Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_339.001 pdi_339.003 2. Die elementare Function des Dichters. pdi_339.004 Wie erwächst auf diesem mütterlichen Boden das dichterische pdi_339.005 Das Wesen und die Function der Kunst können nicht mit pdi_339.013 pdi_339.001 pdi_339.003 2. Die elementare Function des Dichters. pdi_339.004 Wie erwächst auf diesem mütterlichen Boden das dichterische pdi_339.005 Das Wesen und die Function der Kunst können nicht mit pdi_339.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0041" n="339"/><lb n="pdi_339.001"/> Einheitliches, in der Wirkung Concentrirtes umbilden. Die <lb n="pdi_339.002"/> dichterische Technik ist historisch bedingt.</p> </div> <div n="2"> <lb n="pdi_339.003"/> <head> <hi rendition="#c"> 2. <hi rendition="#g">Die elementare Function des Dichters.</hi></hi> </head> <lb n="pdi_339.004"/> <p> Wie erwächst auf diesem mütterlichen Boden das dichterische <lb n="pdi_339.005"/> Schaffen? Soll die Antwort auf diese Frage aus den Thatsachen <lb n="pdi_339.006"/> der Literatur abgeleitet werden, so muss zunächst eine Description <lb n="pdi_339.007"/> der eigenthümlichen Leistung des Dichters, gleichsam seiner <lb n="pdi_339.008"/> Function, aus den biographischen und literarischen Thatsachen <lb n="pdi_339.009"/> gegeben werden, dann können wir die einzelnen Vorgänge, aus <lb n="pdi_339.010"/> denen diese Leistung sich zusammensetzt, nach ihren besonderen <lb n="pdi_339.011"/> Merkmalen beobachten und schildern.</p> <lb n="pdi_339.012"/> <p> Das Wesen und die Function der Kunst können nicht mit <lb n="pdi_339.013"/> der idealistischen Aesthetik an dem höchsten Ideal derselben, <lb n="pdi_339.014"/> das wir heute zu fassen im Stande sind, erkannt werden. Die <lb n="pdi_339.015"/> meisten Theorien der geistigen Welt aus der Zeit der deutschen <lb n="pdi_339.016"/> Speculation zeigen diesen Fehler. Was sich unter den günstigsten <lb n="pdi_339.017"/> Bedingungen entwickelt hat, darf nicht als Antrieb in die ganze <lb n="pdi_339.018"/> Reihe von Erscheinungen verlegt werden, in denen dieser Lebenskreis <lb n="pdi_339.019"/> sich entfaltet. Die Kunst ist überall, wo etwas, sei es in <lb n="pdi_339.020"/> Tönen oder einem festeren Material, hingestellt wird, das weder <lb n="pdi_339.021"/> der Erkenntniss des Wirklichen dienen noch selbst in Wirklichkeit <lb n="pdi_339.022"/> übergeführt werden soll, sondern für sich das Interesse des Anschauenden <lb n="pdi_339.023"/> befriedigt. Von den Umrissen von Rennthieren und <lb n="pdi_339.024"/> Walfischen, mit denen der Eskimo seine Waffe bedeckt, von <lb n="pdi_339.025"/> den Götzenbildern der Neger bis zu den Schöpfungen von Goethe <lb n="pdi_339.026"/> und Raphael ist ein umfassendes Reich sich fortbildender, umwandelnder <lb n="pdi_339.027"/> Darstellung, welcher Ein Merkmal jedenfalls gemeinsam <lb n="pdi_339.028"/> ist, dass eben Darstellung als solche und Betrachtung <lb n="pdi_339.029"/> derselben Befriedigung gewährt. Dies Merkmal, Befriedigung <lb n="pdi_339.030"/> in der Anschauung des Dargestellten, ist an jedem Kunstwerk <lb n="pdi_339.031"/> zu bemerken. Wir müssen uns aber hüten, das Wesen der <lb n="pdi_339.032"/> Kunst in diesem einfachen Merkmal erblicken zu wollen: eine <lb n="pdi_339.033"/> Gefahr, der Aristoteles nicht entging. Wir müssen uns auch <lb n="pdi_339.034"/> hüten, was im Kunstwerk mehr sei, in Bausch und Bogen hier <lb n="pdi_339.035"/> kurzweg aussprechen zu wollen.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [339/0041]
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Einheitliches, in der Wirkung Concentrirtes umbilden. Die pdi_339.002
dichterische Technik ist historisch bedingt.
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2. Die elementare Function des Dichters. pdi_339.004
Wie erwächst auf diesem mütterlichen Boden das dichterische pdi_339.005
Schaffen? Soll die Antwort auf diese Frage aus den Thatsachen pdi_339.006
der Literatur abgeleitet werden, so muss zunächst eine Description pdi_339.007
der eigenthümlichen Leistung des Dichters, gleichsam seiner pdi_339.008
Function, aus den biographischen und literarischen Thatsachen pdi_339.009
gegeben werden, dann können wir die einzelnen Vorgänge, aus pdi_339.010
denen diese Leistung sich zusammensetzt, nach ihren besonderen pdi_339.011
Merkmalen beobachten und schildern.
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Das Wesen und die Function der Kunst können nicht mit pdi_339.013
der idealistischen Aesthetik an dem höchsten Ideal derselben, pdi_339.014
das wir heute zu fassen im Stande sind, erkannt werden. Die pdi_339.015
meisten Theorien der geistigen Welt aus der Zeit der deutschen pdi_339.016
Speculation zeigen diesen Fehler. Was sich unter den günstigsten pdi_339.017
Bedingungen entwickelt hat, darf nicht als Antrieb in die ganze pdi_339.018
Reihe von Erscheinungen verlegt werden, in denen dieser Lebenskreis pdi_339.019
sich entfaltet. Die Kunst ist überall, wo etwas, sei es in pdi_339.020
Tönen oder einem festeren Material, hingestellt wird, das weder pdi_339.021
der Erkenntniss des Wirklichen dienen noch selbst in Wirklichkeit pdi_339.022
übergeführt werden soll, sondern für sich das Interesse des Anschauenden pdi_339.023
befriedigt. Von den Umrissen von Rennthieren und pdi_339.024
Walfischen, mit denen der Eskimo seine Waffe bedeckt, von pdi_339.025
den Götzenbildern der Neger bis zu den Schöpfungen von Goethe pdi_339.026
und Raphael ist ein umfassendes Reich sich fortbildender, umwandelnder pdi_339.027
Darstellung, welcher Ein Merkmal jedenfalls gemeinsam pdi_339.028
ist, dass eben Darstellung als solche und Betrachtung pdi_339.029
derselben Befriedigung gewährt. Dies Merkmal, Befriedigung pdi_339.030
in der Anschauung des Dargestellten, ist an jedem Kunstwerk pdi_339.031
zu bemerken. Wir müssen uns aber hüten, das Wesen der pdi_339.032
Kunst in diesem einfachen Merkmal erblicken zu wollen: eine pdi_339.033
Gefahr, der Aristoteles nicht entging. Wir müssen uns auch pdi_339.034
hüten, was im Kunstwerk mehr sei, in Bausch und Bogen hier pdi_339.035
kurzweg aussprechen zu wollen.
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