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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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II.
War die Reformation wirklich eine Verbesserung?

I. Es ist ein bekannter Satz: "veritas odium parit."
Niemals ist derselbe so offenkundig hervorgetreten als in der
Geschichte Jesu. "Oderunt me gratis," sprach der Heiland
und doch war er die ewige Wahrheit selbst, gepaart mit gött-
licher Liebe und Güte. Er hatte das Verbrechen begangen,
den Schriftgelehrten und Pharisäern die Wahrheit zu sagen;
er apostrophierte sie mit den Worten: "Wenn ich euch die
Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?" Jene aber
wollten besser wissen, was Wahrheit sei, indem sie sich auf
die hl. Schrift beriefen, die sie aber falsch auslegten. Als auch
Stephanus ihnen die Wahrheit verkündete, hielten sie sich die
Ohren zu.

Heutzutage ist das Oberhaupt der katholischen Kirche der
vornehmste Gegenstand des Hasses aller Feinde und Gegner
der Kirche, auch wenn er keinem derselben irgendwie das
geringste Übel gethan hat. "Oderunt me gratis" kann auch
der Papst von seinen Gegnern sagen: sie hassen mich grund-
los. Niemand hat diesen Haß so sehr genährt und befördert
als Martin Luther. Seine Schriften wimmeln von Läste-
rungen und Beschimpfungen gegen das Oberhaupt der Kirche,
aber er wünschte, daß auch die Seinigen in diesem Hasse einig
seien. Deshalb sein Segensspruch: "Deus vos impleat
odio Papae,"
("Gott erfülle euch mit Haß gegen den Papst")
welchen er beim Abschiede den in Schmalkalden versammelten
lutherischen Fürsten zurief1). Gott, der nur ein Gott der Liebe

1) Fr. Mayeri diss. de voto Lutheri: "Deus vos impleat"
cr. Hamburg
1699.
II.
War die Reformation wirklich eine Verbeſſerung?

I. Es iſt ein bekannter Satz: „veritas odium parit.‟
Niemals iſt derſelbe ſo offenkundig hervorgetreten als in der
Geſchichte Jeſu. „Oderunt me gratis,‟ ſprach der Heiland
und doch war er die ewige Wahrheit ſelbſt, gepaart mit gött-
licher Liebe und Güte. Er hatte das Verbrechen begangen,
den Schriftgelehrten und Phariſäern die Wahrheit zu ſagen;
er apoſtrophierte ſie mit den Worten: „Wenn ich euch die
Wahrheit ſage, warum glaubt ihr mir nicht?‟ Jene aber
wollten beſſer wiſſen, was Wahrheit ſei, indem ſie ſich auf
die hl. Schrift beriefen, die ſie aber falſch auslegten. Als auch
Stephanus ihnen die Wahrheit verkündete, hielten ſie ſich die
Ohren zu.

Heutzutage iſt das Oberhaupt der katholiſchen Kirche der
vornehmſte Gegenſtand des Haſſes aller Feinde und Gegner
der Kirche, auch wenn er keinem derſelben irgendwie das
geringſte Übel gethan hat. „Oderunt me gratis‟ kann auch
der Papſt von ſeinen Gegnern ſagen: ſie haſſen mich grund-
los. Niemand hat dieſen Haß ſo ſehr genährt und befördert
als Martin Luther. Seine Schriften wimmeln von Läſte-
rungen und Beſchimpfungen gegen das Oberhaupt der Kirche,
aber er wünſchte, daß auch die Seinigen in dieſem Haſſe einig
ſeien. Deshalb ſein Segensſpruch: „Deus vos impleat
odio Papae,‟
(„Gott erfülle euch mit Haß gegen den Papſt‟)
welchen er beim Abſchiede den in Schmalkalden verſammelten
lutheriſchen Fürſten zurief1). Gott, der nur ein Gott der Liebe

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cr. Hamburg
1699.
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[27/0039] II. War die Reformation wirklich eine Verbeſſerung? I. Es iſt ein bekannter Satz: „veritas odium parit.‟ Niemals iſt derſelbe ſo offenkundig hervorgetreten als in der Geſchichte Jeſu. „Oderunt me gratis,‟ ſprach der Heiland und doch war er die ewige Wahrheit ſelbſt, gepaart mit gött- licher Liebe und Güte. Er hatte das Verbrechen begangen, den Schriftgelehrten und Phariſäern die Wahrheit zu ſagen; er apoſtrophierte ſie mit den Worten: „Wenn ich euch die Wahrheit ſage, warum glaubt ihr mir nicht?‟ Jene aber wollten beſſer wiſſen, was Wahrheit ſei, indem ſie ſich auf die hl. Schrift beriefen, die ſie aber falſch auslegten. Als auch Stephanus ihnen die Wahrheit verkündete, hielten ſie ſich die Ohren zu. Heutzutage iſt das Oberhaupt der katholiſchen Kirche der vornehmſte Gegenſtand des Haſſes aller Feinde und Gegner der Kirche, auch wenn er keinem derſelben irgendwie das geringſte Übel gethan hat. „Oderunt me gratis‟ kann auch der Papſt von ſeinen Gegnern ſagen: ſie haſſen mich grund- los. Niemand hat dieſen Haß ſo ſehr genährt und befördert als Martin Luther. Seine Schriften wimmeln von Läſte- rungen und Beſchimpfungen gegen das Oberhaupt der Kirche, aber er wünſchte, daß auch die Seinigen in dieſem Haſſe einig ſeien. Deshalb ſein Segensſpruch: „Deus vos impleat odio Papae,‟ („Gott erfülle euch mit Haß gegen den Papſt‟) welchen er beim Abſchiede den in Schmalkalden verſammelten lutheriſchen Fürſten zurief 1). Gott, der nur ein Gott der Liebe 1) Fr. Mayeri diss. de voto Lutheri: „Deus vos impleat‟ cr. Hamburg 1699.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/39>, abgerufen am 23.11.2024.