Mit seinem Kreuz und Silberstabe. Die ewge Lamp' an seinem Grabe Hat heute hundert Jahr gebrannt. In seinem Sessel an der Wand Sitzt heut ein schlichter alter Knabe.
Des Hauses Diener, Sigismund, Harrt hier der Herrschaft, Stund' auf Stund: Schon kam die Nacht mit ihren Flören, Oft glaubt die Kutsche er zu hören, Ihr Quitschern in des Weges Kies, Er richtet sich -- doch nein -- es blies Der Abendwind nur durch die Föhren.
'S ist eine Dämmernacht, genau Gemacht für Alp und weiße Frau. Dem Junkerlein ward es zu lange, Dort schläft es hinter'm Damasthange. Die Chronik hält der Alte noch, Und blättert fort im Finstern, doch Im Ohre summt es gleich Gesange:
"So hab' ich dieses Schloß erbaut, Ihm mein Erworbnes anvertraut, Zu des Geschlechtes Nutz und Walten; Ein neuer Stamm sprießt aus dem alten, Gott segne ihn! Gott mach' ihn groß! --" Der Alte horcht, das Buch vom Schooß Schiebt sacht er in der Lade Spalten:
Mit ſeinem Kreuz und Silberſtabe. Die ewge Lamp' an ſeinem Grabe Hat heute hundert Jahr gebrannt. In ſeinem Seſſel an der Wand Sitzt heut ein ſchlichter alter Knabe.
Des Hauſes Diener, Sigismund, Harrt hier der Herrſchaft, Stund' auf Stund: Schon kam die Nacht mit ihren Flören, Oft glaubt die Kutſche er zu hören, Ihr Quitſchern in des Weges Kies, Er richtet ſich — doch nein — es blies Der Abendwind nur durch die Föhren.
'S iſt eine Dämmernacht, genau Gemacht für Alp und weiße Frau. Dem Junkerlein ward es zu lange, Dort ſchläft es hinter'm Damaſthange. Die Chronik hält der Alte noch, Und blättert fort im Finſtern, doch Im Ohre ſummt es gleich Geſange:
„So hab' ich dieſes Schloß erbaut, Ihm mein Erworbnes anvertraut, Zu des Geſchlechtes Nutz und Walten; Ein neuer Stamm ſprießt aus dem alten, Gott ſegne ihn! Gott mach' ihn groß! —“ Der Alte horcht, das Buch vom Schooß Schiebt ſacht er in der Lade Spalten:
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Mit ſeinem Kreuz und Silberſtabe.
Die ewge Lamp' an ſeinem Grabe
Hat heute hundert Jahr gebrannt.
In ſeinem Seſſel an der Wand
Sitzt heut ein ſchlichter alter Knabe.
Des Hauſes Diener, Sigismund,
Harrt hier der Herrſchaft, Stund' auf Stund:
Schon kam die Nacht mit ihren Flören,
Oft glaubt die Kutſche er zu hören,
Ihr Quitſchern in des Weges Kies,
Er richtet ſich — doch nein — es blies
Der Abendwind nur durch die Föhren.
'S iſt eine Dämmernacht, genau
Gemacht für Alp und weiße Frau.
Dem Junkerlein ward es zu lange,
Dort ſchläft es hinter'm Damaſthange.
Die Chronik hält der Alte noch,
Und blättert fort im Finſtern, doch
Im Ohre ſummt es gleich Geſange:
„So hab' ich dieſes Schloß erbaut,
Ihm mein Erworbnes anvertraut,
Zu des Geſchlechtes Nutz und Walten;
Ein neuer Stamm ſprießt aus dem alten,
Gott ſegne ihn! Gott mach' ihn groß! —“
Der Alte horcht, das Buch vom Schooß
Schiebt ſacht er in der Lade Spalten:
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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