"Wozu muß er denn am Thor drei Thaler vorzei¬ gen," fragte ich den Schuster, "das ist eine Bestim¬ mung, die ich noch nicht kenne." --
"Das ist so eine Vorschrift in unserm Lande," ant¬ wortete mir Schwind. "Jeder wandernde Handwerks¬ bursch muß am Thor drei Thaler vorzeigen, oder er wird gar nicht in die Stadt gelassen und muß wieder um¬ kehren." --
"Wahrscheinlich um zu verhüten, daß ein Geselle, der keine Arbeit findet, der Gemeinde zur Last fällt." --
"Ich glaube wohl," sagte der Schuster. "Aber es ist doch eine schlechte Einrichtung. Wenn ein armer Handwerksbursch, der keine drei Thaler besitzt, an eine Stadt kommt, wo er sicherlich ein Verdienst finden kann, so wird er zurückgewiesen. Heißt das nicht den Armen auf Kosten der Reichen das Brod verkürzen? Und wenn sie ihm so sein Unterkommen verwehren, wie sorgen sie wohl weiter für ihn? Er muß denselben Weg, auf dem er gekommen ist, zurück machen, ohne Geld, ohne Ver¬ dienst, und das Betteln ist ihm auch verboten. Nir¬ gends nehmm sie ihn auf. Auf diese Art kann er zehn¬ mal verhungem, ehe er es einmal zu etwas bringt, oder
Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.
„Wozu muß er denn am Thor drei Thaler vorzei¬ gen,“ fragte ich den Schuſter, „das iſt eine Beſtim¬ mung, die ich noch nicht kenne.“ —
„Das iſt ſo eine Vorſchrift in unſerm Lande,“ ant¬ wortete mir Schwind. „Jeder wandernde Handwerks¬ burſch muß am Thor drei Thaler vorzeigen, oder er wird gar nicht in die Stadt gelaſſen und muß wieder um¬ kehren.“ —
„Wahrſcheinlich um zu verhuͤten, daß ein Geſelle, der keine Arbeit findet, der Gemeinde zur Laſt faͤllt.“ —
„Ich glaube wohl,“ ſagte der Schuſter. „Aber es iſt doch eine ſchlechte Einrichtung. Wenn ein armer Handwerksburſch, der keine drei Thaler beſitzt, an eine Stadt kommt, wo er ſicherlich ein Verdienſt finden kann, ſo wird er zuruͤckgewieſen. Heißt das nicht den Armen auf Koſten der Reichen das Brod verkuͤrzen? Und wenn ſie ihm ſo ſein Unterkommen verwehren, wie ſorgen ſie wohl weiter fuͤr ihn? Er muß denſelben Weg, auf dem er gekommen iſt, zuruͤck machen, ohne Geld, ohne Ver¬ dienſt, und das Betteln iſt ihm auch verboten. Nir¬ gends nehmm ſie ihn auf. Auf dieſe Art kann er zehn¬ mal verhungem, ehe er es einmal zu etwas bringt, oder
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Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.
„Wozu muß er denn am Thor drei Thaler vorzei¬
gen,“ fragte ich den Schuſter, „das iſt eine Beſtim¬
mung, die ich noch nicht kenne.“ —
„Das iſt ſo eine Vorſchrift in unſerm Lande,“ ant¬
wortete mir Schwind. „Jeder wandernde Handwerks¬
burſch muß am Thor drei Thaler vorzeigen, oder er wird
gar nicht in die Stadt gelaſſen und muß wieder um¬
kehren.“ —
„Wahrſcheinlich um zu verhuͤten, daß ein Geſelle,
der keine Arbeit findet, der Gemeinde zur Laſt faͤllt.“ —
„Ich glaube wohl,“ ſagte der Schuſter. „Aber es
iſt doch eine ſchlechte Einrichtung. Wenn ein armer
Handwerksburſch, der keine drei Thaler beſitzt, an eine
Stadt kommt, wo er ſicherlich ein Verdienſt finden kann,
ſo wird er zuruͤckgewieſen. Heißt das nicht den Armen
auf Koſten der Reichen das Brod verkuͤrzen? Und wenn
ſie ihm ſo ſein Unterkommen verwehren, wie ſorgen ſie
wohl weiter fuͤr ihn? Er muß denſelben Weg, auf dem
er gekommen iſt, zuruͤck machen, ohne Geld, ohne Ver¬
dienſt, und das Betteln iſt ihm auch verboten. Nir¬
gends nehmm ſie ihn auf. Auf dieſe Art kann er zehn¬
mal verhungem, ehe er es einmal zu etwas bringt, oder
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/142>, abgerufen am 30.07.2024.
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