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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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und so liesse sich noch manches anführen, um die Be-
hauptung zu erhärten, dass mir und anderen die neuen
Lehren von Brugmann, Osthoff und ihren befreundeten oder
feindlichen Genossen (so viel des Neuen wir auch aus ihnen
gelernt haben, an das wenigstens ich vorher nicht gedacht
hatte) nicht überraschend gekommen sind. Wenn Curtius
diesen Ausdruck S. 9 gebraucht, so bezieht er sich nur auf
diejenigen, welche ihre Kenntniss wesentlich aus der Lite-
ratur schöpfen zu müssen in der Lage waren. Von solchen
allerdings habe ich wiederholt verdriessliche Klagen über
a1, a2, a3, über den unnatürlichen Brummlaut der nasalis
sonans, und endlich die Erklärung vernommen, dass es am
besten sei, sich einstweilen von einer Wissenschaft zurück-
zuziehen, in welcher das Alte umgeworfen und das Neue
noch nicht reif zu sein scheine. Ich habe solchen Klagen
gegenüber stets betont, es sei nicht richtig, dass eine Kata-
strophe stattgefunden, dass ein völlig Neues sich entwickelt
habe; wer näher zusehe, werde die Continuität bald gewahr
werden, der neue Glaube sei nichts anderes als die natür-
liche Weiteientwickelung der Anschauungen von Bopp und
Pott, von Benfey, Schleicher und Curtius. Diese Ansicht
wünschte ich in meiner Schrift in geschichtlicher Dar-
stellung zur Geltung zu bringen. Natürlich kam es mir
darauf an, diejenigen Meinungen, welche ich für richtig
halte, zu empfehlen, aber die Hauptabsicht war doch auf
den Nachweis des Zusammenhanges zwischen dem Alten
und dem Neuen gerichtet. Um diesen Theil meiner Be-
strebung deutlich einzuführen, hatte ich als Motto den ersten
Satz aus Goethe's Geschichte der Farbenlehre gewählt:
"Wird einer strebenden Jugend die Geschichte eher lästig
als erfreulich, weil sie gern von sich selbst eine neue, ja
wohl gar eine Urwelt-Epoche beginnen möchte, so haben
die in Bildung und Alter Fortschreitenden gar oft mit leb-

und so liesse sich noch manches anführen, um die Be-
hauptung zu erhärten, dass mir und anderen die neuen
Lehren von Brugmann, Osthoff und ihren befreundeten oder
feindlichen Genossen (so viel des Neuen wir auch aus ihnen
gelernt haben, an das wenigstens ich vorher nicht gedacht
hatte) nicht überraschend gekommen sind. Wenn Curtius
diesen Ausdruck S. 9 gebraucht, so bezieht er sich nur auf
diejenigen, welche ihre Kenntniss wesentlich aus der Lite-
ratur schöpfen zu müssen in der Lage waren. Von solchen
allerdings habe ich wiederholt verdriessliche Klagen über
a₁, a₂, a₃, über den unnatürlichen Brummlaut der nasalis
sonans, und endlich die Erklärung vernommen, dass es am
besten sei, sich einstweilen von einer Wissenschaft zurück-
zuziehen, in welcher das Alte umgeworfen und das Neue
noch nicht reif zu sein scheine. Ich habe solchen Klagen
gegenüber stets betont, es sei nicht richtig, dass eine Kata-
strophe stattgefunden, dass ein völlig Neues sich entwickelt
habe; wer näher zusehe, werde die Continuität bald gewahr
werden, der neue Glaube sei nichts anderes als die natür-
liche Weiteientwickelung der Anschauungen von Bopp und
Pott, von Benfey, Schleicher und Curtius. Diese Ansicht
wünschte ich in meiner Schrift in geschichtlicher Dar-
stellung zur Geltung zu bringen. Natürlich kam es mir
darauf an, diejenigen Meinungen, welche ich für richtig
halte, zu empfehlen, aber die Hauptabsicht war doch auf
den Nachweis des Zusammenhanges zwischen dem Alten
und dem Neuen gerichtet. Um diesen Theil meiner Be-
strebung deutlich einzuführen, hatte ich als Motto den ersten
Satz aus Goethe's Geschichte der Farbenlehre gewählt:
»Wird einer strebenden Jugend die Geschichte eher lästig
als erfreulich, weil sie gern von sich selbst eine neue, ja
wohl gar eine Urwelt-Epoche beginnen möchte, so haben
die in Bildung und Alter Fortschreitenden gar oft mit leb-

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[6/0011] und so liesse sich noch manches anführen, um die Be- hauptung zu erhärten, dass mir und anderen die neuen Lehren von Brugmann, Osthoff und ihren befreundeten oder feindlichen Genossen (so viel des Neuen wir auch aus ihnen gelernt haben, an das wenigstens ich vorher nicht gedacht hatte) nicht überraschend gekommen sind. Wenn Curtius diesen Ausdruck S. 9 gebraucht, so bezieht er sich nur auf diejenigen, welche ihre Kenntniss wesentlich aus der Lite- ratur schöpfen zu müssen in der Lage waren. Von solchen allerdings habe ich wiederholt verdriessliche Klagen über a₁, a₂, a₃, über den unnatürlichen Brummlaut der nasalis sonans, und endlich die Erklärung vernommen, dass es am besten sei, sich einstweilen von einer Wissenschaft zurück- zuziehen, in welcher das Alte umgeworfen und das Neue noch nicht reif zu sein scheine. Ich habe solchen Klagen gegenüber stets betont, es sei nicht richtig, dass eine Kata- strophe stattgefunden, dass ein völlig Neues sich entwickelt habe; wer näher zusehe, werde die Continuität bald gewahr werden, der neue Glaube sei nichts anderes als die natür- liche Weiteientwickelung der Anschauungen von Bopp und Pott, von Benfey, Schleicher und Curtius. Diese Ansicht wünschte ich in meiner Schrift in geschichtlicher Dar- stellung zur Geltung zu bringen. Natürlich kam es mir darauf an, diejenigen Meinungen, welche ich für richtig halte, zu empfehlen, aber die Hauptabsicht war doch auf den Nachweis des Zusammenhanges zwischen dem Alten und dem Neuen gerichtet. Um diesen Theil meiner Be- strebung deutlich einzuführen, hatte ich als Motto den ersten Satz aus Goethe's Geschichte der Farbenlehre gewählt: »Wird einer strebenden Jugend die Geschichte eher lästig als erfreulich, weil sie gern von sich selbst eine neue, ja wohl gar eine Urwelt-Epoche beginnen möchte, so haben die in Bildung und Alter Fortschreitenden gar oft mit leb-

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/11>, abgerufen am 29.03.2024.