Ein Sprichwort sagt: wem gar nichts fehlt, Den ärgert an der Wand die Fliege; So hat dies Wort ihn mehr gequält, Als Andre Hinterlist und Lüge. Und sprach sie sanft: "es paßte schlecht!" Durch Demuth seinen Groll zu zähmen, So schwur er, übel oder recht, Werd' es ihn ärgern und beschämen.
Ein Blüthenhaag war seine Lust. Einst sah die Frau ihn sinnend stehen, Und ganz versunken, unbewußt, So Zweig an Zweig vom Strauche drehen; "In Gottes Namen!" rief sie, "Mann, "Du ruinirst den ganzen Hagen!" Der Gatte sah sie grimmig an, Fürwahr, fast hätt' er sie geschlagen.
Doch wer da Unglück sucht und Reu, Dem werden sie entgegen eilen, Der Handel ist ein zart Gebäu, Und ruht gar sehr auf fremden Säulen. Ein Freund fallirt, ein Schuldner flieht, Ein Gläub'ger will sich nicht gedulden, Und eh ein halbes Jahr verzieht Weiß unser Krämer sich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft gesehn Gedankenvoll im Sande waten, Am Contobuche seufzend stehn, Und hat ihn endlich auch errathen;
v. Droste-Hülshof, Gedichte 15
Ein Sprichwort ſagt: wem gar nichts fehlt, Den ärgert an der Wand die Fliege; So hat dies Wort ihn mehr gequält, Als Andre Hinterliſt und Lüge. Und ſprach ſie ſanft: „es paßte ſchlecht!“ Durch Demuth ſeinen Groll zu zähmen, So ſchwur er, übel oder recht, Werd' es ihn ärgern und beſchämen.
Ein Blüthenhaag war ſeine Luſt. Einſt ſah die Frau ihn ſinnend ſtehen, Und ganz verſunken, unbewußt, So Zweig an Zweig vom Strauche drehen; „In Gottes Namen!“ rief ſie, „Mann, „Du ruinirſt den ganzen Hagen!“ Der Gatte ſah ſie grimmig an, Fürwahr, faſt hätt' er ſie geſchlagen.
Doch wer da Unglück ſucht und Reu, Dem werden ſie entgegen eilen, Der Handel iſt ein zart Gebäu, Und ruht gar ſehr auf fremden Säulen. Ein Freund fallirt, ein Schuldner flieht, Ein Gläub'ger will ſich nicht gedulden, Und eh ein halbes Jahr verzieht Weiß unſer Krämer ſich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft geſehn Gedankenvoll im Sande waten, Am Contobuche ſeufzend ſtehn, Und hat ihn endlich auch errathen;
v. Droſte-Hülshof, Gedichte 15
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><pbfacs="#f0239"n="225"/><lgn="4"><l>Ein Sprichwort ſagt: wem gar nichts fehlt,</l><lb/><l>Den ärgert an der Wand die Fliege;</l><lb/><l>So hat dies Wort ihn mehr gequält,</l><lb/><l>Als Andre Hinterliſt und Lüge.</l><lb/><l>Und ſprach ſie ſanft: „es paßte ſchlecht!“</l><lb/><l>Durch Demuth ſeinen Groll zu zähmen,</l><lb/><l>So ſchwur er, übel oder recht,</l><lb/><l>Werd' es ihn ärgern und beſchämen.</l><lb/></lg><lgn="5"><l>Ein Blüthenhaag war ſeine Luſt.</l><lb/><l>Einſt ſah die Frau ihn ſinnend ſtehen,</l><lb/><l>Und ganz verſunken, unbewußt,</l><lb/><l>So Zweig an Zweig vom Strauche drehen;</l><lb/><l>„In Gottes Namen!“ rief ſie, „Mann,</l><lb/><l>„Du ruinirſt den ganzen Hagen!“</l><lb/><l>Der Gatte ſah ſie grimmig an,</l><lb/><l>Fürwahr, faſt hätt' er ſie geſchlagen.</l><lb/></lg><lgn="6"><l>Doch wer da Unglück ſucht und Reu,</l><lb/><l>Dem werden ſie entgegen eilen,</l><lb/><l>Der Handel iſt ein zart Gebäu,</l><lb/><l>Und ruht gar ſehr auf fremden Säulen.</l><lb/><l>Ein Freund fallirt, ein Schuldner flieht,</l><lb/><l>Ein Gläub'ger will ſich nicht gedulden,</l><lb/><l>Und eh ein halbes Jahr verzieht</l><lb/><l>Weiß unſer Krämer ſich in Schulden.</l><lb/></lg><lgn="7"><l>Die Gattin hat ihn oft geſehn</l><lb/><l>Gedankenvoll im Sande waten,</l><lb/><l>Am Contobuche ſeufzend ſtehn,</l><lb/><l>Und hat ihn endlich auch errathen;</l><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">v</hi>. <hirendition="#g">Droſte-Hülshof</hi>, Gedichte 15<lb/></fw></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[225/0239]
Ein Sprichwort ſagt: wem gar nichts fehlt,
Den ärgert an der Wand die Fliege;
So hat dies Wort ihn mehr gequält,
Als Andre Hinterliſt und Lüge.
Und ſprach ſie ſanft: „es paßte ſchlecht!“
Durch Demuth ſeinen Groll zu zähmen,
So ſchwur er, übel oder recht,
Werd' es ihn ärgern und beſchämen.
Ein Blüthenhaag war ſeine Luſt.
Einſt ſah die Frau ihn ſinnend ſtehen,
Und ganz verſunken, unbewußt,
So Zweig an Zweig vom Strauche drehen;
„In Gottes Namen!“ rief ſie, „Mann,
„Du ruinirſt den ganzen Hagen!“
Der Gatte ſah ſie grimmig an,
Fürwahr, faſt hätt' er ſie geſchlagen.
Doch wer da Unglück ſucht und Reu,
Dem werden ſie entgegen eilen,
Der Handel iſt ein zart Gebäu,
Und ruht gar ſehr auf fremden Säulen.
Ein Freund fallirt, ein Schuldner flieht,
Ein Gläub'ger will ſich nicht gedulden,
Und eh ein halbes Jahr verzieht
Weiß unſer Krämer ſich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft geſehn
Gedankenvoll im Sande waten,
Am Contobuche ſeufzend ſtehn,
Und hat ihn endlich auch errathen;
v. Droſte-Hülshof, Gedichte 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/239>, abgerufen am 21.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.