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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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ist es nicht zu deuten. Es ist die schwache Form des
Stammes, welche nach einem indogermanischen, in Asien
noch deutlich erhaltenen, aber in Griechenland kaum
mehr erkennbaren Gesetze im ersten Gliede des Composi-
tums gesetzt wird. Wie sollten wohl die Griechen, wenn
ihnen nur eine Form wie sadas überliefert war, dazu ge-
kommen sein, gerade im Compositum zu edes- zu greifen?
Darum wird man annehmen müssen, dass eine Form wie
sedes- als Vorderglied eines Compositums schon indogerma-
nisch war, und wir hätten damit mindestens eine neue Stütze
für das indogermanische e gewonnen. Ich denke aber auch
eine Wahrscheinlichkeit für das o. Wenn die eine Stufe
da war, wird auch die andere nicht gefehlt haben.

Curtius greift sodann die Theorie von der Buntheit des Vo-
calismus auch noch so zu sagen von hinten an, indem er vom
Standpunkt der erschlossenen indogermanischen Grundformen
dagegen operirt. Ich muss gestehen, dass ich mich mit dieser
Partie des C.'schen Buches am wenigsten befreunden kann. Al-
les was von mir über e und o vorgetragen wurde, ist, wie der
Leser hoffentlich zugeben wird, nicht aus der Luft gegriffen,
sondern ist an Thatsachen der Sprache, die vorhanden sind,
entwickelt worden. Wie könnten solchen Schlüssen gegen-
über die Vorstellungen ins Gewicht fallen, die wir uns an
der Hand der bisherigen Erfahrungen über die Entstehung
der Flexion in fernster Urzeit gebildet haben? Unsere Vor-
stellungen über die Ursprache sind ein Niederschlag un-
serer Forschungen über die Einzelsprachen. Erleiden diese
eine Veränderung, so müssen jene Vorstellungen nachfolgen.
Kommen wir z. B. durch unsere Rückschlüsse zu einer
zweifachen Gestalt des Stammes statt der erwünschten ein-
heitlichen, so bleibt nichts übrig, als uns vorerst bei dieser
Zweiheit zu beruhigen. Ich würde also sagen, wir kommen
auf ein Präsensthema bhere bhero. Ob und wie es gelingt,

ist es nicht zu deuten. Es ist die schwache Form des
Stammes, welche nach einem indogermanischen, in Asien
noch deutlich erhaltenen, aber in Griechenland kaum
mehr erkennbaren Gesetze im ersten Gliede des Composi-
tums gesetzt wird. Wie sollten wohl die Griechen, wenn
ihnen nur eine Form wie sádas überliefert war, dazu ge-
kommen sein, gerade im Compositum zu ἕδες- zu greifen?
Darum wird man annehmen müssen, dass eine Form wie
sedes- als Vorderglied eines Compositums schon indogerma-
nisch war, und wir hätten damit mindestens eine neue Stütze
für das indogermanische e gewonnen. Ich denke aber auch
eine Wahrscheinlichkeit für das o. Wenn die eine Stufe
da war, wird auch die andere nicht gefehlt haben.

Curtius greift sodann die Theorie von der Buntheit des Vo-
calismus auch noch so zu sagen von hinten an, indem er vom
Standpunkt der erschlossenen indogermanischen Grundformen
dagegen operirt. Ich muss gestehen, dass ich mich mit dieser
Partie des C.'schen Buches am wenigsten befreunden kann. Al-
les was von mir über e und ο vorgetragen wurde, ist, wie der
Leser hoffentlich zugeben wird, nicht aus der Luft gegriffen,
sondern ist an Thatsachen der Sprache, die vorhanden sind,
entwickelt worden. Wie könnten solchen Schlüssen gegen-
über die Vorstellungen ins Gewicht fallen, die wir uns an
der Hand der bisherigen Erfahrungen über die Entstehung
der Flexion in fernster Urzeit gebildet haben? Unsere Vor-
stellungen über die Ursprache sind ein Niederschlag un-
serer Forschungen über die Einzelsprachen. Erleiden diese
eine Veränderung, so müssen jene Vorstellungen nachfolgen.
Kommen wir z. B. durch unsere Rückschlüsse zu einer
zweifachen Gestalt des Stammes statt der erwünschten ein-
heitlichen, so bleibt nichts übrig, als uns vorerst bei dieser
Zweiheit zu beruhigen. Ich würde also sagen, wir kommen
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[41/0046] ist es nicht zu deuten. Es ist die schwache Form des Stammes, welche nach einem indogermanischen, in Asien noch deutlich erhaltenen, aber in Griechenland kaum mehr erkennbaren Gesetze im ersten Gliede des Composi- tums gesetzt wird. Wie sollten wohl die Griechen, wenn ihnen nur eine Form wie sádas überliefert war, dazu ge- kommen sein, gerade im Compositum zu ἕδες- zu greifen? Darum wird man annehmen müssen, dass eine Form wie sedes- als Vorderglied eines Compositums schon indogerma- nisch war, und wir hätten damit mindestens eine neue Stütze für das indogermanische e gewonnen. Ich denke aber auch eine Wahrscheinlichkeit für das o. Wenn die eine Stufe da war, wird auch die andere nicht gefehlt haben. Curtius greift sodann die Theorie von der Buntheit des Vo- calismus auch noch so zu sagen von hinten an, indem er vom Standpunkt der erschlossenen indogermanischen Grundformen dagegen operirt. Ich muss gestehen, dass ich mich mit dieser Partie des C.'schen Buches am wenigsten befreunden kann. Al- les was von mir über e und ο vorgetragen wurde, ist, wie der Leser hoffentlich zugeben wird, nicht aus der Luft gegriffen, sondern ist an Thatsachen der Sprache, die vorhanden sind, entwickelt worden. Wie könnten solchen Schlüssen gegen- über die Vorstellungen ins Gewicht fallen, die wir uns an der Hand der bisherigen Erfahrungen über die Entstehung der Flexion in fernster Urzeit gebildet haben? Unsere Vor- stellungen über die Ursprache sind ein Niederschlag un- serer Forschungen über die Einzelsprachen. Erleiden diese eine Veränderung, so müssen jene Vorstellungen nachfolgen. Kommen wir z. B. durch unsere Rückschlüsse zu einer zweifachen Gestalt des Stammes statt der erwünschten ein- heitlichen, so bleibt nichts übrig, als uns vorerst bei dieser Zweiheit zu beruhigen. Ich würde also sagen, wir kommen auf ein Präsensthema bhere bhero. Ob und wie es gelingt,

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/46>, abgerufen am 19.04.2024.