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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Das Unvermeidliche.
Obergerichts aus *** versetzt wurde und der Gefangene
wieder seinen Kerker beziehen mußte. Hier starb er bald
darauf, ohne daß es in seiner Sache zu einem Urtheil
gekommen wäre, und Arthur war eine Waise. Auch
seinen Freund Eduard fand er nicht mehr. Der blü¬
hende Jüngling war das Opfer eines hitzigen Nervenfie¬
bers geworden, als er eben sein Staatsexamen in glän¬
zender Auszeichnung bestanden hatte. Arthur fühlte sich
einsam und unsäglich verlassen, und heimathlos in dem
lebendigen veränderten Treiben dieser Todtenstadt seines
Glücks; -- aber in seinem Innern lebte noch Ein Ge¬
danke mit ungebrochner Kraft, Ein Gedanke, der in der
Zeit seiner langen Trübsal eher gestärkt worden war.

An einem der ersten Tage nach seiner Heimath be¬
suchte er das Grab seiner Mutter. Die Dämmerung
war hereingebrochen, als er auf den Kirchhof kam, und
er hatte einige Zeit zu thun, bis er unter den vielen
alten und neuen Gräbern das gesuchte fand. Lange,
lange saß er hier auf dem Hügel, die Stunden verflogen
ihm in seinen Träumen und Erinnerungen, ohne daß er
es bemerkte. Endlich erhob er sich und pflückte eine
wilde Blume; dann wollte er sich entfernen. Es war
aber noch Jemand zugegen, augenscheinlich in ähnlichen

Das Unvermeidliche.
Obergerichts aus *** verſetzt wurde und der Gefangene
wieder ſeinen Kerker beziehen mußte. Hier ſtarb er bald
darauf, ohne daß es in ſeiner Sache zu einem Urtheil
gekommen waͤre, und Arthur war eine Waiſe. Auch
ſeinen Freund Eduard fand er nicht mehr. Der bluͤ¬
hende Juͤngling war das Opfer eines hitzigen Nervenfie¬
bers geworden, als er eben ſein Staatsexamen in glaͤn¬
zender Auszeichnung beſtanden hatte. Arthur fuͤhlte ſich
einſam und unſaͤglich verlaſſen, und heimathlos in dem
lebendigen veraͤnderten Treiben dieſer Todtenſtadt ſeines
Gluͤcks; — aber in ſeinem Innern lebte noch Ein Ge¬
danke mit ungebrochner Kraft, Ein Gedanke, der in der
Zeit ſeiner langen Truͤbſal eher geſtaͤrkt worden war.

An einem der erſten Tage nach ſeiner Heimath be¬
ſuchte er das Grab ſeiner Mutter. Die Daͤmmerung
war hereingebrochen, als er auf den Kirchhof kam, und
er hatte einige Zeit zu thun, bis er unter den vielen
alten und neuen Graͤbern das geſuchte fand. Lange,
lange ſaß er hier auf dem Huͤgel, die Stunden verflogen
ihm in ſeinen Traͤumen und Erinnerungen, ohne daß er
es bemerkte. Endlich erhob er ſich und pfluͤckte eine
wilde Blume; dann wollte er ſich entfernen. Es war
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[178/0192] Das Unvermeidliche. Obergerichts aus *** verſetzt wurde und der Gefangene wieder ſeinen Kerker beziehen mußte. Hier ſtarb er bald darauf, ohne daß es in ſeiner Sache zu einem Urtheil gekommen waͤre, und Arthur war eine Waiſe. Auch ſeinen Freund Eduard fand er nicht mehr. Der bluͤ¬ hende Juͤngling war das Opfer eines hitzigen Nervenfie¬ bers geworden, als er eben ſein Staatsexamen in glaͤn¬ zender Auszeichnung beſtanden hatte. Arthur fuͤhlte ſich einſam und unſaͤglich verlaſſen, und heimathlos in dem lebendigen veraͤnderten Treiben dieſer Todtenſtadt ſeines Gluͤcks; — aber in ſeinem Innern lebte noch Ein Ge¬ danke mit ungebrochner Kraft, Ein Gedanke, der in der Zeit ſeiner langen Truͤbſal eher geſtaͤrkt worden war. An einem der erſten Tage nach ſeiner Heimath be¬ ſuchte er das Grab ſeiner Mutter. Die Daͤmmerung war hereingebrochen, als er auf den Kirchhof kam, und er hatte einige Zeit zu thun, bis er unter den vielen alten und neuen Graͤbern das geſuchte fand. Lange, lange ſaß er hier auf dem Huͤgel, die Stunden verflogen ihm in ſeinen Traͤumen und Erinnerungen, ohne daß er es bemerkte. Endlich erhob er ſich und pfluͤckte eine wilde Blume; dann wollte er ſich entfernen. Es war aber noch Jemand zugegen, augenſcheinlich in aͤhnlichen

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/192>, abgerufen am 23.11.2024.