Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Zum letzten Mal dem Meister alt
Sich dankbar seine Kunst erzeigt.
Gottlob! nun ist die Schlucht erreicht.
Er blickt empor, durch's graue Haupt,
Fast von der Kälte sinnberaubt,
Noch einmal durch die öde Brust
Zieht sich das Bild vergangner Lust,
An der sein ganzes Herz gehangen,
Und doppelt fühlt er sich gefangen.

In Quarzes Schichten eingezwängt,
Durch die der schmale Pfad sich drängt,
Streckt, überbaut von Felsenwucht,
Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.
Kein Laut die todte Luft durchirrt,
Kein Lebenshauch ist zu entdecken;
Und, wenn es unversehens schwirrt,
Das Schneehuhn kann den Wandrer schrecken.
Wo droben schwimmt das Felsendach,
An dem der Wintersturm sich brach
Jahrtausende; -- doch die Gedanken
Verlassen ihn, -- er sieht es wanken --
Er fördert keuchend seinen Schritt --
Und immerfort, in tollem Schwanken,
Ziehn rechts und links die Klippen mit;
Daß jener harrt, -- sogleich -- sogleich --
Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,
Die ungeheure Masse klirrt,
Und er sich schon zerschmettert glaubt,
So sehr ihm Furcht die Sinne raubt.

Zum letzten Mal dem Meiſter alt
Sich dankbar ſeine Kunſt erzeigt.
Gottlob! nun iſt die Schlucht erreicht.
Er blickt empor, durch's graue Haupt,
Faſt von der Kälte ſinnberaubt,
Noch einmal durch die öde Bruſt
Zieht ſich das Bild vergangner Luſt,
An der ſein ganzes Herz gehangen,
Und doppelt fühlt er ſich gefangen.

In Quarzes Schichten eingezwängt,
Durch die der ſchmale Pfad ſich drängt,
Streckt, überbaut von Felſenwucht,
Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.
Kein Laut die todte Luft durchirrt,
Kein Lebenshauch iſt zu entdecken;
Und, wenn es unverſehens ſchwirrt,
Das Schneehuhn kann den Wandrer ſchrecken.
Wo droben ſchwimmt das Felſendach,
An dem der Winterſturm ſich brach
Jahrtauſende; — doch die Gedanken
Verlaſſen ihn, — er ſieht es wanken —
Er fördert keuchend ſeinen Schritt —
Und immerfort, in tollem Schwanken,
Ziehn rechts und links die Klippen mit;
Daß jener harrt, — ſogleich — ſogleich —
Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,
Die ungeheure Maſſe klirrt,
Und er ſich ſchon zerſchmettert glaubt,
So ſehr ihm Furcht die Sinne raubt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="6">
                <pb facs="#f0417" n="403"/>
                <l>Zum letzten Mal dem Mei&#x017F;ter alt</l><lb/>
                <l>Sich dankbar &#x017F;eine Kun&#x017F;t erzeigt.</l><lb/>
                <l>Gottlob! nun i&#x017F;t die Schlucht erreicht.</l><lb/>
                <l>Er blickt empor, durch's graue Haupt,</l><lb/>
                <l>Fa&#x017F;t von der Kälte &#x017F;innberaubt,</l><lb/>
                <l>Noch einmal durch die öde Bru&#x017F;t</l><lb/>
                <l>Zieht &#x017F;ich das Bild vergangner Lu&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>An der &#x017F;ein ganzes Herz gehangen,</l><lb/>
                <l>Und doppelt fühlt er &#x017F;ich gefangen.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="7">
                <l>In Quarzes Schichten eingezwängt,</l><lb/>
                <l>Durch die der &#x017F;chmale Pfad &#x017F;ich drängt,</l><lb/>
                <l>Streckt, überbaut von Fel&#x017F;enwucht,</l><lb/>
                <l>Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.</l><lb/>
                <l>Kein Laut die todte Luft durchirrt,</l><lb/>
                <l>Kein Lebenshauch i&#x017F;t zu entdecken;</l><lb/>
                <l>Und, wenn es unver&#x017F;ehens &#x017F;chwirrt,</l><lb/>
                <l>Das Schneehuhn kann den Wandrer &#x017F;chrecken.</l><lb/>
                <l>Wo droben &#x017F;chwimmt das Fel&#x017F;endach,</l><lb/>
                <l>An dem der Winter&#x017F;turm &#x017F;ich brach</l><lb/>
                <l>Jahrtau&#x017F;ende; &#x2014; doch die Gedanken</l><lb/>
                <l>Verla&#x017F;&#x017F;en ihn, &#x2014; er &#x017F;ieht es wanken &#x2014;</l><lb/>
                <l>Er fördert keuchend &#x017F;einen Schritt &#x2014;</l><lb/>
                <l>Und immerfort, in tollem Schwanken,</l><lb/>
                <l>Ziehn rechts und links die Klippen mit;</l><lb/>
                <l>Daß jener harrt, &#x2014; &#x017F;ogleich &#x2014; &#x017F;ogleich &#x2014;</l><lb/>
                <l>Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,</l><lb/>
                <l>Die ungeheure Ma&#x017F;&#x017F;e klirrt,</l><lb/>
                <l>Und er &#x017F;ich &#x017F;chon zer&#x017F;chmettert glaubt,</l><lb/>
                <l>So &#x017F;ehr ihm Furcht die Sinne raubt.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[403/0417] Zum letzten Mal dem Meiſter alt Sich dankbar ſeine Kunſt erzeigt. Gottlob! nun iſt die Schlucht erreicht. Er blickt empor, durch's graue Haupt, Faſt von der Kälte ſinnberaubt, Noch einmal durch die öde Bruſt Zieht ſich das Bild vergangner Luſt, An der ſein ganzes Herz gehangen, Und doppelt fühlt er ſich gefangen. In Quarzes Schichten eingezwängt, Durch die der ſchmale Pfad ſich drängt, Streckt, überbaut von Felſenwucht, Sich lang des Pain de Sucre Schlucht. Kein Laut die todte Luft durchirrt, Kein Lebenshauch iſt zu entdecken; Und, wenn es unverſehens ſchwirrt, Das Schneehuhn kann den Wandrer ſchrecken. Wo droben ſchwimmt das Felſendach, An dem der Winterſturm ſich brach Jahrtauſende; — doch die Gedanken Verlaſſen ihn, — er ſieht es wanken — Er fördert keuchend ſeinen Schritt — Und immerfort, in tollem Schwanken, Ziehn rechts und links die Klippen mit; Daß jener harrt, — ſogleich — ſogleich — Wie, aus der Lüfte Schwindelreich, Die ungeheure Maſſe klirrt, Und er ſich ſchon zerſchmettert glaubt, So ſehr ihm Furcht die Sinne raubt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/417
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/417>, abgerufen am 23.11.2024.