Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Welch fremdes Aug' hat in den ernsten Lettern, Sie standen da wie vor Pantheons Hallen, Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub; Ich saß an einem Hügel, wo zu Staub Der Menschenherzen freundlichstes zerfallen. Sie redeten von den zersprengten Kreisen, Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint; Ich dachte an die Wittwen und die Waisen, Die seinem dunklen Sarge nachgeweint. Sie redeten von seines Geistes Walten, Von seinem starken ungebeugten Sinn, Und wie er nun der Wissenschaft dahin, Der Mann an dem sich mancher Arm gehalten; Ich hörte ihres Lobes Wogen schießen, Es waren Worte wohlgemeint und wahr, Doch meine Thränen fühlt' ich heißer fließen, Als ob man ihn verkenne ganz und gar. Und endlich hört' ich ihre Stimmen schwinden, Ihr letztes Wort war eine Klage noch: Daß nicht so leicht ein gleiches Wissen doch, Daß selten nur ein gleicher Geist zu finden. Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten, Hab' seines Grabes feuchten Halm geküßt: "Wo giebt es einen Vater, einen Gatten, Und einen Freund wie du gewesen bist!" Welch fremdes Aug' hat in den ernſten Lettern, Sie ſtanden da wie vor Pantheons Hallen, Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub; Ich ſaß an einem Hügel, wo zu Staub Der Menſchenherzen freundlichſtes zerfallen. Sie redeten von den zerſprengten Kreiſen, Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint; Ich dachte an die Wittwen und die Waiſen, Die ſeinem dunklen Sarge nachgeweint. Sie redeten von ſeines Geiſtes Walten, Von ſeinem ſtarken ungebeugten Sinn, Und wie er nun der Wiſſenſchaft dahin, Der Mann an dem ſich mancher Arm gehalten; Ich hörte ihres Lobes Wogen ſchießen, Es waren Worte wohlgemeint und wahr, Doch meine Thränen fühlt' ich heißer fließen, Als ob man ihn verkenne ganz und gar. Und endlich hört' ich ihre Stimmen ſchwinden, Ihr letztes Wort war eine Klage noch: Daß nicht ſo leicht ein gleiches Wiſſen doch, Daß ſelten nur ein gleicher Geiſt zu finden. Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten, Hab' ſeines Grabes feuchten Halm geküßt: „Wo giebt es einen Vater, einen Gatten, Und einen Freund wie du geweſen biſt!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0171" n="157"/> <l>Welch fremdes Aug' hat in den ernſten Lettern,</l><lb/> <l>Dem ſtrengen Wort des Herzens Schlag erkannt?</l><lb/> <l>Die Blitze ſaht ihr, aber aus den Wettern</l><lb/> <l>Saht ihr auch ſegnen eines Engels Hand?</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Sie ſtanden da wie vor Pantheons Hallen,</l><lb/> <l>Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub;</l><lb/> <l>Ich ſaß an einem Hügel, wo zu Staub</l><lb/> <l>Der Menſchenherzen freundlichſtes zerfallen.</l><lb/> <l>Sie redeten von den zerſprengten Kreiſen,</l><lb/> <l>Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint;</l><lb/> <l>Ich dachte an die Wittwen und die Waiſen,</l><lb/> <l>Die ſeinem dunklen Sarge nachgeweint.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Sie redeten von ſeines Geiſtes Walten,</l><lb/> <l>Von ſeinem ſtarken ungebeugten Sinn,</l><lb/> <l>Und wie er nun der Wiſſenſchaft dahin,</l><lb/> <l>Der Mann an dem ſich mancher Arm gehalten;</l><lb/> <l>Ich hörte ihres Lobes Wogen ſchießen,</l><lb/> <l>Es waren Worte wohlgemeint und wahr,</l><lb/> <l>Doch meine Thränen fühlt' ich heißer fließen,</l><lb/> <l>Als ob man ihn verkenne ganz und gar.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Und endlich hört' ich ihre Stimmen ſchwinden,</l><lb/> <l>Ihr letztes Wort war eine Klage noch:</l><lb/> <l>Daß nicht ſo leicht ein gleiches Wiſſen doch,</l><lb/> <l>Daß ſelten nur ein gleicher Geiſt zu finden.</l><lb/> <l>Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten,</l><lb/> <l>Hab' ſeines Grabes feuchten Halm geküßt:</l><lb/> <l>„Wo giebt es einen Vater, einen Gatten,</l><lb/> <l>Und einen Freund wie du geweſen biſt!“</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0171]
Welch fremdes Aug' hat in den ernſten Lettern,
Dem ſtrengen Wort des Herzens Schlag erkannt?
Die Blitze ſaht ihr, aber aus den Wettern
Saht ihr auch ſegnen eines Engels Hand?
Sie ſtanden da wie vor Pantheons Hallen,
Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub;
Ich ſaß an einem Hügel, wo zu Staub
Der Menſchenherzen freundlichſtes zerfallen.
Sie redeten von den zerſprengten Kreiſen,
Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint;
Ich dachte an die Wittwen und die Waiſen,
Die ſeinem dunklen Sarge nachgeweint.
Sie redeten von ſeines Geiſtes Walten,
Von ſeinem ſtarken ungebeugten Sinn,
Und wie er nun der Wiſſenſchaft dahin,
Der Mann an dem ſich mancher Arm gehalten;
Ich hörte ihres Lobes Wogen ſchießen,
Es waren Worte wohlgemeint und wahr,
Doch meine Thränen fühlt' ich heißer fließen,
Als ob man ihn verkenne ganz und gar.
Und endlich hört' ich ihre Stimmen ſchwinden,
Ihr letztes Wort war eine Klage noch:
Daß nicht ſo leicht ein gleiches Wiſſen doch,
Daß ſelten nur ein gleicher Geiſt zu finden.
Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten,
Hab' ſeines Grabes feuchten Halm geküßt:
„Wo giebt es einen Vater, einen Gatten,
Und einen Freund wie du geweſen biſt!“
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