Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte wurde sie, die Kunst. Parallel aber dem Sinken der produktivenKraft geht eine Verfeinerung, Erweiterung und bewußte Pflege der rezeptiven Fähigkeiten, die in der deutschen Kultur etwas Neues ist. Goethe ist darin vorbildlich für den Deutschen des 19. Jahrhunderts. Das 19. Jahrhundert wird in der Kunst- geschichte keine tiefen Spuren hinterlassen; sicher ist doch diesem Jahrhundert die Kunst etwas, sogar viel gewesen; nur war es nicht die eigene Kunst. Das Jahrhundert Goethes gleicht in seiner Traditionslosigkeit und seinem Vertrauen auf ein in der Zeiten Ferne liegendes klassisches Ideal keinem früheren so sehr als der Karolingerzeit. Mit dieser Skizze habe ich zeigen wollen, daß eine Darstel- Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte wurde sie, die Kunst. Parallel aber dem Sinken der produktivenKraft geht eine Verfeinerung, Erweiterung und bewußte Pflege der rezeptiven Fähigkeiten, die in der deutschen Kultur etwas Neues ist. Goethe ist darin vorbildlich für den Deutschen des 19. Jahrhunderts. Das 19. Jahrhundert wird in der Kunst- geschichte keine tiefen Spuren hinterlassen; sicher ist doch diesem Jahrhundert die Kunst etwas, sogar viel gewesen; nur war es nicht die eigene Kunst. Das Jahrhundert Goethes gleicht in seiner Traditionslosigkeit und seinem Vertrauen auf ein in der Zeiten Ferne liegendes klassisches Ideal keinem früheren so sehr als der Karolingerzeit. Mit dieser Skizze habe ich zeigen wollen, daß eine Darstel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0088" n="74"/><fw place="top" type="header">Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte</fw><lb/> wurde sie, die Kunst. Parallel aber dem Sinken der produktiven<lb/> Kraft geht eine Verfeinerung, Erweiterung und bewußte Pflege<lb/> der rezeptiven Fähigkeiten, die in der deutschen Kultur etwas<lb/> Neues ist. Goethe ist darin vorbildlich für den Deutschen des<lb/> 19. Jahrhunderts. Das 19. Jahrhundert wird in der Kunst-<lb/> geschichte keine tiefen Spuren hinterlassen; sicher ist doch diesem<lb/> Jahrhundert die Kunst etwas, sogar viel gewesen; nur war es nicht<lb/> die eigene Kunst. Das Jahrhundert Goethes gleicht in seiner<lb/> Traditionslosigkeit und seinem Vertrauen auf ein in der Zeiten<lb/> Ferne liegendes klassisches Ideal keinem früheren so sehr als der<lb/> Karolingerzeit.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Mit dieser Skizze habe ich zeigen wollen, daß eine Darstel-<lb/> lung der Geschichte der deutschen Kunst erheblich mehr zu um-<lb/> fassen hätte, als was man gewöhnlich der Kunstgeschichte zuschiebt.<lb/> Nicht auf etwas mehr oder weniger »kulturgeschichtlichen Hinter-<lb/> grund« kommt es an, sondern darauf, das Verhältnis der Nation<lb/> zur Kunst in seiner Ganzheit, in seinen Bedingungen wie in seinen<lb/> Wirkungen, nach der produktiven wie nach der rezeptiven Seite<lb/> hin historisch zu erfassen. Unter den Aufgaben, die der Geschichts-<lb/> wissenschaft vorgelegt werden können, wird es freilich eine an den<lb/> Bearbeiter größere Anforderungen stellende nicht leicht geben.<lb/> Prinzipiell unlösbar ist sie nicht.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [74/0088]
Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte
wurde sie, die Kunst. Parallel aber dem Sinken der produktiven
Kraft geht eine Verfeinerung, Erweiterung und bewußte Pflege
der rezeptiven Fähigkeiten, die in der deutschen Kultur etwas
Neues ist. Goethe ist darin vorbildlich für den Deutschen des
19. Jahrhunderts. Das 19. Jahrhundert wird in der Kunst-
geschichte keine tiefen Spuren hinterlassen; sicher ist doch diesem
Jahrhundert die Kunst etwas, sogar viel gewesen; nur war es nicht
die eigene Kunst. Das Jahrhundert Goethes gleicht in seiner
Traditionslosigkeit und seinem Vertrauen auf ein in der Zeiten
Ferne liegendes klassisches Ideal keinem früheren so sehr als der
Karolingerzeit.
Mit dieser Skizze habe ich zeigen wollen, daß eine Darstel-
lung der Geschichte der deutschen Kunst erheblich mehr zu um-
fassen hätte, als was man gewöhnlich der Kunstgeschichte zuschiebt.
Nicht auf etwas mehr oder weniger »kulturgeschichtlichen Hinter-
grund« kommt es an, sondern darauf, das Verhältnis der Nation
zur Kunst in seiner Ganzheit, in seinen Bedingungen wie in seinen
Wirkungen, nach der produktiven wie nach der rezeptiven Seite
hin historisch zu erfassen. Unter den Aufgaben, die der Geschichts-
wissenschaft vorgelegt werden können, wird es freilich eine an den
Bearbeiter größere Anforderungen stellende nicht leicht geben.
Prinzipiell unlösbar ist sie nicht.
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