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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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wendig ist er ein einseitiger. Seine Ergänzung, Verallgemei-
nerung und Beschränkung findet er durch das zweite Princip
der Gliederung, durch die Zusammenschaarung aller Männer,
die denselben Wohnort haben, oder in großen Städten dasselbe
Viertel bewohnen. Hier wird jeder Einzelne durch die allge-
meinen Interessen Aller influencirt, und die Einseitigkeit wird
durch die Allseitigkeit, der mögliche Standesegoismus durch
die universelle patriotische Gesinnung Aller verklärt. Natür-
lich entstehen zur Durchführung dieser Organisation Versamm-
lungen der Genossen desselben Standes und derselben Heimath.
Die Glieder sollen durch persönliche Gemeinschaft, durch Rede
und That in Wechselwirkung treten, und alle bewegt werden
von dem Geiste der Gemeinschaft des öffentlichen Lebens.

Den Studenten gebührt, sagte ich oben, eine bestimmte
Stellung im Leben. Sie bilden den Stand der Studenten,
und man gewährt ihnen, in weiser Abmessung ihrer Bedürf-
nisse und Zwecke, bestimmte Rechte. Auf die Freiheit der
übrigen Stände haben sie keinen Anspruch, denn sie produci-
ren noch nicht, sondern sie lernen. Aber damit sie lernen,
muß man sie sich ausleben und sich üben lassen. Darum
fügt man den Stand der Studenten zu dem der Gelehrten
als einem Appendix, die Theologen in abgesonderter Gliede-
rung zu der Kategorie der Professoren der theologischen Facul-
tät u. s. w. Auch sollen die Einzelnen Zutritt haben zu den
allgemeinen Vereinen derer, mit welchen sie zusammenwohnen.
Der Jüngling muß von dem Geist des öffentlichen Lebens er-
regt und ergriffen werden. Denn nur dadurch entsteht für
die in ihm erregten Hochgedanken eine Stätte praktischer Wirk-
samkeit. Ohne diese Beziehung der Ideen auf das Leben glei-
chen jene -- hohlen Schemen, oder sie spuken gleich Gespen-
stern in dem Gehirne der Menschen.

wendig iſt er ein einſeitiger. Seine Ergaͤnzung, Verallgemei-
nerung und Beſchraͤnkung findet er durch das zweite Princip
der Gliederung, durch die Zuſammenſchaarung aller Maͤnner,
die denſelben Wohnort haben, oder in großen Staͤdten daſſelbe
Viertel bewohnen. Hier wird jeder Einzelne durch die allge-
meinen Intereſſen Aller influencirt, und die Einſeitigkeit wird
durch die Allſeitigkeit, der moͤgliche Standesegoismus durch
die univerſelle patriotiſche Geſinnung Aller verklaͤrt. Natuͤr-
lich entſtehen zur Durchfuͤhrung dieſer Organiſation Verſamm-
lungen der Genoſſen deſſelben Standes und derſelben Heimath.
Die Glieder ſollen durch perſoͤnliche Gemeinſchaft, durch Rede
und That in Wechſelwirkung treten, und alle bewegt werden
von dem Geiſte der Gemeinſchaft des oͤffentlichen Lebens.

Den Studenten gebuͤhrt, ſagte ich oben, eine beſtimmte
Stellung im Leben. Sie bilden den Stand der Studenten,
und man gewaͤhrt ihnen, in weiſer Abmeſſung ihrer Beduͤrf-
niſſe und Zwecke, beſtimmte Rechte. Auf die Freiheit der
uͤbrigen Staͤnde haben ſie keinen Anſpruch, denn ſie produci-
ren noch nicht, ſondern ſie lernen. Aber damit ſie lernen,
muß man ſie ſich ausleben und ſich uͤben laſſen. Darum
fuͤgt man den Stand der Studenten zu dem der Gelehrten
als einem Appendix, die Theologen in abgeſonderter Gliede-
rung zu der Kategorie der Profeſſoren der theologiſchen Facul-
taͤt u. ſ. w. Auch ſollen die Einzelnen Zutritt haben zu den
allgemeinen Vereinen derer, mit welchen ſie zuſammenwohnen.
Der Juͤngling muß von dem Geiſt des oͤffentlichen Lebens er-
regt und ergriffen werden. Denn nur dadurch entſteht fuͤr
die in ihm erregten Hochgedanken eine Staͤtte praktiſcher Wirk-
ſamkeit. Ohne dieſe Beziehung der Ideen auf das Leben glei-
chen jene — hohlen Schemen, oder ſie ſpuken gleich Geſpen-
ſtern in dem Gehirne der Menſchen.

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[28/0046] wendig iſt er ein einſeitiger. Seine Ergaͤnzung, Verallgemei- nerung und Beſchraͤnkung findet er durch das zweite Princip der Gliederung, durch die Zuſammenſchaarung aller Maͤnner, die denſelben Wohnort haben, oder in großen Staͤdten daſſelbe Viertel bewohnen. Hier wird jeder Einzelne durch die allge- meinen Intereſſen Aller influencirt, und die Einſeitigkeit wird durch die Allſeitigkeit, der moͤgliche Standesegoismus durch die univerſelle patriotiſche Geſinnung Aller verklaͤrt. Natuͤr- lich entſtehen zur Durchfuͤhrung dieſer Organiſation Verſamm- lungen der Genoſſen deſſelben Standes und derſelben Heimath. Die Glieder ſollen durch perſoͤnliche Gemeinſchaft, durch Rede und That in Wechſelwirkung treten, und alle bewegt werden von dem Geiſte der Gemeinſchaft des oͤffentlichen Lebens. Den Studenten gebuͤhrt, ſagte ich oben, eine beſtimmte Stellung im Leben. Sie bilden den Stand der Studenten, und man gewaͤhrt ihnen, in weiſer Abmeſſung ihrer Beduͤrf- niſſe und Zwecke, beſtimmte Rechte. Auf die Freiheit der uͤbrigen Staͤnde haben ſie keinen Anſpruch, denn ſie produci- ren noch nicht, ſondern ſie lernen. Aber damit ſie lernen, muß man ſie ſich ausleben und ſich uͤben laſſen. Darum fuͤgt man den Stand der Studenten zu dem der Gelehrten als einem Appendix, die Theologen in abgeſonderter Gliede- rung zu der Kategorie der Profeſſoren der theologiſchen Facul- taͤt u. ſ. w. Auch ſollen die Einzelnen Zutritt haben zu den allgemeinen Vereinen derer, mit welchen ſie zuſammenwohnen. Der Juͤngling muß von dem Geiſt des oͤffentlichen Lebens er- regt und ergriffen werden. Denn nur dadurch entſteht fuͤr die in ihm erregten Hochgedanken eine Staͤtte praktiſcher Wirk- ſamkeit. Ohne dieſe Beziehung der Ideen auf das Leben glei- chen jene — hohlen Schemen, oder ſie ſpuken gleich Geſpen- ſtern in dem Gehirne der Menſchen.

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/46>, abgerufen am 24.11.2024.