Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Mehrzahl der Fälle darauf rechnen? Gehört es zu den Aus-
nahmen
, wenn dieses Mehr nicht eintritt?

Wo ist die unmittelbare, geistige Wechselwirkung des Leh-
rers und des Schülers? Wo die Gelegenheit, die Nothwen-
digkeit dazu? -- Selten, oder nirgends.

Wo die Institute, die den Leib der Jünglinge stählen und
kräftigen, damit das heiße Blut sie nicht verführe? -- Sie
fehlen.

Wo die Veranstaltungen, daß der Jüngling Bekanntschaft
mache mit achtungswürdigen Männern und edlen Frauen, und
sich feine Sitte und äußere Bildung aneigne? --

Wie bildet Ihr Kameradschaften, Zusammenschaarung des
Gleichartigen, Standesgenossenschaft und Corporationen? -- --

Wo zeigen sich dem Jüngling praktische Ideen in dem
Leben der Männer und der Stände?

Sehet, auf diese und viele andere Fragen nach Dingen,
die, wie ich oben gezeigt habe, zur Erziehung derer, welche
die Culturträger und Förderer der Nation zu sein berufen
sind, gar nicht fehlen dürfen, habt Ihr gar keine Antwort.
Es fehlet an Allem, überall tabula rasa, Alles rasirt. Es
macht sich in manchen Fällen das Bessere, aber das ist Euer
Verdienst nicht. Und doch ist es Eure Pflicht, dafür Sorge
zu tragen, daß nur der Widerspenstige nicht wird, was er
werden kann und soll. Am Niederreißen, Negiren, Vernich-
ten hat man sein Gefallen gehabt, auch auf den Universitäten.
Aber was ist Positives geschaffen worden? Tabula rasa.

Eure Angst ist, daß etwas Ungehöriges geschehe; darum
verhütet Ihr nicht, daß nichts geschieht. Wenn sie nur kei-
nen Tumult machen, wenn nur kein Skandal entsteht, wenn
nur dieß nicht geschieht, nur jenes nicht, wenn nur dieses
-- dieses -- dieses -- nicht, nicht, nicht eintritt; sehet das

Mehrzahl der Faͤlle darauf rechnen? Gehoͤrt es zu den Aus-
nahmen
, wenn dieſes Mehr nicht eintritt?

Wo iſt die unmittelbare, geiſtige Wechſelwirkung des Leh-
rers und des Schuͤlers? Wo die Gelegenheit, die Nothwen-
digkeit dazu? — Selten, oder nirgends.

Wo die Inſtitute, die den Leib der Juͤnglinge ſtaͤhlen und
kraͤftigen, damit das heiße Blut ſie nicht verfuͤhre? — Sie
fehlen.

Wo die Veranſtaltungen, daß der Juͤngling Bekanntſchaft
mache mit achtungswuͤrdigen Maͤnnern und edlen Frauen, und
ſich feine Sitte und aͤußere Bildung aneigne? —

Wie bildet Ihr Kameradſchaften, Zuſammenſchaarung des
Gleichartigen, Standesgenoſſenſchaft und Corporationen? — —

Wo zeigen ſich dem Juͤngling praktiſche Ideen in dem
Leben der Maͤnner und der Staͤnde?

Sehet, auf dieſe und viele andere Fragen nach Dingen,
die, wie ich oben gezeigt habe, zur Erziehung derer, welche
die Culturtraͤger und Foͤrderer der Nation zu ſein berufen
ſind, gar nicht fehlen duͤrfen, habt Ihr gar keine Antwort.
Es fehlet an Allem, uͤberall tabula rasa, Alles raſirt. Es
macht ſich in manchen Faͤllen das Beſſere, aber das iſt Euer
Verdienſt nicht. Und doch iſt es Eure Pflicht, dafuͤr Sorge
zu tragen, daß nur der Widerſpenſtige nicht wird, was er
werden kann und ſoll. Am Niederreißen, Negiren, Vernich-
ten hat man ſein Gefallen gehabt, auch auf den Univerſitaͤten.
Aber was iſt Poſitives geſchaffen worden? Tabula rasa.

Eure Angſt iſt, daß etwas Ungehoͤriges geſchehe; darum
verhuͤtet Ihr nicht, daß nichts geſchieht. Wenn ſie nur kei-
nen Tumult machen, wenn nur kein Skandal entſteht, wenn
nur dieß nicht geſchieht, nur jenes nicht, wenn nur dieſes
— dieſes — dieſes — nicht, nicht, nicht eintritt; ſehet das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="68"/>
Mehrzahl der Fa&#x0364;lle darauf rechnen? Geho&#x0364;rt es zu den <hi rendition="#g">Aus-<lb/>
nahmen</hi>, wenn die&#x017F;es Mehr nicht eintritt?</p><lb/>
          <p>Wo i&#x017F;t die unmittelbare, gei&#x017F;tige Wech&#x017F;elwirkung des Leh-<lb/>
rers und des Schu&#x0364;lers? Wo die Gelegenheit, die Nothwen-<lb/>
digkeit dazu? &#x2014; Selten, oder nirgends.</p><lb/>
          <p>Wo die In&#x017F;titute, die den Leib der Ju&#x0364;nglinge &#x017F;ta&#x0364;hlen und<lb/>
kra&#x0364;ftigen, damit das heiße Blut &#x017F;ie nicht verfu&#x0364;hre? &#x2014; Sie<lb/>
fehlen.</p><lb/>
          <p>Wo die Veran&#x017F;taltungen, daß der Ju&#x0364;ngling Bekannt&#x017F;chaft<lb/>
mache mit achtungswu&#x0364;rdigen Ma&#x0364;nnern und edlen Frauen, und<lb/>
&#x017F;ich feine Sitte und a&#x0364;ußere Bildung aneigne? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wie bildet Ihr Kamerad&#x017F;chaften, Zu&#x017F;ammen&#x017F;chaarung des<lb/>
Gleichartigen, Standesgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und Corporationen? &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wo zeigen &#x017F;ich dem Ju&#x0364;ngling prakti&#x017F;che Ideen in dem<lb/>
Leben der Ma&#x0364;nner und der Sta&#x0364;nde?</p><lb/>
          <p>Sehet, auf die&#x017F;e und viele andere Fragen nach Dingen,<lb/>
die, wie ich oben gezeigt habe, zur Erziehung derer, welche<lb/>
die Culturtra&#x0364;ger und Fo&#x0364;rderer der Nation zu &#x017F;ein berufen<lb/>
&#x017F;ind, gar nicht fehlen du&#x0364;rfen, habt Ihr gar keine Antwort.<lb/>
Es fehlet an Allem, u&#x0364;berall <hi rendition="#aq">tabula rasa</hi>, Alles ra&#x017F;irt. Es<lb/>
macht &#x017F;ich in manchen Fa&#x0364;llen das Be&#x017F;&#x017F;ere, aber das i&#x017F;t Euer<lb/>
Verdien&#x017F;t nicht. Und doch i&#x017F;t es Eure Pflicht, dafu&#x0364;r Sorge<lb/>
zu tragen, daß nur der Wider&#x017F;pen&#x017F;tige nicht wird, was er<lb/>
werden kann und &#x017F;oll. Am Niederreißen, Negiren, Vernich-<lb/>
ten hat man &#x017F;ein Gefallen gehabt, auch auf den Univer&#x017F;ita&#x0364;ten.<lb/>
Aber was i&#x017F;t <hi rendition="#g">Po&#x017F;itives</hi> ge&#x017F;chaffen worden? <hi rendition="#aq">Tabula rasa.</hi></p><lb/>
          <p>Eure Ang&#x017F;t i&#x017F;t, daß etwas Ungeho&#x0364;riges ge&#x017F;chehe; darum<lb/>
verhu&#x0364;tet Ihr nicht, daß nichts ge&#x017F;chieht. Wenn &#x017F;ie nur kei-<lb/>
nen Tumult machen, wenn nur kein Skandal ent&#x017F;teht, wenn<lb/>
nur dieß nicht ge&#x017F;chieht, nur jenes nicht, wenn nur die&#x017F;es<lb/>
&#x2014; die&#x017F;es &#x2014; die&#x017F;es &#x2014; nicht, nicht, nicht eintritt; &#x017F;ehet das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0086] Mehrzahl der Faͤlle darauf rechnen? Gehoͤrt es zu den Aus- nahmen, wenn dieſes Mehr nicht eintritt? Wo iſt die unmittelbare, geiſtige Wechſelwirkung des Leh- rers und des Schuͤlers? Wo die Gelegenheit, die Nothwen- digkeit dazu? — Selten, oder nirgends. Wo die Inſtitute, die den Leib der Juͤnglinge ſtaͤhlen und kraͤftigen, damit das heiße Blut ſie nicht verfuͤhre? — Sie fehlen. Wo die Veranſtaltungen, daß der Juͤngling Bekanntſchaft mache mit achtungswuͤrdigen Maͤnnern und edlen Frauen, und ſich feine Sitte und aͤußere Bildung aneigne? — Wie bildet Ihr Kameradſchaften, Zuſammenſchaarung des Gleichartigen, Standesgenoſſenſchaft und Corporationen? — — Wo zeigen ſich dem Juͤngling praktiſche Ideen in dem Leben der Maͤnner und der Staͤnde? Sehet, auf dieſe und viele andere Fragen nach Dingen, die, wie ich oben gezeigt habe, zur Erziehung derer, welche die Culturtraͤger und Foͤrderer der Nation zu ſein berufen ſind, gar nicht fehlen duͤrfen, habt Ihr gar keine Antwort. Es fehlet an Allem, uͤberall tabula rasa, Alles raſirt. Es macht ſich in manchen Faͤllen das Beſſere, aber das iſt Euer Verdienſt nicht. Und doch iſt es Eure Pflicht, dafuͤr Sorge zu tragen, daß nur der Widerſpenſtige nicht wird, was er werden kann und ſoll. Am Niederreißen, Negiren, Vernich- ten hat man ſein Gefallen gehabt, auch auf den Univerſitaͤten. Aber was iſt Poſitives geſchaffen worden? Tabula rasa. Eure Angſt iſt, daß etwas Ungehoͤriges geſchehe; darum verhuͤtet Ihr nicht, daß nichts geſchieht. Wenn ſie nur kei- nen Tumult machen, wenn nur kein Skandal entſteht, wenn nur dieß nicht geſchieht, nur jenes nicht, wenn nur dieſes — dieſes — dieſes — nicht, nicht, nicht eintritt; ſehet das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/86
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/86>, abgerufen am 22.11.2024.