Und jetzt -- wer hätte das geglaubt! Es ist ein Sohn, dem grimmig wacht Der Wunde Qual in dieser Nacht; Es ist ein Sohn, deß Phantasieen Um augenlose Schädel ziehen, Um tapfre Rechten, fleischesbaar. 12 Und wahrlich, wer in diesem Jahr Die Moldaubrücke ging entlang, Wenn einsam nur die Welle klang, Der Mond durch Regenwolken drang, Der sagte: schaurig sey zu sehen Im feuchten Wind der Bärte Wehen. An Otto's Brust wie ein Vampyr Die Rache lag so grimm und gier, Und keinem Andern war so lieb In Feindes Leib der blanke Hieb. O, könnt' er deine Thürme, Prag, Zerschmettern nur mit Einem Schlag: Gleich wär' es, ob der Hammer brach! Vom Lager sprang der junge Schlick, Trat vor das Zelt und sah hinauf, Wo in das Dämmergrau zurück Verrauchend wich des Mondes Lauf. Nur einsam ließ die Schimmer fallen Der Morgenstern aus Domes Hallen. "O Sonnenbote, Hesperus! "Führ' ihn herauf den heißen Tag, "Der manche Scharte zahlen mag!" Die Lüfte kalt wie Sterbekuß Erseufzten, als er dieses sprach.
Und jetzt — wer hätte das geglaubt! Es iſt ein Sohn, dem grimmig wacht Der Wunde Qual in dieſer Nacht; Es iſt ein Sohn, deß Phantaſieen Um augenloſe Schädel ziehen, Um tapfre Rechten, fleiſchesbaar. 12 Und wahrlich, wer in dieſem Jahr Die Moldaubrücke ging entlang, Wenn einſam nur die Welle klang, Der Mond durch Regenwolken drang, Der ſagte: ſchaurig ſey zu ſehen Im feuchten Wind der Bärte Wehen. An Otto's Bruſt wie ein Vampyr Die Rache lag ſo grimm und gier, Und keinem Andern war ſo lieb In Feindes Leib der blanke Hieb. O, könnt' er deine Thürme, Prag, Zerſchmettern nur mit Einem Schlag: Gleich wär' es, ob der Hammer brach! Vom Lager ſprang der junge Schlick, Trat vor das Zelt und ſah hinauf, Wo in das Dämmergrau zurück Verrauchend wich des Mondes Lauf. Nur einſam ließ die Schimmer fallen Der Morgenſtern aus Domes Hallen. „O Sonnenbote, Hesperus! „Führ' ihn herauf den heißen Tag, „Der manche Scharte zahlen mag!“ Die Lüfte kalt wie Sterbekuß Erſeufzten, als er dieſes ſprach.
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Und jetzt — wer hätte das geglaubt!
Es iſt ein Sohn, dem grimmig wacht
Der Wunde Qual in dieſer Nacht;
Es iſt ein Sohn, deß Phantaſieen
Um augenloſe Schädel ziehen,
Um tapfre Rechten, fleiſchesbaar. 12
Und wahrlich, wer in dieſem Jahr
Die Moldaubrücke ging entlang,
Wenn einſam nur die Welle klang,
Der Mond durch Regenwolken drang,
Der ſagte: ſchaurig ſey zu ſehen
Im feuchten Wind der Bärte Wehen.
An Otto's Bruſt wie ein Vampyr
Die Rache lag ſo grimm und gier,
Und keinem Andern war ſo lieb
In Feindes Leib der blanke Hieb.
O, könnt' er deine Thürme, Prag,
Zerſchmettern nur mit Einem Schlag:
Gleich wär' es, ob der Hammer brach!
Vom Lager ſprang der junge Schlick,
Trat vor das Zelt und ſah hinauf,
Wo in das Dämmergrau zurück
Verrauchend wich des Mondes Lauf.
Nur einſam ließ die Schimmer fallen
Der Morgenſtern aus Domes Hallen.
„O Sonnenbote, Hesperus!
„Führ' ihn herauf den heißen Tag,
„Der manche Scharte zahlen mag!“
Die Lüfte kalt wie Sterbekuß
Erſeufzten, als er dieſes ſprach.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/565>, abgerufen am 24.11.2024.
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