Das Alter kam, das Alter stellt sich ein; -- Nun vor den Augen schwebt es mir zumal, Nun vor dem Ohre hallt es ohne Zahl: "O bete! ringe! hilf ihm aus der Qual!" Ach Gott! du weißt nicht, wie voll Brand mein Hirn, Wenn mir der Dunkle nächtlich rührt die Stirn, Genau wie scheidend er gestreckt die Hände: Auch jetzt ich fühle wie das Blut sich dämmt. Geduld, Geduld! Da kömmt er, kömmt er, kömmt!"
Das Blatt ist leer; hier hat die Schrift ein Ende.
So mild die Landschaft und so kühn! Aus Felsenritzen Ranken blühn, Der wilde Dorn die Rose hegt. In sich versenkt des Arztes Sohn Schwand in des Waldes Spalten schon, An seine Stirn die Hand gelegt. Und wieder einsam tos't der Fall, Und einsam klagt die Nachtigall. Mich dünkt es flüst're durch den Raum: O Leben, Leben! bist du nur ein Traum?
Das Alter kam, das Alter ſtellt ſich ein; — Nun vor den Augen ſchwebt es mir zumal, Nun vor dem Ohre hallt es ohne Zahl: „O bete! ringe! hilf ihm aus der Qual!“ Ach Gott! du weißt nicht, wie voll Brand mein Hirn, Wenn mir der Dunkle nächtlich rührt die Stirn, Genau wie ſcheidend er geſtreckt die Hände: Auch jetzt ich fühle wie das Blut ſich dämmt. Geduld, Geduld! Da kömmt er, kömmt er, kömmt!“
Das Blatt iſt leer; hier hat die Schrift ein Ende.
So mild die Landſchaft und ſo kühn! Aus Felſenritzen Ranken blühn, Der wilde Dorn die Roſe hegt. In ſich verſenkt des Arztes Sohn Schwand in des Waldes Spalten ſchon, An ſeine Stirn die Hand gelegt. Und wieder einſam toſ't der Fall, Und einſam klagt die Nachtigall. Mich dünkt es flüſt're durch den Raum: O Leben, Leben! biſt du nur ein Traum?
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Das Alter kam, das Alter ſtellt ſich ein; —
Nun vor den Augen ſchwebt es mir zumal,
Nun vor dem Ohre hallt es ohne Zahl:
„O bete! ringe! hilf ihm aus der Qual!“
Ach Gott! du weißt nicht, wie voll Brand mein Hirn,
Wenn mir der Dunkle nächtlich rührt die Stirn,
Genau wie ſcheidend er geſtreckt die Hände:
Auch jetzt ich fühle wie das Blut ſich dämmt.
Geduld, Geduld! Da kömmt er, kömmt er, kömmt!“
Das Blatt iſt leer; hier hat die Schrift ein Ende.
So mild die Landſchaft und ſo kühn!
Aus Felſenritzen Ranken blühn,
Der wilde Dorn die Roſe hegt.
In ſich verſenkt des Arztes Sohn
Schwand in des Waldes Spalten ſchon,
An ſeine Stirn die Hand gelegt.
Und wieder einſam toſ't der Fall,
Und einſam klagt die Nachtigall.
Mich dünkt es flüſt're durch den Raum:
O Leben, Leben! biſt du nur ein Traum?
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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