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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Ich dehnte mich mit Macht
Und langte nach dem Wunden,
Doch als ich halb erwacht,
Da war auch er verschwunden,
Zerronnen wie ein Wellenschaum, --
Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen,
Und unter mir, an Weihers Saum,
Der Unken zart Geläute tönen.
Die Glöckchen schliefen ein,
Es schwoll der Kronen Rauschen,
Ein Licht wie Mondenschein
Begann am Ast zu lauschen,
Und lauter raschelte der Wald,
Die Zweige schienen sich zu breiten,
Und eine dämmernde Gestalt
Sah ich durch seine Hallen gleiten.
Das Kreuz in ihrer Hand,
Um ihre Stirn die Binde,
Ihr langer Schleyer wand
Und rollte sich im Winde.
Sie trat so sacht behutsam vor,
Als ob sie jedes Kräutlein schone,
O Gott, da sah ich unter'm Flor,
Sah eine blutge Dornenkrone!
Die Fraue weinte nicht
Und hat auch nicht gesprochen,
Allein ihr Angesicht
Hat mir das Herz gebrochen,
Ich dehnte mich mit Macht
Und langte nach dem Wunden,
Doch als ich halb erwacht,
Da war auch er verſchwunden,
Zerronnen wie ein Wellenſchaum, —
Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen,
Und unter mir, an Weihers Saum,
Der Unken zart Geläute tönen.
Die Glöckchen ſchliefen ein,
Es ſchwoll der Kronen Rauſchen,
Ein Licht wie Mondenſchein
Begann am Aſt zu lauſchen,
Und lauter raſchelte der Wald,
Die Zweige ſchienen ſich zu breiten,
Und eine dämmernde Geſtalt
Sah ich durch ſeine Hallen gleiten.
Das Kreuz in ihrer Hand,
Um ihre Stirn die Binde,
Ihr langer Schleyer wand
Und rollte ſich im Winde.
Sie trat ſo ſacht behutſam vor,
Als ob ſie jedes Kräutlein ſchone,
O Gott, da ſah ich unter'm Flor,
Sah eine blutge Dornenkrone!
Die Fraue weinte nicht
Und hat auch nicht geſprochen,
Allein ihr Angeſicht
Hat mir das Herz gebrochen,
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[14/0028] Ich dehnte mich mit Macht Und langte nach dem Wunden, Doch als ich halb erwacht, Da war auch er verſchwunden, Zerronnen wie ein Wellenſchaum, — Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen, Und unter mir, an Weihers Saum, Der Unken zart Geläute tönen. Die Glöckchen ſchliefen ein, Es ſchwoll der Kronen Rauſchen, Ein Licht wie Mondenſchein Begann am Aſt zu lauſchen, Und lauter raſchelte der Wald, Die Zweige ſchienen ſich zu breiten, Und eine dämmernde Geſtalt Sah ich durch ſeine Hallen gleiten. Das Kreuz in ihrer Hand, Um ihre Stirn die Binde, Ihr langer Schleyer wand Und rollte ſich im Winde. Sie trat ſo ſacht behutſam vor, Als ob ſie jedes Kräutlein ſchone, O Gott, da ſah ich unter'm Flor, Sah eine blutge Dornenkrone! Die Fraue weinte nicht Und hat auch nicht geſprochen, Allein ihr Angeſicht Hat mir das Herz gebrochen,

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/28>, abgerufen am 04.10.2024.