Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht für den Unterthan und Soldaten, sondern für
die, denen die Regierung des Staats anvertrauet
worden. Fast bey jedem Kriege sucht jede Parthey
die Welt zu überreden, daß sie der angegriffene Theil
sey. Es läßt sich auch der Fall denken, daß beyde
Recht haben; aber gewöhnlich ist die Frage zu ver-
wickelt, als daß sie von dem großen Haufen der Un-
terthanen entschieden werden könnte. Die Geschich-
te enthält Beyspiele, daß ein Krieg, dem ersten An-
blick nach das Ansehn eines offensiven haben und
doch ein sehr abgedrungener und im strengsten Sinn
defensiv seyn könne. Man hat also Recht, auch von
den Inden ganz unbeschränkte Kriegsdienste zu fo-
dern. Itzt können sie dieselben freylich nicht leisten,
weil die Unterdrückung, in der sie so lange gelebt,
den kriegerischen Geist und persönlichen Muth bey
ihnen erstickt und ihre religiösen Spekulationen auf
so ungesellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten
seit anderthalb Jahrtausenden kein Vaterland, wie
konnten sie also für dasselbe fechten und sterben? Aber
ich bin überzeugt, daß sie dieses mit gleicher Fähig-
keit und Treue, wie alle andere, thun werden, sobald
man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey-
spiele, die ich aus der ältern Geschichte angeführt,
sind deutlich und ich sehe nicht warum die Juden

nicht

nicht fuͤr den Unterthan und Soldaten, ſondern fuͤr
die, denen die Regierung des Staats anvertrauet
worden. Faſt bey jedem Kriege ſucht jede Parthey
die Welt zu uͤberreden, daß ſie der angegriffene Theil
ſey. Es laͤßt ſich auch der Fall denken, daß beyde
Recht haben; aber gewoͤhnlich iſt die Frage zu ver-
wickelt, als daß ſie von dem großen Haufen der Un-
terthanen entſchieden werden koͤnnte. Die Geſchich-
te enthaͤlt Beyſpiele, daß ein Krieg, dem erſten An-
blick nach das Anſehn eines offenſiven haben und
doch ein ſehr abgedrungener und im ſtrengſten Sinn
defenſiv ſeyn koͤnne. Man hat alſo Recht, auch von
den Inden ganz unbeſchraͤnkte Kriegsdienſte zu fo-
dern. Itzt koͤnnen ſie dieſelben freylich nicht leiſten,
weil die Unterdruͤckung, in der ſie ſo lange gelebt,
den kriegeriſchen Geiſt und perſoͤnlichen Muth bey
ihnen erſtickt und ihre religioͤſen Spekulationen auf
ſo ungeſellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten
ſeit anderthalb Jahrtauſenden kein Vaterland, wie
konnten ſie alſo fuͤr daſſelbe fechten und ſterben? Aber
ich bin uͤberzeugt, daß ſie dieſes mit gleicher Faͤhig-
keit und Treue, wie alle andere, thun werden, ſobald
man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey-
ſpiele, die ich aus der aͤltern Geſchichte angefuͤhrt,
ſind deutlich und ich ſehe nicht warum die Juden

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="237"/>
nicht fu&#x0364;r den Unterthan und Soldaten, &#x017F;ondern fu&#x0364;r<lb/>
die, denen die Regierung des Staats anvertrauet<lb/>
worden. Fa&#x017F;t bey jedem Kriege &#x017F;ucht jede Parthey<lb/>
die Welt zu u&#x0364;berreden, daß &#x017F;ie der angegriffene Theil<lb/>
&#x017F;ey. Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich auch der Fall denken, daß beyde<lb/>
Recht haben; aber gewo&#x0364;hnlich i&#x017F;t die Frage zu ver-<lb/>
wickelt, als daß &#x017F;ie von dem großen Haufen der Un-<lb/>
terthanen ent&#x017F;chieden werden ko&#x0364;nnte. Die Ge&#x017F;chich-<lb/>
te entha&#x0364;lt Bey&#x017F;piele, daß ein Krieg, dem er&#x017F;ten An-<lb/>
blick nach das An&#x017F;ehn eines <hi rendition="#fr">offen&#x017F;iven</hi> haben und<lb/>
doch ein &#x017F;ehr abgedrungener und im &#x017F;treng&#x017F;ten Sinn<lb/><hi rendition="#fr">defen&#x017F;iv</hi> &#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Man hat al&#x017F;o Recht, auch von<lb/>
den Inden ganz unbe&#x017F;chra&#x0364;nkte Kriegsdien&#x017F;te zu fo-<lb/>
dern. Itzt ko&#x0364;nnen &#x017F;ie die&#x017F;elben freylich nicht lei&#x017F;ten,<lb/>
weil die Unterdru&#x0364;ckung, in der &#x017F;ie &#x017F;o lange gelebt,<lb/>
den kriegeri&#x017F;chen Gei&#x017F;t und per&#x017F;o&#x0364;nlichen Muth bey<lb/>
ihnen er&#x017F;tickt und ihre religio&#x0364;&#x017F;en Spekulationen auf<lb/>
&#x017F;o unge&#x017F;ellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten<lb/>
&#x017F;eit anderthalb Jahrtau&#x017F;enden kein Vaterland, wie<lb/>
konnten &#x017F;ie al&#x017F;o fu&#x0364;r da&#x017F;&#x017F;elbe fechten und &#x017F;terben? Aber<lb/>
ich bin u&#x0364;berzeugt, daß &#x017F;ie die&#x017F;es mit gleicher Fa&#x0364;hig-<lb/>
keit und Treue, wie alle andere, thun werden, &#x017F;obald<lb/>
man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey-<lb/>
&#x017F;piele, die ich aus der a&#x0364;ltern Ge&#x017F;chichte angefu&#x0364;hrt,<lb/>
&#x017F;ind deutlich und ich &#x017F;ehe nicht warum die Juden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0245] nicht fuͤr den Unterthan und Soldaten, ſondern fuͤr die, denen die Regierung des Staats anvertrauet worden. Faſt bey jedem Kriege ſucht jede Parthey die Welt zu uͤberreden, daß ſie der angegriffene Theil ſey. Es laͤßt ſich auch der Fall denken, daß beyde Recht haben; aber gewoͤhnlich iſt die Frage zu ver- wickelt, als daß ſie von dem großen Haufen der Un- terthanen entſchieden werden koͤnnte. Die Geſchich- te enthaͤlt Beyſpiele, daß ein Krieg, dem erſten An- blick nach das Anſehn eines offenſiven haben und doch ein ſehr abgedrungener und im ſtrengſten Sinn defenſiv ſeyn koͤnne. Man hat alſo Recht, auch von den Inden ganz unbeſchraͤnkte Kriegsdienſte zu fo- dern. Itzt koͤnnen ſie dieſelben freylich nicht leiſten, weil die Unterdruͤckung, in der ſie ſo lange gelebt, den kriegeriſchen Geiſt und perſoͤnlichen Muth bey ihnen erſtickt und ihre religioͤſen Spekulationen auf ſo ungeſellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten ſeit anderthalb Jahrtauſenden kein Vaterland, wie konnten ſie alſo fuͤr daſſelbe fechten und ſterben? Aber ich bin uͤberzeugt, daß ſie dieſes mit gleicher Faͤhig- keit und Treue, wie alle andere, thun werden, ſobald man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey- ſpiele, die ich aus der aͤltern Geſchichte angefuͤhrt, ſind deutlich und ich ſehe nicht warum die Juden nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/245
Zitationshilfe: Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/245>, abgerufen am 21.11.2024.