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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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mannschaftliche. Beide müssen in Anwendung gebracht
werden. Jeder tüchtige Student lebt in zwei Richtungen und
Strebungen: die eine geht nach dem Wissen, die andere nach
dem Leben. Jene zieht ihn zu Jünglingen desselben Fachs,
dieses vereinigt ihn mit seinen Landsleuten. Von beiden Trie-
ben ist der von lebendigen Kräften Erregte influencirt. In
rechter Weise benutzt führen sie, wie alle Triebe der Menschen-
natur, zum Guten. Der wissenschaftliche Trieb findet seine
Befriedigung durch geistige Berührung des Theologen mit den
Theologen, des Juristen mit den Juristen u. s. w. Der ge-
sellige schaart zusammen: die Schlesier, die Pommern, die
Sachsen, die Würtemberger, die Baiern u. s. w.

Der studirende Jüngling ist kein Kind mehr, das Gesetz
behandelt ihn wie einen Mündigen, Freien, und der Lehrer
nennt ihn einen Herrn. Darum ist ihm der Staat eine öffent-
liche Stellung im Leben schuldig, sie gebührt ihm, und zu
allen Zeiten strebt der Student, dieselbe zu gewinnen. Er
fühlt sich einen Andern, als die übrigen, die er Philister be-
namset, er will auch äußerlich ein Anderer erscheinen. Diese
Bestrebungen sind natürlich, folglich heilsam und gut. Man
befriedige sie! Darum Vereinigung der Strebenden nach dem
Princip des Faches, der Lebenden nach dem Eintheilungsgrund
der Heimath! Soll das geistige Princip erscheinen, so treten
die Theologen, die Juristen, die Mediciner, die Philosophen
zusammen auf, die ersten etwa in schwarzer, die zweiten in
rother, die dritten in grüner, die vierten in blauer Farbe. Soll
das Leben des Gefühls und der Gesinnung zur Erscheinung
kommen, so sieht man zusammen die derben Pommern, die
gutmüthigen Sachsen, die breitschulterigen Westphalen, die hei-
teren Rheinländer, die schweren Baiern.

mannſchaftliche. Beide muͤſſen in Anwendung gebracht
werden. Jeder tuͤchtige Student lebt in zwei Richtungen und
Strebungen: die eine geht nach dem Wiſſen, die andere nach
dem Leben. Jene zieht ihn zu Juͤnglingen deſſelben Fachs,
dieſes vereinigt ihn mit ſeinen Landsleuten. Von beiden Trie-
ben iſt der von lebendigen Kraͤften Erregte influencirt. In
rechter Weiſe benutzt fuͤhren ſie, wie alle Triebe der Menſchen-
natur, zum Guten. Der wiſſenſchaftliche Trieb findet ſeine
Befriedigung durch geiſtige Beruͤhrung des Theologen mit den
Theologen, des Juriſten mit den Juriſten u. ſ. w. Der ge-
ſellige ſchaart zuſammen: die Schleſier, die Pommern, die
Sachſen, die Wuͤrtemberger, die Baiern u. ſ. w.

Der ſtudirende Juͤngling iſt kein Kind mehr, das Geſetz
behandelt ihn wie einen Muͤndigen, Freien, und der Lehrer
nennt ihn einen Herrn. Darum iſt ihm der Staat eine oͤffent-
liche Stellung im Leben ſchuldig, ſie gebuͤhrt ihm, und zu
allen Zeiten ſtrebt der Student, dieſelbe zu gewinnen. Er
fuͤhlt ſich einen Andern, als die uͤbrigen, die er Philiſter be-
namſet, er will auch aͤußerlich ein Anderer erſcheinen. Dieſe
Beſtrebungen ſind natuͤrlich, folglich heilſam und gut. Man
befriedige ſie! Darum Vereinigung der Strebenden nach dem
Princip des Faches, der Lebenden nach dem Eintheilungsgrund
der Heimath! Soll das geiſtige Princip erſcheinen, ſo treten
die Theologen, die Juriſten, die Mediciner, die Philoſophen
zuſammen auf, die erſten etwa in ſchwarzer, die zweiten in
rother, die dritten in gruͤner, die vierten in blauer Farbe. Soll
das Leben des Gefuͤhls und der Geſinnung zur Erſcheinung
kommen, ſo ſieht man zuſammen die derben Pommern, die
gutmuͤthigen Sachſen, die breitſchulterigen Weſtphalen, die hei-
teren Rheinlaͤnder, die ſchweren Baiern.

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[26/0044] mannſchaftliche. Beide muͤſſen in Anwendung gebracht werden. Jeder tuͤchtige Student lebt in zwei Richtungen und Strebungen: die eine geht nach dem Wiſſen, die andere nach dem Leben. Jene zieht ihn zu Juͤnglingen deſſelben Fachs, dieſes vereinigt ihn mit ſeinen Landsleuten. Von beiden Trie- ben iſt der von lebendigen Kraͤften Erregte influencirt. In rechter Weiſe benutzt fuͤhren ſie, wie alle Triebe der Menſchen- natur, zum Guten. Der wiſſenſchaftliche Trieb findet ſeine Befriedigung durch geiſtige Beruͤhrung des Theologen mit den Theologen, des Juriſten mit den Juriſten u. ſ. w. Der ge- ſellige ſchaart zuſammen: die Schleſier, die Pommern, die Sachſen, die Wuͤrtemberger, die Baiern u. ſ. w. Der ſtudirende Juͤngling iſt kein Kind mehr, das Geſetz behandelt ihn wie einen Muͤndigen, Freien, und der Lehrer nennt ihn einen Herrn. Darum iſt ihm der Staat eine oͤffent- liche Stellung im Leben ſchuldig, ſie gebuͤhrt ihm, und zu allen Zeiten ſtrebt der Student, dieſelbe zu gewinnen. Er fuͤhlt ſich einen Andern, als die uͤbrigen, die er Philiſter be- namſet, er will auch aͤußerlich ein Anderer erſcheinen. Dieſe Beſtrebungen ſind natuͤrlich, folglich heilſam und gut. Man befriedige ſie! Darum Vereinigung der Strebenden nach dem Princip des Faches, der Lebenden nach dem Eintheilungsgrund der Heimath! Soll das geiſtige Princip erſcheinen, ſo treten die Theologen, die Juriſten, die Mediciner, die Philoſophen zuſammen auf, die erſten etwa in ſchwarzer, die zweiten in rother, die dritten in gruͤner, die vierten in blauer Farbe. Soll das Leben des Gefuͤhls und der Geſinnung zur Erſcheinung kommen, ſo ſieht man zuſammen die derben Pommern, die gutmuͤthigen Sachſen, die breitſchulterigen Weſtphalen, die hei- teren Rheinlaͤnder, die ſchweren Baiern.

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/44>, abgerufen am 24.11.2024.