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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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zelnen Individuum, oder vielmehr, wenn wir ganz genau sein
wollen, nur im Momentandurchschnitte der Sprache eines
Individuums. Von demjenigen nun, was ein Individuum in
einem bestimmten Moment seines Lebens spricht oder spre-
chen würde, wenn es den gesammten Wortschatz durch sein
Organ passiren liesse, ist zunächst alles das abzuscheiden,
was man als Entlehnung (im weitesten Sinne) ansehen muss,
sodann sind alle auf Wirkung der Analogie beruhende Laut-
gestaltungen wieder aufzuheben. Ist das geschehen, so bleibt
die durch den Lautwandel an sich bewirkte Lautgestalt
übrig. In dieser erst dürfen wir -- abgesehen von den
etwaigen Schwankungen innerhalb eines Uebergangsstadiums
-- erwarten, völlige Gleichmässigkeit in der Behandlung
aller analogen Fälle zu finden, und in diesem Sinne muss
man behaupten, dass die Lautgesetze an sich ausnahmslos
seien" (S. 129). Aus dieser Erklärung hebe ich zunächst
zwei Fragen hervor, die wir wohl alle übereinstimmend be-
antworten, nämlich diejenigen, welche sich um die Schlag-
worte "Entlehnung" und "Uebergangszustand" gruppiren.
Niemand zweifelt daran, dass die meisten Sprachen, das Sans-
krit so gut wie das Englische, voll von fremden Worten
sind. Diese kommen natürlich, wenn es gilt den Lautstand
der leihenden Sprache zu ermitteln, nicht mit in Betracht.
"Echt" ist z. B. ein aus dem Niederdeutschen stammendes
Lehnwort im Hochdeutschen, und kann deshalb keine Aus-
nahme von der Regel bilden, dass im Hochdeutschen unter
gewissen Bedingungen die Gruppe ft und nicht cht entsteht,
ebenso wenig wie etwa die Thatsache. dass bei uns in
Treibhäusern Palmen gedeihen, der Richtigkeit der Be-
hauptung Abbruch thun kann, dass diese Pflanzen in
Deutschland im Freien nicht fortkommen. Ich leugne
ebenso wenig wie Curtius (S. 14 Anm.), dass es in der Praxis
oft Schwierigkeiten hat, diese fremden Bestandteile rein-

zelnen Individuum, oder vielmehr, wenn wir ganz genau sein
wollen, nur im Momentandurchschnitte der Sprache eines
Individuums. Von demjenigen nun, was ein Individuum in
einem bestimmten Moment seines Lebens spricht oder spre-
chen würde, wenn es den gesammten Wortschatz durch sein
Organ passiren liesse, ist zunächst alles das abzuscheiden,
was man als Entlehnung (im weitesten Sinne) ansehen muss,
sodann sind alle auf Wirkung der Analogie beruhende Laut-
gestaltungen wieder aufzuheben. Ist das geschehen, so bleibt
die durch den Lautwandel an sich bewirkte Lautgestalt
übrig. In dieser erst dürfen wir — abgesehen von den
etwaigen Schwankungen innerhalb eines Uebergangsstadiums
— erwarten, völlige Gleichmässigkeit in der Behandlung
aller analogen Fälle zu finden, und in diesem Sinne muss
man behaupten, dass die Lautgesetze an sich ausnahmslos
seien« (S. 129). Aus dieser Erklärung hebe ich zunächst
zwei Fragen hervor, die wir wohl alle übereinstimmend be-
antworten, nämlich diejenigen, welche sich um die Schlag-
worte »Entlehnung« und »Uebergangszustand« gruppiren.
Niemand zweifelt daran, dass die meisten Sprachen, das Sans-
krit so gut wie das Englische, voll von fremden Worten
sind. Diese kommen natürlich, wenn es gilt den Lautstand
der leihenden Sprache zu ermitteln, nicht mit in Betracht.
»Echt« ist z. B. ein aus dem Niederdeutschen stammendes
Lehnwort im Hochdeutschen, und kann deshalb keine Aus-
nahme von der Regel bilden, dass im Hochdeutschen unter
gewissen Bedingungen die Gruppe ft und nicht cht entsteht,
ebenso wenig wie etwa die Thatsache. dass bei uns in
Treibhäusern Palmen gedeihen, der Richtigkeit der Be-
hauptung Abbruch thun kann, dass diese Pflanzen in
Deutschland im Freien nicht fortkommen. Ich leugne
ebenso wenig wie Curtius (S. 14 Anm.), dass es in der Praxis
oft Schwierigkeiten hat, diese fremden Bestandteile rein-

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[13/0018] zelnen Individuum, oder vielmehr, wenn wir ganz genau sein wollen, nur im Momentandurchschnitte der Sprache eines Individuums. Von demjenigen nun, was ein Individuum in einem bestimmten Moment seines Lebens spricht oder spre- chen würde, wenn es den gesammten Wortschatz durch sein Organ passiren liesse, ist zunächst alles das abzuscheiden, was man als Entlehnung (im weitesten Sinne) ansehen muss, sodann sind alle auf Wirkung der Analogie beruhende Laut- gestaltungen wieder aufzuheben. Ist das geschehen, so bleibt die durch den Lautwandel an sich bewirkte Lautgestalt übrig. In dieser erst dürfen wir — abgesehen von den etwaigen Schwankungen innerhalb eines Uebergangsstadiums — erwarten, völlige Gleichmässigkeit in der Behandlung aller analogen Fälle zu finden, und in diesem Sinne muss man behaupten, dass die Lautgesetze an sich ausnahmslos seien« (S. 129). Aus dieser Erklärung hebe ich zunächst zwei Fragen hervor, die wir wohl alle übereinstimmend be- antworten, nämlich diejenigen, welche sich um die Schlag- worte »Entlehnung« und »Uebergangszustand« gruppiren. Niemand zweifelt daran, dass die meisten Sprachen, das Sans- krit so gut wie das Englische, voll von fremden Worten sind. Diese kommen natürlich, wenn es gilt den Lautstand der leihenden Sprache zu ermitteln, nicht mit in Betracht. »Echt« ist z. B. ein aus dem Niederdeutschen stammendes Lehnwort im Hochdeutschen, und kann deshalb keine Aus- nahme von der Regel bilden, dass im Hochdeutschen unter gewissen Bedingungen die Gruppe ft und nicht cht entsteht, ebenso wenig wie etwa die Thatsache. dass bei uns in Treibhäusern Palmen gedeihen, der Richtigkeit der Be- hauptung Abbruch thun kann, dass diese Pflanzen in Deutschland im Freien nicht fortkommen. Ich leugne ebenso wenig wie Curtius (S. 14 Anm.), dass es in der Praxis oft Schwierigkeiten hat, diese fremden Bestandteile rein-

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/18>, abgerufen am 19.04.2024.