Ueber dem Brünnlein nicket der Zweig, Waldvögel zwitschern und flöten, Wild Anemon' und Schlehdorn bleich Im Abendstrale sich röthen, Und ein Mädchen mit blondem Haar Beugt über der glitzernden Welle, Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr, Mit dem Auge der scheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert sie ab: "Liebt er, liebt er mich nimmer?" Und wenn "liebt" das Orakel gab, Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer: "Liebt er nicht" -- o Grimm und Graus! Daß der Himmel den Blüten gnade! Gras und Blumen, den ganzen Strauß, Wirft sie zürnend in die Cascade.
Gleitet dann in die Kräuter lind, Ihr Auge wird ernst und sinnend; Frommer Eltern heftiges Kind, Nur Minne nehmend und minnend, Kannte sie nie ein anderes Band Als des Blutes, die schüchterne Hinde; Und nun Einer, der nicht verwandt -- Ist das nicht eine schwere Sünde?
Junge Liebe.
Ueber dem Brünnlein nicket der Zweig, Waldvögel zwitſchern und flöten, Wild Anemon' und Schlehdorn bleich Im Abendſtrale ſich röthen, Und ein Mädchen mit blondem Haar Beugt über der glitzernden Welle, Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr, Mit dem Auge der ſcheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert ſie ab: „Liebt er, liebt er mich nimmer?“ Und wenn „liebt“ das Orakel gab, Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer: „Liebt er nicht“ — o Grimm und Graus! Daß der Himmel den Blüten gnade! Gras und Blumen, den ganzen Strauß, Wirft ſie zürnend in die Cascade.
Gleitet dann in die Kräuter lind, Ihr Auge wird ernſt und ſinnend; Frommer Eltern heftiges Kind, Nur Minne nehmend und minnend, Kannte ſie nie ein anderes Band Als des Blutes, die ſchüchterne Hinde; Und nun Einer, der nicht verwandt — Iſt das nicht eine ſchwere Sünde?
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Junge Liebe.
Ueber dem Brünnlein nicket der Zweig,
Waldvögel zwitſchern und flöten,
Wild Anemon' und Schlehdorn bleich
Im Abendſtrale ſich röthen,
Und ein Mädchen mit blondem Haar
Beugt über der glitzernden Welle,
Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr,
Mit dem Auge der ſcheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert ſie ab:
„Liebt er, liebt er mich nimmer?“
Und wenn „liebt“ das Orakel gab,
Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer:
„Liebt er nicht“ — o Grimm und Graus!
Daß der Himmel den Blüten gnade!
Gras und Blumen, den ganzen Strauß,
Wirft ſie zürnend in die Cascade.
Gleitet dann in die Kräuter lind,
Ihr Auge wird ernſt und ſinnend;
Frommer Eltern heftiges Kind,
Nur Minne nehmend und minnend,
Kannte ſie nie ein anderes Band
Als des Blutes, die ſchüchterne Hinde;
Und nun Einer, der nicht verwandt —
Iſt das nicht eine ſchwere Sünde?
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/142>, abgerufen am 24.11.2024.
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