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Dohm, Hedwig: Der Jesuitismus im Hausstande. Berlin, 1873.

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gleich kommt, wenn sie diese von einem Jahr zum an-
dern Hunderttausende erwerben sieht. Sie schwelgen in
Lebensfreuden, und sie, die kluge, die energische, sie sitzt
über ihre Handarbeit gebeugt bis in die Nacht hinein
freudlos, einsam. Vorzeitig fühlt sie ihre physischen und
geistigen Kräfte hinsterben. Und keinen Trost hat sie
als den einen, jammervollen, herzzerreißenden: "Du er-
füllst das Geschick Deines Geschlechts."

Als ich kürzlich im Gespräch mit einem liberalen
Staatsmann flüchtig die Frage der Anstellungsfähigkeit
und des Stimmrechts der Frauen berührte, wies er ein
solches Ansinnen entschieden zurück.

Er antwortete mir ungefähr Folgendes:

Der Staat sei nicht da, um zu experimentiren.
Nicht für die Keime, für das Werdende habe er Sorge
zu tragen. Es sei Sache der menschlichen Gesellschaft,
diese Keime in ihrem Schooße zu erzeugen und zu ent-
wickeln. Erst das Entwickelte, das Reife habe der Staat
in sich aufzunehmen.

Ein seltsames Princip, nach welchem der Staat
wie eine alte Großmutter erscheint, die still auf ihrem Stuhle
sitzt, den Kämpfenden zusieht und der siegenden Partei
ein Lorbeerblatt nach dem andern aus der Hand nimmt,
um schließlich mit dem vollen Kranz ihr Haupt zu
schmücken.

gleich kommt, wenn sie diese von einem Jahr zum an-
dern Hunderttausende erwerben sieht. Sie schwelgen in
Lebensfreuden, und sie, die kluge, die energische, sie sitzt
über ihre Handarbeit gebeugt bis in die Nacht hinein
freudlos, einsam. Vorzeitig fühlt sie ihre physischen und
geistigen Kräfte hinsterben. Und keinen Trost hat sie
als den einen, jammervollen, herzzerreißenden: „Du er-
füllst das Geschick Deines Geschlechts.‟

Als ich kürzlich im Gespräch mit einem liberalen
Staatsmann flüchtig die Frage der Anstellungsfähigkeit
und des Stimmrechts der Frauen berührte, wies er ein
solches Ansinnen entschieden zurück.

Er antwortete mir ungefähr Folgendes:

Der Staat sei nicht da, um zu experimentiren.
Nicht für die Keime, für das Werdende habe er Sorge
zu tragen. Es sei Sache der menschlichen Gesellschaft,
diese Keime in ihrem Schooße zu erzeugen und zu ent-
wickeln. Erst das Entwickelte, das Reife habe der Staat
in sich aufzunehmen.

Ein seltsames Princip, nach welchem der Staat
wie eine alte Großmutter erscheint, die still auf ihrem Stuhle
sitzt, den Kämpfenden zusieht und der siegenden Partei
ein Lorbeerblatt nach dem andern aus der Hand nimmt,
um schließlich mit dem vollen Kranz ihr Haupt zu
schmücken.

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[164/0172] gleich kommt, wenn sie diese von einem Jahr zum an- dern Hunderttausende erwerben sieht. Sie schwelgen in Lebensfreuden, und sie, die kluge, die energische, sie sitzt über ihre Handarbeit gebeugt bis in die Nacht hinein freudlos, einsam. Vorzeitig fühlt sie ihre physischen und geistigen Kräfte hinsterben. Und keinen Trost hat sie als den einen, jammervollen, herzzerreißenden: „Du er- füllst das Geschick Deines Geschlechts.‟ Als ich kürzlich im Gespräch mit einem liberalen Staatsmann flüchtig die Frage der Anstellungsfähigkeit und des Stimmrechts der Frauen berührte, wies er ein solches Ansinnen entschieden zurück. Er antwortete mir ungefähr Folgendes: Der Staat sei nicht da, um zu experimentiren. Nicht für die Keime, für das Werdende habe er Sorge zu tragen. Es sei Sache der menschlichen Gesellschaft, diese Keime in ihrem Schooße zu erzeugen und zu ent- wickeln. Erst das Entwickelte, das Reife habe der Staat in sich aufzunehmen. Ein seltsames Princip, nach welchem der Staat wie eine alte Großmutter erscheint, die still auf ihrem Stuhle sitzt, den Kämpfenden zusieht und der siegenden Partei ein Lorbeerblatt nach dem andern aus der Hand nimmt, um schließlich mit dem vollen Kranz ihr Haupt zu schmücken.

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Der Jesuitismus im Hausstande. Berlin, 1873, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_jesuitismus_1873/172>, abgerufen am 25.11.2024.