte der Alte. — Ohm, seid Ihr's? Ich will beichten gehen. — Das dacht' ich mir; geh in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Christ. — Das will ich, sagte Friedrich. — Denk an die zehn Gebote: du sollst kein falsches Zeugniß ablegen gegen deinen Nächsten. — Kein falsches! — Nein, gar keines; du bist schlecht unterrichtet; wer einen Andern in der Beichte anklagt, der empfängt das Sacrament unwürdig.

Beide schwiegen. — Ohm, wie kommt Ihr darauf? sagte Friedrich dann; Eu'r Gewissen ist nicht rein; Ihr habt mich belogen. — Ich? so? — Wo ist Eure Axt? — Meine Axt? auf der Tenne. — Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo ist der alte? — Den kannst du heute bei Tage im Holzschuppen finden.

Geh, fuhr er verächtlich fort, ich dachte, du seiest ein Mann; aber du bist ein altes Weib, das gleich meint, das Haus brennt, wenn ihr Feuertopf raucht. Sieh, fuhr er fort, wenn ich mehr von der Geschichte weiß, als der Thürpfosten da, so will ich ewig nicht selig werden. Längst war ich zu Haus, fügte er hinzu. — Friedrich stand beklemmt und zweifelnd. — Er hätte

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[0048] lichtes zu finden; es war nicht da. Er warf die Augen suchend umher und fuhr zusammen; in der Kammerthür stand Simon, fast unbekleidet, seine dürre Gestalt, sein ungekämmtes, wirres Haar und die vom Mondenschein verursachte Blässe des Gesichts gaben ihm ein schauerlich verändertes Ansehen. Sollte er nachtwandeln? dachte Friedrich und verhielt sich ganz still. — Friedrich, wohin? flüsterte der Alte. — Ohm, seid Ihr's? Ich will beichten gehen. — Das dacht' ich mir; geh in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Christ. — Das will ich, sagte Friedrich. — Denk an die zehn Gebote: du sollst kein falsches Zeugniß ablegen gegen deinen Nächsten. — Kein falsches! — Nein, gar keines; du bist schlecht unterrichtet; wer einen Andern in der Beichte anklagt, der empfängt das Sacrament unwürdig. Beide schwiegen. — Ohm, wie kommt Ihr darauf? sagte Friedrich dann; Eu'r Gewissen ist nicht rein; Ihr habt mich belogen. — Ich? so? — Wo ist Eure Axt? — Meine Axt? auf der Tenne. — Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo ist der alte? — Den kannst du heute bei Tage im Holzschuppen finden. Geh, fuhr er verächtlich fort, ich dachte, du seiest ein Mann; aber du bist ein altes Weib, das gleich meint, das Haus brennt, wenn ihr Feuertopf raucht. Sieh, fuhr er fort, wenn ich mehr von der Geschichte weiß, als der Thürpfosten da, so will ich ewig nicht selig werden. Längst war ich zu Haus, fügte er hinzu. — Friedrich stand beklemmt und zweifelnd. — Er hätte

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/48>, abgerufen am 28.03.2024.