Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_361.001 Zwischen diesen beiden Sphären erstreckt sich das weite pdi_361.021 pdi_361.001 Zwischen diesen beiden Sphären erstreckt sich das weite pdi_361.021 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0063" n="361"/><lb n="pdi_361.001"/> in den Vorstellungen ihren Ausdruck gewinnen. Zunächst ist <lb n="pdi_361.002"/> ja in jedem Willensact eine Beziehung eines vorschwebenden <lb n="pdi_361.003"/> Effectbildes zu dem Willen, welche durch die Gefühle bedingt <lb n="pdi_361.004"/> ist, und dieses Effectbild ist naturgemäss vom Willen aus in <lb n="pdi_361.005"/> einer die Wirklichkeit überschreitenden Weise geformt. Alsdann <lb n="pdi_361.006"/> stehen diese Zwecke zu einander in Verhältnissen, welche in <lb n="pdi_361.007"/> dem Gefüge des Willens von seinen elementaren Antrieben ab <lb n="pdi_361.008"/> ihren Grund haben. In den Verhältnissen dieser Zwecke zu <lb n="pdi_361.009"/> dem Mannigfachen der Mittel, sowie andrerseits den Beziehungen <lb n="pdi_361.010"/> der Willen zu einander in Herrschaft und Abhängigkeit schliesst <lb n="pdi_361.011"/> der Inbegriff dieser practischen Vorstellungsinhalte und ihrer <lb n="pdi_361.012"/> Beziehungen ab. Durch Abstraction entstehen practische Kategorien <lb n="pdi_361.013"/> wie Gut, Zweck, Mittel, Abhängigkeit, und sie werden <lb n="pdi_361.014"/> auch über unsere menschliche Willenssphäre hinaus angewandt. <lb n="pdi_361.015"/> Innerhalb der inneren Willenshandlungen entsteht das Ideal. <lb n="pdi_361.016"/> So entspringen in den Bildungsprocessen dieser Classe ebenfalls <lb n="pdi_361.017"/> Vorstellungen, welche die Wirklichkeit überschreiten. Wenn man <lb n="pdi_361.018"/> sie unter den Begriff der Einbildungskraft ordnete, müsste man <lb n="pdi_361.019"/> von einer practischen Phantasie reden.</p> <lb n="pdi_361.020"/> <p> Zwischen diesen beiden Sphären erstreckt sich das weite <lb n="pdi_361.021"/> Gebiet derjenigen Bildungsprocesse, in denen Vorstellungsinhalte <lb n="pdi_361.022"/> und deren Verbindungen <hi rendition="#g">von den Gefühlen aus</hi> bestimmt <lb n="pdi_361.023"/> und geformt werden, ohne dass aus der Gefühlslage ein Antrieb zur <lb n="pdi_361.024"/> Anpassung der äusseren Wirklichkeit an den Willen oder des <lb n="pdi_361.025"/> Willens an diese hervorginge. Dies kann nur in zwei Fällen <lb n="pdi_361.026"/> eintreten. Vorübergehend wird eine Gleichgewichtslage des <lb n="pdi_361.027"/> Gefühls erreicht, in welcher gleichsam ein Feiertag des Lebens <lb n="pdi_361.028"/> eintritt. Festliche Freude, Geselligkeit, Spiel und Kunst erweitern, <lb n="pdi_361.029"/> steigern und formen solche Gefühlslage. In diesem Fall <lb n="pdi_361.030"/> strebt die Stimmung, alle Vorstellungen sich zu unterwerfen, <lb n="pdi_361.031"/> soweit die Gemüthslage ein Verhältniss zur Wirklichkeit mit einschliesst. <lb n="pdi_361.032"/> Oder eine Gefühlslage enthält zwar eine Spannung in <lb n="pdi_361.033"/> sich, diese kann aber durch keine äussere oder innere Willenshandlung <lb n="pdi_361.034"/> aufgehoben werden. Erschütternde unaufhebbare Thatsachen <lb n="pdi_361.035"/> theilen ihre dunkle Farbe allen Dingen mit und in schwermüthigem <lb n="pdi_361.036"/> Grübeln entstehen Bilder, die ihnen gemäss sind.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [361/0063]
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in den Vorstellungen ihren Ausdruck gewinnen. Zunächst ist pdi_361.002
ja in jedem Willensact eine Beziehung eines vorschwebenden pdi_361.003
Effectbildes zu dem Willen, welche durch die Gefühle bedingt pdi_361.004
ist, und dieses Effectbild ist naturgemäss vom Willen aus in pdi_361.005
einer die Wirklichkeit überschreitenden Weise geformt. Alsdann pdi_361.006
stehen diese Zwecke zu einander in Verhältnissen, welche in pdi_361.007
dem Gefüge des Willens von seinen elementaren Antrieben ab pdi_361.008
ihren Grund haben. In den Verhältnissen dieser Zwecke zu pdi_361.009
dem Mannigfachen der Mittel, sowie andrerseits den Beziehungen pdi_361.010
der Willen zu einander in Herrschaft und Abhängigkeit schliesst pdi_361.011
der Inbegriff dieser practischen Vorstellungsinhalte und ihrer pdi_361.012
Beziehungen ab. Durch Abstraction entstehen practische Kategorien pdi_361.013
wie Gut, Zweck, Mittel, Abhängigkeit, und sie werden pdi_361.014
auch über unsere menschliche Willenssphäre hinaus angewandt. pdi_361.015
Innerhalb der inneren Willenshandlungen entsteht das Ideal. pdi_361.016
So entspringen in den Bildungsprocessen dieser Classe ebenfalls pdi_361.017
Vorstellungen, welche die Wirklichkeit überschreiten. Wenn man pdi_361.018
sie unter den Begriff der Einbildungskraft ordnete, müsste man pdi_361.019
von einer practischen Phantasie reden.
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Zwischen diesen beiden Sphären erstreckt sich das weite pdi_361.021
Gebiet derjenigen Bildungsprocesse, in denen Vorstellungsinhalte pdi_361.022
und deren Verbindungen von den Gefühlen aus bestimmt pdi_361.023
und geformt werden, ohne dass aus der Gefühlslage ein Antrieb zur pdi_361.024
Anpassung der äusseren Wirklichkeit an den Willen oder des pdi_361.025
Willens an diese hervorginge. Dies kann nur in zwei Fällen pdi_361.026
eintreten. Vorübergehend wird eine Gleichgewichtslage des pdi_361.027
Gefühls erreicht, in welcher gleichsam ein Feiertag des Lebens pdi_361.028
eintritt. Festliche Freude, Geselligkeit, Spiel und Kunst erweitern, pdi_361.029
steigern und formen solche Gefühlslage. In diesem Fall pdi_361.030
strebt die Stimmung, alle Vorstellungen sich zu unterwerfen, pdi_361.031
soweit die Gemüthslage ein Verhältniss zur Wirklichkeit mit einschliesst. pdi_361.032
Oder eine Gefühlslage enthält zwar eine Spannung in pdi_361.033
sich, diese kann aber durch keine äussere oder innere Willenshandlung pdi_361.034
aufgehoben werden. Erschütternde unaufhebbare Thatsachen pdi_361.035
theilen ihre dunkle Farbe allen Dingen mit und in schwermüthigem pdi_361.036
Grübeln entstehen Bilder, die ihnen gemäss sind.
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