Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_394.001 Auch die Gesetze, nach denen nun in so verschiedenen Zuständen pdi_394.008 Diese Vorgänge sind von denen des Gedächtnisses nicht so pdi_394.014 Bilder verändern sich, indem Bestandtheile ausfallen pdi_394.024 Im Traum und in der geistigen Störung fallen Eigenschaften pdi_394.026 pdi_394.001 Auch die Gesetze, nach denen nun in so verschiedenen Zuständen pdi_394.008 Diese Vorgänge sind von denen des Gedächtnisses nicht so pdi_394.014 Bilder verändern sich, indem Bestandtheile ausfallen pdi_394.024 Im Traum und in der geistigen Störung fallen Eigenschaften pdi_394.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="394"/><lb n="pdi_394.001"/> Handlungen keine Causalität für den Zweckzusammenhang <lb n="pdi_394.002"/> dieses Lebens haben. So trennt sich das Spiel von dem Ernst <lb n="pdi_394.003"/> des wirklichen Lebens, und darin stimmt es mit der Kunst, mit der <lb n="pdi_394.004"/> Dichtung überein. Die Illusion, die so entsteht, ist in den willkürlichen <lb n="pdi_394.005"/> Seelenvorgängen gegründet und hat daher an dem <lb n="pdi_394.006"/> Bewusstsein dieses Ursprungs ihre Grenze.</p> <lb n="pdi_394.007"/> <p> Auch die Gesetze, nach denen nun in so verschiedenen Zuständen <lb n="pdi_394.008"/> Bilder und deren Verbindungen sich frei über die Grenzen <lb n="pdi_394.009"/> des Wirklichen hinaus entfalten, werden leichter aufgefasst, wenn <lb n="pdi_394.010"/> wir die Vergleichung dieser Zustände zu Grunde legen. Die <lb n="pdi_394.011"/> Natur selber lässt uns hier, unter sonst ganz wechselnden Umständen, <lb n="pdi_394.012"/> überall freie Entfaltung der Bilder gewahren.</p> <lb n="pdi_394.013"/> <p> Diese Vorgänge sind von denen des Gedächtnisses nicht so <lb n="pdi_394.014"/> getrennt, als in der Regel angenommen wird. Jedes Erinnerungsbild <lb n="pdi_394.015"/> wird aus erworbenen Bestandtheilen aufgebaut, aber <lb n="pdi_394.016"/> die augenblickliche Bewusstseinslage entscheidet darüber, welche <lb n="pdi_394.017"/> dieser Bestandtheile zum Aufbau des Bildes benutzt werden. <lb n="pdi_394.018"/> Denn dasselbe Bild kehrt so wenig wieder als an einem Baum <lb n="pdi_394.019"/> im neuen Frühling dieselben Blätter. Vergegenwärtige ich mir <lb n="pdi_394.020"/> eine abwesende Person, so entscheidet die Bewusstseinslage, in <lb n="pdi_394.021"/> der dies geschieht, über die Stellung der Gestalt, den Ausdruck <lb n="pdi_394.022"/> des Antlitzes.</p> <lb n="pdi_394.023"/> <p> <hi rendition="#et"> Bilder verändern sich, indem Bestandtheile ausfallen <lb n="pdi_394.024"/> oder ausgeschaltet werden.</hi> </p> <lb n="pdi_394.025"/> <p> Im Traum und in der geistigen Störung fallen Eigenschaften <lb n="pdi_394.026"/> der Bilder aus, welche in der Wirklichkeit von denselben unzertrennlich <lb n="pdi_394.027"/> sind, weil sie in dem erworbenen Zusammenhang des <lb n="pdi_394.028"/> Seelenlebens, der doch den der Wirklichkeit repräsentirt, gegeben <lb n="pdi_394.029"/> und durch ihn gleichsam befestigt sind. So bindet sich <lb n="pdi_394.030"/> der Traum nicht an die Bedingungen der Zeit und des Raums <lb n="pdi_394.031"/> oder an das Gesetz der Schwere. Der Tobsüchtige verbindet, in <lb n="pdi_394.032"/> scheinbarer Steigerung des Combinationsvermögens, Bildbestandtheile, <lb n="pdi_394.033"/> ohne dass ihm dabei die Widersprüche zwischen ihren <lb n="pdi_394.034"/> Eigenschaften bewusst werden. Dagegen das Schaffen des Künstlers, <lb n="pdi_394.035"/> des Dichters wirkt durch absichtliche Ausschaltung widerspenstiger <lb n="pdi_394.036"/> Züge, es erstrebt eine Klarheit und Uebereinstimmung </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [394/0096]
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Handlungen keine Causalität für den Zweckzusammenhang pdi_394.002
dieses Lebens haben. So trennt sich das Spiel von dem Ernst pdi_394.003
des wirklichen Lebens, und darin stimmt es mit der Kunst, mit der pdi_394.004
Dichtung überein. Die Illusion, die so entsteht, ist in den willkürlichen pdi_394.005
Seelenvorgängen gegründet und hat daher an dem pdi_394.006
Bewusstsein dieses Ursprungs ihre Grenze.
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Auch die Gesetze, nach denen nun in so verschiedenen Zuständen pdi_394.008
Bilder und deren Verbindungen sich frei über die Grenzen pdi_394.009
des Wirklichen hinaus entfalten, werden leichter aufgefasst, wenn pdi_394.010
wir die Vergleichung dieser Zustände zu Grunde legen. Die pdi_394.011
Natur selber lässt uns hier, unter sonst ganz wechselnden Umständen, pdi_394.012
überall freie Entfaltung der Bilder gewahren.
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Diese Vorgänge sind von denen des Gedächtnisses nicht so pdi_394.014
getrennt, als in der Regel angenommen wird. Jedes Erinnerungsbild pdi_394.015
wird aus erworbenen Bestandtheilen aufgebaut, aber pdi_394.016
die augenblickliche Bewusstseinslage entscheidet darüber, welche pdi_394.017
dieser Bestandtheile zum Aufbau des Bildes benutzt werden. pdi_394.018
Denn dasselbe Bild kehrt so wenig wieder als an einem Baum pdi_394.019
im neuen Frühling dieselben Blätter. Vergegenwärtige ich mir pdi_394.020
eine abwesende Person, so entscheidet die Bewusstseinslage, in pdi_394.021
der dies geschieht, über die Stellung der Gestalt, den Ausdruck pdi_394.022
des Antlitzes.
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Bilder verändern sich, indem Bestandtheile ausfallen pdi_394.024
oder ausgeschaltet werden.
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Im Traum und in der geistigen Störung fallen Eigenschaften pdi_394.026
der Bilder aus, welche in der Wirklichkeit von denselben unzertrennlich pdi_394.027
sind, weil sie in dem erworbenen Zusammenhang des pdi_394.028
Seelenlebens, der doch den der Wirklichkeit repräsentirt, gegeben pdi_394.029
und durch ihn gleichsam befestigt sind. So bindet sich pdi_394.030
der Traum nicht an die Bedingungen der Zeit und des Raums pdi_394.031
oder an das Gesetz der Schwere. Der Tobsüchtige verbindet, in pdi_394.032
scheinbarer Steigerung des Combinationsvermögens, Bildbestandtheile, pdi_394.033
ohne dass ihm dabei die Widersprüche zwischen ihren pdi_394.034
Eigenschaften bewusst werden. Dagegen das Schaffen des Künstlers, pdi_394.035
des Dichters wirkt durch absichtliche Ausschaltung widerspenstiger pdi_394.036
Züge, es erstrebt eine Klarheit und Uebereinstimmung
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