Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Wasser zischt, es brodelt auf, es reckt die modergrünen
Glieder,
Und rückwärts, rückwärts sonder Halt
Raschelt der Täuscher durch den Wald.

Erst im Verhaue, wo die Luft spielt mit der Beere Würzarome,
Und auf den goldnen Schwingen trägt das Festgeläut vom
nahen Dome,
Dort sinkt er schluchzend auf die Knie, so fest, so fest die
Händ' gefaltet,
O selten hat ein Seufzer so des Herzens tiefsten Grund
gespaltet!
Was dieser Seufzer trägt, es muß
Sich nahen wie ein glüher Kuß.
Und Zähren Perl' an Perle sich entlang die braunen Wangen
schmiegen,
So mochte der verlorne Sohn zu seines Vaters Füßen liegen;
Da plötzlich zuckt der Beter -- greift zum Gurte -- tastet
dann auf's Neue --
Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein
wunder Leue,
Und in den Fingern angstgekrampft
Die triefende Phiole dampft!!
V.
Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes
Nagen rüttelt,
Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem sich Kohlenstaub
entschüttelt,

Das Waſſer ziſcht, es brodelt auf, es reckt die modergrünen
Glieder,
Und rückwärts, rückwärts ſonder Halt
Raſchelt der Täuſcher durch den Wald.

Erſt im Verhaue, wo die Luft ſpielt mit der Beere Würzarome,
Und auf den goldnen Schwingen trägt das Feſtgeläut vom
nahen Dome,
Dort ſinkt er ſchluchzend auf die Knie, ſo feſt, ſo feſt die
Händ' gefaltet,
O ſelten hat ein Seufzer ſo des Herzens tiefſten Grund
geſpaltet!
Was dieſer Seufzer trägt, es muß
Sich nahen wie ein glüher Kuß.
Und Zähren Perl' an Perle ſich entlang die braunen Wangen
ſchmiegen,
So mochte der verlorne Sohn zu ſeines Vaters Füßen liegen;
Da plötzlich zuckt der Beter — greift zum Gurte — taſtet
dann auf's Neue —
Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein
wunder Leue,
Und in den Fingern angſtgekrampft
Die triefende Phiole dampft!!
V.
Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes
Nagen rüttelt,
Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem ſich Kohlenſtaub
entſchüttelt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="13">
                <pb facs="#f0400" n="386"/>
                <l>Das Wa&#x017F;&#x017F;er zi&#x017F;cht, es brodelt auf, es reckt die modergrünen</l><lb/>
                <l>Glieder,</l><lb/>
                <l>Und rückwärts, rückwärts &#x017F;onder Halt</l><lb/>
                <l>Ra&#x017F;chelt der Täu&#x017F;cher durch den Wald.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="14">
                <l>Er&#x017F;t im Verhaue, wo die Luft &#x017F;pielt mit der Beere Würzarome,</l><lb/>
                <l>Und auf den goldnen Schwingen trägt das Fe&#x017F;tgeläut vom</l><lb/>
                <l>nahen Dome,</l><lb/>
                <l>Dort &#x017F;inkt er &#x017F;chluchzend auf die Knie, &#x017F;o fe&#x017F;t, &#x017F;o fe&#x017F;t die</l><lb/>
                <l>Händ' gefaltet,</l><lb/>
                <l>O &#x017F;elten hat ein Seufzer &#x017F;o des Herzens tief&#x017F;ten Grund</l><lb/>
                <l>ge&#x017F;paltet!</l><lb/>
                <l>Was die&#x017F;er Seufzer trägt, es muß</l><lb/>
                <l>Sich nahen wie ein glüher Kuß.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="15">
                <l>Und Zähren Perl' an Perle &#x017F;ich entlang die braunen Wangen</l><lb/>
                <l>&#x017F;chmiegen,</l><lb/>
                <l>So mochte der verlorne Sohn zu &#x017F;eines Vaters Füßen liegen;</l><lb/>
                <l>Da plötzlich zuckt der Beter &#x2014; greift zum Gurte &#x2014; ta&#x017F;tet</l><lb/>
                <l>dann auf's Neue &#x2014;</l><lb/>
                <l>Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein</l><lb/>
                <l>wunder Leue,</l><lb/>
                <l>Und in den Fingern ang&#x017F;tgekrampft</l><lb/>
                <l>Die triefende Phiole dampft!!</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">V</hi>.<lb/></head>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes</l><lb/>
                <l>Nagen rüttelt,</l><lb/>
                <l>Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem &#x017F;ich Kohlen&#x017F;taub</l><lb/>
                <l>ent&#x017F;chüttelt,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0400] Das Waſſer ziſcht, es brodelt auf, es reckt die modergrünen Glieder, Und rückwärts, rückwärts ſonder Halt Raſchelt der Täuſcher durch den Wald. Erſt im Verhaue, wo die Luft ſpielt mit der Beere Würzarome, Und auf den goldnen Schwingen trägt das Feſtgeläut vom nahen Dome, Dort ſinkt er ſchluchzend auf die Knie, ſo feſt, ſo feſt die Händ' gefaltet, O ſelten hat ein Seufzer ſo des Herzens tiefſten Grund geſpaltet! Was dieſer Seufzer trägt, es muß Sich nahen wie ein glüher Kuß. Und Zähren Perl' an Perle ſich entlang die braunen Wangen ſchmiegen, So mochte der verlorne Sohn zu ſeines Vaters Füßen liegen; Da plötzlich zuckt der Beter — greift zum Gurte — taſtet dann auf's Neue — Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein wunder Leue, Und in den Fingern angſtgekrampft Die triefende Phiole dampft!! V. Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes Nagen rüttelt, Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem ſich Kohlenſtaub entſchüttelt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/400
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/400>, abgerufen am 25.11.2024.