Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

deutschen Universität zur andern. Hat sich Einer Ruhm,
einen glänzenden oder wenigstens blendenden Namen erwor-
ben, so treibt er bei einem Rufe nach auswärts sein Gehalt
nach Möglichkeit in die Höhe. Alles wird angewandt, um
die rufende Behörde zu schrauben. Kein Heimaths- oder Va-
terlandsgefühl legt ein Gewicht in die Wagschale. Sie sind
Makler geworden; auch die kaufmännischen Cursberechnungen
findet man bei ihnen, und wenn z. B. die Philosophie, zu
der sie sich im Vortrage bekennen, hoch im Curse steht, so
weiß nicht nur jeder Adept derselben, daß er hohe Procente
fordern darf, sondern er thut es auch. In den alten guten
Zeiten wog ein "Geheimer Rath" oder ein "Geheimer Hof-
rath" noch etwas auf; aber heut zu Tage schlagen selbst die
Männer des Absoluten und des Unbedingten den Werth des
Realen höher an, als Titel und Orden.

Wie viele Regierungsbeamten ihre Thätigkeit nach der
Zahl der Nummern, die in ihrem Notizbuche stehen, abmessen
und nach deren Höhe berechnen, so schätzen unsere Professo-
ren ihre Wichtigkeit, ihren Einfluß und den Grad, in dem
sie ihre Bestimmung erreicht haben, nach der Zahl ihrer Zu-
hörer. Wohl, sie ist in dem Punkte ein Maßstab, daß man
daraus ersehen kann, was junge Leute für wichtig oder noth-
wendig erachten und für interessant halten. Aber mit der Zahl
der Zuhörer steigt die Zahl der "Fritze", wie die Herren Stu-
denten sagen, oft nach dem Doppelten oder noch höher. Hier
liegt eine Quelle des Grundverderbens. Denn das Zahlen des
Honorars verführt sie, darnach zu trachten, den Jünglingen
zu gefallen; sie speculiren auf die Künste, welche den Hör-
saal füllen. Und gelingt dieses nicht gar häufig? Folgen sie,
die größtentheils Urtheillosen, nicht sehr oft dem lockenden
Schein, den täuschenden Künsten, der wortreichen Suade?

deutſchen Univerſitaͤt zur andern. Hat ſich Einer Ruhm,
einen glaͤnzenden oder wenigſtens blendenden Namen erwor-
ben, ſo treibt er bei einem Rufe nach auswaͤrts ſein Gehalt
nach Moͤglichkeit in die Hoͤhe. Alles wird angewandt, um
die rufende Behoͤrde zu ſchrauben. Kein Heimaths- oder Va-
terlandsgefuͤhl legt ein Gewicht in die Wagſchale. Sie ſind
Makler geworden; auch die kaufmaͤnniſchen Cursberechnungen
findet man bei ihnen, und wenn z. B. die Philoſophie, zu
der ſie ſich im Vortrage bekennen, hoch im Curſe ſteht, ſo
weiß nicht nur jeder Adept derſelben, daß er hohe Procente
fordern darf, ſondern er thut es auch. In den alten guten
Zeiten wog ein „Geheimer Rath“ oder ein „Geheimer Hof-
rath“ noch etwas auf; aber heut zu Tage ſchlagen ſelbſt die
Maͤnner des Abſoluten und des Unbedingten den Werth des
Realen hoͤher an, als Titel und Orden.

Wie viele Regierungsbeamten ihre Thaͤtigkeit nach der
Zahl der Nummern, die in ihrem Notizbuche ſtehen, abmeſſen
und nach deren Hoͤhe berechnen, ſo ſchaͤtzen unſere Profeſſo-
ren ihre Wichtigkeit, ihren Einfluß und den Grad, in dem
ſie ihre Beſtimmung erreicht haben, nach der Zahl ihrer Zu-
hoͤrer. Wohl, ſie iſt in dem Punkte ein Maßſtab, daß man
daraus erſehen kann, was junge Leute fuͤr wichtig oder noth-
wendig erachten und fuͤr intereſſant halten. Aber mit der Zahl
der Zuhoͤrer ſteigt die Zahl der „Fritze“, wie die Herren Stu-
denten ſagen, oft nach dem Doppelten oder noch hoͤher. Hier
liegt eine Quelle des Grundverderbens. Denn das Zahlen des
Honorars verfuͤhrt ſie, darnach zu trachten, den Juͤnglingen
zu gefallen; ſie ſpeculiren auf die Kuͤnſte, welche den Hoͤr-
ſaal fuͤllen. Und gelingt dieſes nicht gar haͤufig? Folgen ſie,
die groͤßtentheils Urtheilloſen, nicht ſehr oft dem lockenden
Schein, den taͤuſchenden Kuͤnſten, der wortreichen Suade?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0064" n="46"/>
deut&#x017F;chen Univer&#x017F;ita&#x0364;t zur andern. Hat &#x017F;ich Einer Ruhm,<lb/>
einen gla&#x0364;nzenden oder wenig&#x017F;tens blendenden Namen erwor-<lb/>
ben, &#x017F;o treibt er bei einem Rufe nach auswa&#x0364;rts &#x017F;ein Gehalt<lb/>
nach Mo&#x0364;glichkeit in die Ho&#x0364;he. Alles wird angewandt, um<lb/>
die rufende Beho&#x0364;rde zu &#x017F;chrauben. Kein Heimaths- oder Va-<lb/>
terlandsgefu&#x0364;hl legt ein Gewicht in die Wag&#x017F;chale. Sie &#x017F;ind<lb/>
Makler geworden; auch die kaufma&#x0364;nni&#x017F;chen Cursberechnungen<lb/>
findet man bei ihnen, und wenn z. B. die Philo&#x017F;ophie, zu<lb/>
der &#x017F;ie &#x017F;ich im Vortrage bekennen, hoch im Cur&#x017F;e &#x017F;teht, &#x017F;o<lb/>
weiß nicht nur jeder Adept der&#x017F;elben, daß er hohe Procente<lb/>
fordern darf, &#x017F;ondern er thut es auch. In den alten guten<lb/>
Zeiten wog ein &#x201E;Geheimer Rath&#x201C; oder ein &#x201E;Geheimer Hof-<lb/>
rath&#x201C; noch etwas auf; aber heut zu Tage &#x017F;chlagen &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Ma&#x0364;nner des Ab&#x017F;oluten und des Unbedingten den Werth des<lb/>
Realen ho&#x0364;her an, als Titel und Orden.</p><lb/>
            <p>Wie viele Regierungsbeamten ihre Tha&#x0364;tigkeit nach der<lb/>
Zahl der Nummern, die in ihrem Notizbuche &#x017F;tehen, abme&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und nach deren Ho&#x0364;he berechnen, &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;tzen un&#x017F;ere Profe&#x017F;&#x017F;o-<lb/>
ren ihre Wichtigkeit, ihren Einfluß und den Grad, in dem<lb/>
&#x017F;ie ihre Be&#x017F;timmung erreicht haben, nach der Zahl ihrer Zu-<lb/>
ho&#x0364;rer. Wohl, &#x017F;ie i&#x017F;t in dem Punkte ein Maß&#x017F;tab, daß man<lb/>
daraus er&#x017F;ehen kann, was junge Leute fu&#x0364;r wichtig oder noth-<lb/>
wendig erachten und fu&#x0364;r intere&#x017F;&#x017F;ant halten. Aber mit der Zahl<lb/>
der Zuho&#x0364;rer &#x017F;teigt die Zahl der &#x201E;Fritze&#x201C;, wie die Herren Stu-<lb/>
denten &#x017F;agen, oft nach dem Doppelten oder noch ho&#x0364;her. Hier<lb/>
liegt eine Quelle des Grundverderbens. Denn das Zahlen des<lb/>
Honorars verfu&#x0364;hrt &#x017F;ie, darnach zu trachten, den Ju&#x0364;nglingen<lb/>
zu gefallen; &#x017F;ie &#x017F;peculiren auf die <hi rendition="#g">Ku&#x0364;n&#x017F;te</hi>, welche den Ho&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;aal fu&#x0364;llen. Und gelingt die&#x017F;es nicht gar ha&#x0364;ufig? Folgen &#x017F;ie,<lb/>
die gro&#x0364;ßtentheils Urtheillo&#x017F;en, nicht &#x017F;ehr oft dem lockenden<lb/>
Schein, den ta&#x0364;u&#x017F;chenden Ku&#x0364;n&#x017F;ten, der wortreichen Suade?<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0064] deutſchen Univerſitaͤt zur andern. Hat ſich Einer Ruhm, einen glaͤnzenden oder wenigſtens blendenden Namen erwor- ben, ſo treibt er bei einem Rufe nach auswaͤrts ſein Gehalt nach Moͤglichkeit in die Hoͤhe. Alles wird angewandt, um die rufende Behoͤrde zu ſchrauben. Kein Heimaths- oder Va- terlandsgefuͤhl legt ein Gewicht in die Wagſchale. Sie ſind Makler geworden; auch die kaufmaͤnniſchen Cursberechnungen findet man bei ihnen, und wenn z. B. die Philoſophie, zu der ſie ſich im Vortrage bekennen, hoch im Curſe ſteht, ſo weiß nicht nur jeder Adept derſelben, daß er hohe Procente fordern darf, ſondern er thut es auch. In den alten guten Zeiten wog ein „Geheimer Rath“ oder ein „Geheimer Hof- rath“ noch etwas auf; aber heut zu Tage ſchlagen ſelbſt die Maͤnner des Abſoluten und des Unbedingten den Werth des Realen hoͤher an, als Titel und Orden. Wie viele Regierungsbeamten ihre Thaͤtigkeit nach der Zahl der Nummern, die in ihrem Notizbuche ſtehen, abmeſſen und nach deren Hoͤhe berechnen, ſo ſchaͤtzen unſere Profeſſo- ren ihre Wichtigkeit, ihren Einfluß und den Grad, in dem ſie ihre Beſtimmung erreicht haben, nach der Zahl ihrer Zu- hoͤrer. Wohl, ſie iſt in dem Punkte ein Maßſtab, daß man daraus erſehen kann, was junge Leute fuͤr wichtig oder noth- wendig erachten und fuͤr intereſſant halten. Aber mit der Zahl der Zuhoͤrer ſteigt die Zahl der „Fritze“, wie die Herren Stu- denten ſagen, oft nach dem Doppelten oder noch hoͤher. Hier liegt eine Quelle des Grundverderbens. Denn das Zahlen des Honorars verfuͤhrt ſie, darnach zu trachten, den Juͤnglingen zu gefallen; ſie ſpeculiren auf die Kuͤnſte, welche den Hoͤr- ſaal fuͤllen. Und gelingt dieſes nicht gar haͤufig? Folgen ſie, die groͤßtentheils Urtheilloſen, nicht ſehr oft dem lockenden Schein, den taͤuſchenden Kuͤnſten, der wortreichen Suade?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/64
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/64>, abgerufen am 25.11.2024.