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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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hier ist ein solcher, daß ich einen großen Teil der Zeit in
Thränen verbringe." Mit einer Art prophetischen Blickes
klagte er seinem Freunde: "Das schmerzlichste ist mir zu
sehen, daß die Zwietracht für immer bei der Nachwelt haf-
ten, und daß vielleicht von daher eine grausige Barbarei und
Öde aller Künste und Wissenschaften über unsere Nation
kommen wird."

3. Die nächsten Folgen der Religionswirren äußerten
sich höchst nachteilig für die Geisteskultur des deutschen Vol-
kes in der Pflege der Wissenschaften und der Studien. Luther
legte nicht viel Wert auf die Wissenschaften und speziell auf
die Philosophie. Die Vernunft war ihm des Teufels Hure.
Von den Juristen wollte er wenig wissen. Die herein-
drohende Barbarei, von der Melanchthon spricht, äußerte sich
bald auf allen deutschen Universitäten. Noch ehe Janssen-
Pastor im 7. Bande das traurige Gemälde von dem ausge-
arteten Treiben der studierenden Jugend auf den Universitäten
entworfen hatte, war es der protestantische Theologe Dr. Tho-
luk1), welcher diese Erscheinung in düsteren Bildern ausge-
malt hat. Rückgang der Frequenz auf allen Hochschulen;
Roheit der Sitten bis zum tollsten Epicuräismus, die Duell-
wut und Verachtung der christlichen Religion, bildeten ihre
Signatur.

Nur ein Zeuge, der die Zustände mit eigenen Augen
sah und sie beklagte, möge Aufschluß geben. Es ist dieses
der edle und fromme Professor der Theologie, S. M. Mey-
fart
zu Erfurt. Vor versammelter theologischer Fakultät
hielt er am 30. Sept. 1633 eine Festpredigt. Darin sagt er:

1) Dr. A. Tholuk, Das akademische Leben des 17. Jahrhunderts,
mit besonderer Berücksichtigung der protestantisch-theologischen Fakultä-
ten Deutschlands. II. Abthlg. Halle 1854.

hier iſt ein ſolcher, daß ich einen großen Teil der Zeit in
Thränen verbringe.‟ Mit einer Art prophetiſchen Blickes
klagte er ſeinem Freunde: „Das ſchmerzlichſte iſt mir zu
ſehen, daß die Zwietracht für immer bei der Nachwelt haf-
ten, und daß vielleicht von daher eine grauſige Barbarei und
Öde aller Künſte und Wiſſenſchaften über unſere Nation
kommen wird.‟

3. Die nächſten Folgen der Religionswirren äußerten
ſich höchſt nachteilig für die Geiſteskultur des deutſchen Vol-
kes in der Pflege der Wiſſenſchaften und der Studien. Luther
legte nicht viel Wert auf die Wiſſenſchaften und ſpeziell auf
die Philoſophie. Die Vernunft war ihm des Teufels Hure.
Von den Juriſten wollte er wenig wiſſen. Die herein-
drohende Barbarei, von der Melanchthon ſpricht, äußerte ſich
bald auf allen deutſchen Univerſitäten. Noch ehe Janſſen-
Paſtor im 7. Bande das traurige Gemälde von dem ausge-
arteten Treiben der ſtudierenden Jugend auf den Univerſitäten
entworfen hatte, war es der proteſtantiſche Theologe Dr. Tho-
luk1), welcher dieſe Erſcheinung in düſteren Bildern ausge-
malt hat. Rückgang der Frequenz auf allen Hochſchulen;
Roheit der Sitten bis zum tollſten Epicuräismus, die Duell-
wut und Verachtung der chriſtlichen Religion, bildeten ihre
Signatur.

Nur ein Zeuge, der die Zuſtände mit eigenen Augen
ſah und ſie beklagte, möge Aufſchluß geben. Es iſt dieſes
der edle und fromme Profeſſor der Theologie, S. M. Mey-
fart
zu Erfurt. Vor verſammelter theologiſcher Fakultät
hielt er am 30. Sept. 1633 eine Feſtpredigt. Darin ſagt er:

1) Dr. A. Tholuk, Das akademiſche Leben des 17. Jahrhunderts,
mit beſonderer Berückſichtigung der proteſtantiſch-theologiſchen Fakultä-
ten Deutſchlands. II. Abthlg. Halle 1854.
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[48/0060] hier iſt ein ſolcher, daß ich einen großen Teil der Zeit in Thränen verbringe.‟ Mit einer Art prophetiſchen Blickes klagte er ſeinem Freunde: „Das ſchmerzlichſte iſt mir zu ſehen, daß die Zwietracht für immer bei der Nachwelt haf- ten, und daß vielleicht von daher eine grauſige Barbarei und Öde aller Künſte und Wiſſenſchaften über unſere Nation kommen wird.‟ 3. Die nächſten Folgen der Religionswirren äußerten ſich höchſt nachteilig für die Geiſteskultur des deutſchen Vol- kes in der Pflege der Wiſſenſchaften und der Studien. Luther legte nicht viel Wert auf die Wiſſenſchaften und ſpeziell auf die Philoſophie. Die Vernunft war ihm des Teufels Hure. Von den Juriſten wollte er wenig wiſſen. Die herein- drohende Barbarei, von der Melanchthon ſpricht, äußerte ſich bald auf allen deutſchen Univerſitäten. Noch ehe Janſſen- Paſtor im 7. Bande das traurige Gemälde von dem ausge- arteten Treiben der ſtudierenden Jugend auf den Univerſitäten entworfen hatte, war es der proteſtantiſche Theologe Dr. Tho- luk 1), welcher dieſe Erſcheinung in düſteren Bildern ausge- malt hat. Rückgang der Frequenz auf allen Hochſchulen; Roheit der Sitten bis zum tollſten Epicuräismus, die Duell- wut und Verachtung der chriſtlichen Religion, bildeten ihre Signatur. Nur ein Zeuge, der die Zuſtände mit eigenen Augen ſah und ſie beklagte, möge Aufſchluß geben. Es iſt dieſes der edle und fromme Profeſſor der Theologie, S. M. Mey- fart zu Erfurt. Vor verſammelter theologiſcher Fakultät hielt er am 30. Sept. 1633 eine Feſtpredigt. Darin ſagt er: 1) Dr. A. Tholuk, Das akademiſche Leben des 17. Jahrhunderts, mit beſonderer Berückſichtigung der proteſtantiſch-theologiſchen Fakultä- ten Deutſchlands. II. Abthlg. Halle 1854.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/60>, abgerufen am 05.12.2024.