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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Seit sie den unbedachten Fuß gestreckt
Auf fremden Grund und hörte fremden Ton;
Sie küßte scheidend jung' und frische Wangen,
Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen;
Ist's Wunder, daß sie tödtlich aufgeschreckt?

In Träumen steigt das Krankenbett empor,
Und Züge dämmern, wie in halber Nacht;
Wer ist's? -- sie weiß es nicht und spannt das Ohr,
Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht;
Dann fährt sie plötzlich auf beim Windesrauschen,
Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauschen,
Und kann erst spät begreifen daß sie wacht.
Doch sieh, dort fliegt sie über'n glatten Flur,
Ihr aufgelöstes Haar umfließt sie rund,
Und zitternd ruft sie, mit des Weinens Spur:
"Ein Brief, ein Brief, die Mutter ist gesund!"
Und ihre Thränen stürzen wie zwei Quellen,
Die übervoll aus ihren Ufern schwellen;
Ach, eine Mutter hat man einmal nur!

Seit ſie den unbedachten Fuß geſtreckt
Auf fremden Grund und hörte fremden Ton;
Sie küßte ſcheidend jung' und friſche Wangen,
Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen;
Iſt's Wunder, daß ſie tödtlich aufgeſchreckt?

In Träumen ſteigt das Krankenbett empor,
Und Züge dämmern, wie in halber Nacht;
Wer iſt's? — ſie weiß es nicht und ſpannt das Ohr,
Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht;
Dann fährt ſie plötzlich auf beim Windesrauſchen,
Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauſchen,
Und kann erſt ſpät begreifen daß ſie wacht.
Doch ſieh, dort fliegt ſie über'n glatten Flur,
Ihr aufgelöstes Haar umfließt ſie rund,
Und zitternd ruft ſie, mit des Weinens Spur:
„Ein Brief, ein Brief, die Mutter iſt geſund!“
Und ihre Thränen ſtürzen wie zwei Quellen,
Die übervoll aus ihren Ufern ſchwellen;
Ach, eine Mutter hat man einmal nur!

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[135/0149] Seit ſie den unbedachten Fuß geſtreckt Auf fremden Grund und hörte fremden Ton; Sie küßte ſcheidend jung' und friſche Wangen, Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen; Iſt's Wunder, daß ſie tödtlich aufgeſchreckt? In Träumen ſteigt das Krankenbett empor, Und Züge dämmern, wie in halber Nacht; Wer iſt's? — ſie weiß es nicht und ſpannt das Ohr, Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht; Dann fährt ſie plötzlich auf beim Windesrauſchen, Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauſchen, Und kann erſt ſpät begreifen daß ſie wacht. Doch ſieh, dort fliegt ſie über'n glatten Flur, Ihr aufgelöstes Haar umfließt ſie rund, Und zitternd ruft ſie, mit des Weinens Spur: „Ein Brief, ein Brief, die Mutter iſt geſund!“ Und ihre Thränen ſtürzen wie zwei Quellen, Die übervoll aus ihren Ufern ſchwellen; Ach, eine Mutter hat man einmal nur!

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/149>, abgerufen am 03.12.2024.