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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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duldeten keine Ausnahme, ein treibender Factor in der
Seele der Sprachgelehrten war. Dieses Gefühl hat sich all-
mählich, indem es durch immer zahlreichere und zahlreichere
Beobachtungen gestärkt wurde, zu einem Grundsatz ver-
dichtet, der gegenüber anderen Erwägungen immer mehr
Ausschlag gebend wird. Ein Beispiel mag diese Behauptung
erhärten. Es ist hergenommen von der Geschichte der Ver-
handlungen über das r des lateinischen Passivums. Bopp
hat das r bekanntlich aus s gedeutet, und also z. B. amor
auf amose zurückgeführt (1820). Diese Erklärung ist von
Seiten der Bedeutung so ansprechend und, wenn man lediglich
das Lateinische in Betracht zieht, lautlich so nahe liegend,
dass sie allgemeinste Zustimmung fand. Im Laufe der Zeit
wurde die Aufmerksamkeit der Forscher darauf gelenkt,
dass doch auch im Oskischen, welches das s zwischen Vo-
calen nicht in r übergehen lässt, sondern erhält, und im
Irischen, welches das s zwischen Vocalen wie das Grie-
chische behandelt, die Passivformen mit r vorliegen. Nun
standen sich das unmittelbar Einleuchtende der Erklärung
und das lautliche Bedenken gegenüber. Zunächst siegte
noch die erstere Vorstellung, so bei Schleicher, welcher sagt:
"dies (nämlich der Uebergang von s in r im Passivum) fand
auch in den Sprachen statt, welchen sonst der Lautübergang
von s zu r fremd ist " (Compendium § 703, 1866 . Dazu
bemerkte Scherer ZGDS1 224, wer einen solchen Extralaut-
wandel von s in r "auch in Sprachen, welchen sonst der
Uebergang von s zu r fremd ist", statuiren möge, begebe sich
seiner besten Waffen gegen die vielbekämpfte Identificierung
lautgesetzlich unvereinbarer Suffixe, und jetzt ist die Bopp-
sche Erklärung von Georg Curtius ebenso wie von der Mehr-
zahl der jetzigen Sprachforscher aufgegeben. Curtius spricht
S. 134 seiner neuesten Schrift von der italokeltischen Passiv-
bildung als einem Nachwuchs, "der sich bis jetzt noch in tiefes

duldeten keine Ausnahme, ein treibender Factor in der
Seele der Sprachgelehrten war. Dieses Gefühl hat sich all-
mählich, indem es durch immer zahlreichere und zahlreichere
Beobachtungen gestärkt wurde, zu einem Grundsatz ver-
dichtet, der gegenüber anderen Erwägungen immer mehr
Ausschlag gebend wird. Ein Beispiel mag diese Behauptung
erhärten. Es ist hergenommen von der Geschichte der Ver-
handlungen über das r des lateinischen Passivums. Bopp
hat das r bekanntlich aus s gedeutet, und also z. B. amor
auf amose zurückgeführt (1820). Diese Erklärung ist von
Seiten der Bedeutung so ansprechend und, wenn man lediglich
das Lateinische in Betracht zieht, lautlich so nahe liegend,
dass sie allgemeinste Zustimmung fand. Im Laufe der Zeit
wurde die Aufmerksamkeit der Forscher darauf gelenkt,
dass doch auch im Oskischen, welches das s zwischen Vo-
calen nicht in r übergehen lässt, sondern erhält, und im
Irischen, welches das s zwischen Vocalen wie das Grie-
chische behandelt, die Passivformen mit r vorliegen. Nun
standen sich das unmittelbar Einleuchtende der Erklärung
und das lautliche Bedenken gegenüber. Zunächst siegte
noch die erstere Vorstellung, so bei Schleicher, welcher sagt:
»dies (nämlich der Uebergang von s in r im Passivum) fand
auch in den Sprachen statt, welchen sonst der Lautübergang
von s zu r fremd ist « (Compendium § 703, 1866 . Dazu
bemerkte Scherer ZGDS1 224, wer einen solchen Extralaut-
wandel von s in r »auch in Sprachen, welchen sonst der
Uebergang von s zu r fremd ist«, statuiren möge, begebe sich
seiner besten Waffen gegen die vielbekämpfte Identificierung
lautgesetzlich unvereinbarer Suffixe, und jetzt ist die Bopp-
sche Erklärung von Georg Curtius ebenso wie von der Mehr-
zahl der jetzigen Sprachforscher aufgegeben. Curtius spricht
S. 134 seiner neuesten Schrift von der italokeltischen Passiv-
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[10/0015] duldeten keine Ausnahme, ein treibender Factor in der Seele der Sprachgelehrten war. Dieses Gefühl hat sich all- mählich, indem es durch immer zahlreichere und zahlreichere Beobachtungen gestärkt wurde, zu einem Grundsatz ver- dichtet, der gegenüber anderen Erwägungen immer mehr Ausschlag gebend wird. Ein Beispiel mag diese Behauptung erhärten. Es ist hergenommen von der Geschichte der Ver- handlungen über das r des lateinischen Passivums. Bopp hat das r bekanntlich aus s gedeutet, und also z. B. amor auf amose zurückgeführt (1820). Diese Erklärung ist von Seiten der Bedeutung so ansprechend und, wenn man lediglich das Lateinische in Betracht zieht, lautlich so nahe liegend, dass sie allgemeinste Zustimmung fand. Im Laufe der Zeit wurde die Aufmerksamkeit der Forscher darauf gelenkt, dass doch auch im Oskischen, welches das s zwischen Vo- calen nicht in r übergehen lässt, sondern erhält, und im Irischen, welches das s zwischen Vocalen wie das Grie- chische behandelt, die Passivformen mit r vorliegen. Nun standen sich das unmittelbar Einleuchtende der Erklärung und das lautliche Bedenken gegenüber. Zunächst siegte noch die erstere Vorstellung, so bei Schleicher, welcher sagt: »dies (nämlich der Uebergang von s in r im Passivum) fand auch in den Sprachen statt, welchen sonst der Lautübergang von s zu r fremd ist « (Compendium § 703, 1866 . Dazu bemerkte Scherer ZGDS1 224, wer einen solchen Extralaut- wandel von s in r »auch in Sprachen, welchen sonst der Uebergang von s zu r fremd ist«, statuiren möge, begebe sich seiner besten Waffen gegen die vielbekämpfte Identificierung lautgesetzlich unvereinbarer Suffixe, und jetzt ist die Bopp- sche Erklärung von Georg Curtius ebenso wie von der Mehr- zahl der jetzigen Sprachforscher aufgegeben. Curtius spricht S. 134 seiner neuesten Schrift von der italokeltischen Passiv- bildung als einem Nachwuchs, »der sich bis jetzt noch in tiefes

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/15>, abgerufen am 18.12.2024.