Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.In Berlin legte ich mich in ein Wirtshaus in der Grünstraß bei die Frau Grünauen, so noch eine Tochter zu Hause hatte, so gar ekel und ihr kein Mann gut gnug,deshalb sie auch wohl dreißig Jahr erreichet hatte. Doch weil ich sie karessierte und ihr alle Ehrenbezeigung that, galte ich gar viel bei ihr und ihrer Mutter. Insonderheit, weil ich sie beide am Fieber kurierete. Deshalb ich in kurzem in großen Beruf kam, und täglich viel Leute Arznei bei mir holeten, auch mich: "Herr Dokter!" hießen. Ja, ich mußte Urin, salvo honore, besehen, und schwatzte den Leuten so viel vor, bis etwas eintraf, vor Geld. Des Morgens, ehe ich aufstund, waren schon drei bis vier Leute auf mich wartend. Und verdienete ich soviel Geld, als ich je gebrauchte. - Ich hatte die Gnade, daß ich zunächst der Kammer und Bette schlief, da die Jungfer und ihre Mutter lag, welche mir noch zur Dankbarkeit wegen der Kur einen schönen goldenen Ring, einen Wachsstock und silbernen, großen Löffel, so ich noch habe, schenketen. Es logierten die Holländer und Hamburger Kaufleute da und speiseten da, mit welchen ich braschen oder schwatzen konnte. Deshalb über Tisch ihnen vorschneiden und sie accommodieren mußte; weil kein Wirt da war, und sie mich dafür hielten. Deshalb ich alles frei hatte. Einsmals speisete ein Frauenzimmer mit der schwarzen Florkapp über Tisch mit, die ich nicht kannte. Die Jungfer und ihre Frau Mutter lachten immer. Ich wußte nicht: was das hieß? Nach Essens aber entdeckte sich die Person, und es war meine alte Liebste aus Spandau. Ich erschrak über sie; wußte nicht, was das bedeute? - Da sagte sie: sie hätte erfahren, daß ich da sei; aus Verlangen, mich wiederzusehen, wäre sie herkommen, weil sie ohndem In Berlin legte ich mich in ein Wirtshaus in der Grünstraß bei die Frau Grünauen, so noch eine Tochter zu Hause hatte, so gar ekel und ihr kein Mann gut gnug,deshalb sie auch wohl dreißig Jahr erreichet hatte. Doch weil ich sie karessierte und ihr alle Ehrenbezeigung that, galte ich gar viel bei ihr und ihrer Mutter. Insonderheit, weil ich sie beide am Fieber kurierete. Deshalb ich in kurzem in großen Beruf kam, und täglich viel Leute Arznei bei mir holeten, auch mich: „Herr Dokter!“ hießen. Ja, ich mußte Urin, salvo honore, besehen, und schwatzte den Leuten so viel vor, bis etwas eintraf, vor Geld. Des Morgens, ehe ich aufstund, waren schon drei bis vier Leute auf mich wartend. Und verdienete ich soviel Geld, als ich je gebrauchte. – Ich hatte die Gnade, daß ich zunächst der Kammer und Bette schlief, da die Jungfer und ihre Mutter lag, welche mir noch zur Dankbarkeit wegen der Kur einen schönen goldenen Ring, einen Wachsstock und silbernen, großen Löffel, so ich noch habe, schenketen. Es logierten die Holländer und Hamburger Kaufleute da und speiseten da, mit welchen ich braschen oder schwatzen konnte. Deshalb über Tisch ihnen vorschneiden und sie accommodieren mußte; weil kein Wirt da war, und sie mich dafür hielten. Deshalb ich alles frei hatte. Einsmals speisete ein Frauenzimmer mit der schwarzen Florkapp über Tisch mit, die ich nicht kannte. Die Jungfer und ihre Frau Mutter lachten immer. Ich wußte nicht: was das hieß? Nach Essens aber entdeckte sich die Person, und es war meine alte Liebste aus Spandau. Ich erschrak über sie; wußte nicht, was das bedeute? – Da sagte sie: sie hätte erfahren, daß ich da sei; aus Verlangen, mich wiederzusehen, wäre sie herkommen, weil sie ohndem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <pb facs="#f0214"/> <p>In Berlin legte ich mich in ein Wirtshaus in der Grünstraß bei die Frau Grünauen, so noch eine Tochter zu Hause hatte, so gar ekel und ihr kein Mann gut gnug,deshalb sie auch wohl dreißig Jahr erreichet hatte. Doch weil ich sie karessierte und ihr alle Ehrenbezeigung that, galte ich gar viel bei ihr und ihrer Mutter. Insonderheit, weil ich sie beide am Fieber kurierete. Deshalb ich in kurzem in großen Beruf kam, und täglich viel Leute Arznei bei mir holeten, auch mich: „Herr Dokter!“ hießen. Ja, ich mußte Urin, <hi rendition="#aq">salvo honore</hi>, besehen, und schwatzte den Leuten so viel vor, bis etwas eintraf, vor Geld. Des Morgens, ehe ich aufstund, waren schon drei bis vier Leute auf mich wartend. Und verdienete ich soviel Geld, als ich je gebrauchte. – Ich hatte die Gnade, daß ich zunächst der Kammer und Bette schlief, da die Jungfer und ihre Mutter lag, welche mir noch zur Dankbarkeit wegen der Kur einen schönen goldenen Ring, einen Wachsstock und silbernen, großen Löffel, so ich noch habe, schenketen.</p> <p>Es logierten die Holländer und Hamburger Kaufleute da und speiseten da, mit welchen ich braschen oder schwatzen konnte. Deshalb über Tisch ihnen vorschneiden und sie accommodieren mußte; weil kein Wirt da war, und sie mich dafür hielten. Deshalb ich alles frei hatte.</p> <p><hi rendition="#in">E</hi>insmals speisete ein Frauenzimmer mit der schwarzen Florkapp über Tisch mit, die ich nicht kannte. Die Jungfer und ihre Frau Mutter lachten immer. Ich wußte nicht: was das hieß?</p> <p>Nach Essens aber entdeckte sich die Person, und es war meine alte Liebste aus Spandau. Ich erschrak über sie; wußte nicht, was das bedeute? – Da sagte sie: sie hätte erfahren, daß ich da sei; aus Verlangen, mich wiederzusehen, wäre sie herkommen, weil sie ohndem </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
In Berlin legte ich mich in ein Wirtshaus in der Grünstraß bei die Frau Grünauen, so noch eine Tochter zu Hause hatte, so gar ekel und ihr kein Mann gut gnug,deshalb sie auch wohl dreißig Jahr erreichet hatte. Doch weil ich sie karessierte und ihr alle Ehrenbezeigung that, galte ich gar viel bei ihr und ihrer Mutter. Insonderheit, weil ich sie beide am Fieber kurierete. Deshalb ich in kurzem in großen Beruf kam, und täglich viel Leute Arznei bei mir holeten, auch mich: „Herr Dokter!“ hießen. Ja, ich mußte Urin, salvo honore, besehen, und schwatzte den Leuten so viel vor, bis etwas eintraf, vor Geld. Des Morgens, ehe ich aufstund, waren schon drei bis vier Leute auf mich wartend. Und verdienete ich soviel Geld, als ich je gebrauchte. – Ich hatte die Gnade, daß ich zunächst der Kammer und Bette schlief, da die Jungfer und ihre Mutter lag, welche mir noch zur Dankbarkeit wegen der Kur einen schönen goldenen Ring, einen Wachsstock und silbernen, großen Löffel, so ich noch habe, schenketen.
Es logierten die Holländer und Hamburger Kaufleute da und speiseten da, mit welchen ich braschen oder schwatzen konnte. Deshalb über Tisch ihnen vorschneiden und sie accommodieren mußte; weil kein Wirt da war, und sie mich dafür hielten. Deshalb ich alles frei hatte.
Einsmals speisete ein Frauenzimmer mit der schwarzen Florkapp über Tisch mit, die ich nicht kannte. Die Jungfer und ihre Frau Mutter lachten immer. Ich wußte nicht: was das hieß?
Nach Essens aber entdeckte sich die Person, und es war meine alte Liebste aus Spandau. Ich erschrak über sie; wußte nicht, was das bedeute? – Da sagte sie: sie hätte erfahren, daß ich da sei; aus Verlangen, mich wiederzusehen, wäre sie herkommen, weil sie ohndem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/214 |
Zitationshilfe: | Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/214>, abgerufen am 25.07.2024. |